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15.10.2024 10:41
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Operationen in Deutschland: Nur selten Auslöser einer langfristigen Opioid-Einnahme
Macht eine postoperative Schmerztherapie mit Opioiden süchtig? In den USA und einigen anderen Ländern der Welt, die mit massivem Opioid-Fehlgebrauch zu kämpfen haben, wird dies vermutet und hat bereits zu der Empfehlung geführt, auf dieses Schmerzmittel während und nach Narkosen zu verzichten. Auch in Deutschland ist der Gesamt-Opioidverbrauch seit Jahren relativ hoch – eine Forschungsgruppe unter Leitung des Universitätsklinikums Jena untersuchte nun, ob Operationen eine längerfristige Opioideinnahme auslösen könnten und ob bestimmte Eingriffe dazu besonders beitragen.
Dazu wurden in den Daten von allen im Jahr 2018 operierten BARMER Versicherten analysiert, ob in den beiden Quartalen nach einer Operation eine Opioidverschreibung erfolgte. Um den Einfluss von Operation, Narkose und postoperative Schmerztherapie als mögliche Auslöser für eine langfristige Opioideinnahme untersuchen zu können, wurden Menschen mit Krebserkrankungen bzw. einer vorbestehenden Opioideinnahme von der Analyse ausgeschlossen. Die gute Nachricht: Bei allen mehr als 200.000 operierten Patientinnen und Patienten wurden sechs Monate nach der Operation nur 1,4 Prozent derartige Schmerzmittel verschrieben. „Diese Zahl ist in Nordamerika drei- bis viermal höher“, betont Johannes Dreiling, Erstautor der Studie aus Jena.
Die Studie verglich jedoch auch erstmals detailliert Unterschiede zwischen einzelnen Operationen – mit teils erstaunlichen Ergebnissen. So lag nach Wirbelsäulen-, Schulter- und Sprunggelenksoperationen sowie Gelenkersatz-Wiederholungseingriffen der langfristige Opioidkonsum um den Faktor 3 bis 7 höher als der Durchschnitt. Absoluter „Spitzenreiter“ waren jedoch Amputationen, nach denen ca. 15 bis 20 Prozent der Betroffenen längere Zeit Opioide verschrieben bekamen. Ursula Marschall, Leiterin Versorgungsforschung der BARMER: „Diese Ergebnisse deuten an, dass Opioide nach Operationen nicht generell verdammt werden sollten, zumal sie weniger organschädigende Wirkungen haben als viele andere Schmerzmittel. Aber nach bestimmten Operationen müssen wir Patientinnen und Patienten enger als bisher betreuen und begleiten, um Schmerz- und Medikationsprobleme, sowie eine möglicherweise beginnende Abhängigkeit rechtzeitig zu erkennen und konsequent zu behandeln.“
Neben der Operation konnten in der Studie noch weitere Risikofaktoren für einen längerfristigen Opioidgebrauch identifiziert werden. Dazu gehören eine Verschreibung von Antidepressiva und anderen Schmerzmitteln bereits vor der Operation, Alkoholmissbrauch sowie vorbestehende chronische Schmerzen. „Unsere Arbeit belegt erneut, welches Potential, aber auch welche Limitationen Auswertungen von Routine- und Registerdaten haben. So können Krankenkassendaten sehr exakte Angaben zur Medikamentenverschreibung liefern. Es ist jedoch schwierig herauszufinden, warum diese Medikamente eingenommen wurden. Daher können wir nicht genau erkennen, bei welchen Menschen die Opioideinnahme gerechtfertigt war. Die Analyse von Krankenkassendaten wird aber auch in Zukunft ein wichtiger Baustein der Versorgungsforschung sein“, so Letztautor Daniel Schwarzkopf.
Die Studie ist im Rahmen des Projektes LOPSTER entstanden, das vom Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert wurde.
Universitätsklinikum Jena
Das Universitätsklinikum Jena (UKJ) ist die einzige Hochschulmedizin Thüringens und mit fast 7.000 Mitarbeitenden der größte Arbeitgeber der Region. An der Medizinischen Fakultät werden 2.700 Medizin-, Zahnmedizin- und Masterstudierende ausgebildet, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus über 50 Nationen forschen hier an der Weiterentwicklung der Medizin. Die Schwerpunkte liegen dabei auf der Sepsis- und Infektionsforschung, dem Altern und alternsassoziierten Erkrankungen sowie der Medizinischen Optik und Photonik. In den Kliniken und Polikliniken des UKJ werden jährlich mehr als 300.000 Patientinnen Patienten stationär und ambulant versorgt. www.uniklinikum-jena.de
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
PD Dr. phil./med. habil. Daniel Schwarzkopf
Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin
Universitätsklinikum Jena
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Am Klinikum 1
07747 Jena
daniel.schwarzkopf@med.uni-jena.de
Originalpublikation:
Dreiling J, Rose N, Arnold C, Baumbach P, Fleischmann-Struzek C, Kubulus C, Komann M, Marschall U, Rittner HL, Volk T, Meißner W, Schwarzkopf D: The incidence and risk factors of persistent opioid use after surgery—a retrospective secondary data analysis. Dtsch Arztebl Int 2024; 121: online first. https://www.aerzteblatt.de/int/archive/article/241469 , DOI:10.3238/arztebl.m2024.0200
Bilder
Jenaer Studie zeigt, dass Operationen in Deutschland selten zu einer langfristigen Opioid-Einnahme f …
Anna Schroll
UKJ
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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