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30.04.2024 13:36
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Protein als Auslöser von genetischer Entzündungskrankheit identifiziert
Kölner Wissenschaftler*innen haben herausgefunden, dass der Multiproteinkomplex LUBAC (linear ubiquitin assembly complex) wesentlich für die Immunantwort ist, und konnten das Potenzial gezielter Therapien zur Behandlung von Immunstörungen aufzeigen / Veröffentlichung in „Nature Immunology“
Die Forschungsgruppe um Dr. Hirotsugu Oda vom Alternsforschungs-Exzellenzcluster CECAD der Universität zu Köln hat festgestellt, welche Rolle der Proteinkomplex LUBAC bei bestimmten Formen der Immundysregulation spielt. Die Ergebnisse könnten neue Behandlungsmethoden zur Verringerung von Autoinflammation – Entzündungen, die ohne Einfluss von außen entstehen – und eine „Reparatur“ des Immunsystems von Patienten ermöglichen, die an einer genetischen Fehlfunktion dieses Proteinkomplexes leiden. Die Studie „Biallelic human SHARPIN loss of function induces autoinflammation and immunodeficiency“ wurde in Nature Immunology veröffentlicht.
Der Mulitproteinkomplex LUBAC, der die Proteine HOIP, HOIL-1 und SHARPIN umfasst, ist seit Langem für seine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung des Immungleichgewichts bekannt. Bereits frühere Studien zeigten anhand von Mausmodellen die schwerwiegenden Folgen des SHARPIN-Verlusts auf, der aufgrund eines vermehrten Absterbens von Hautzellen zu schwerer Dermatitis führt. Die Auswirkungen eines SHARPIN-Mangels auf die Gesundheit des Menschen waren bislang jedoch unbekannt.
Das Forschungsteam berichtet zum ersten Mal über zwei Menschen mit SHARPIN-Mangel, die Symptome von Autoinflammation und Immunschwäche zeigen, aber überraschenderweise keine dermatologischen Probleme haben, wie es das entsprechende Tiermodell nahelegt. Anhand weiterer Untersuchungen konnte in den Patient*innen ein Defekt im sogenannten kanonischen NF-κB-Signalweg nachgewiesen werden, der entscheidend für die Immunantwort ist. Zudem erwiesen sie sich als anfälliger für den durch Proteine der Tumornekrosefaktor-Superfamilie (TNF-Superfamilie) ausgelösten Zelltod. Die Behandlung mit TNF-Blockern, die gezielt den Zelltod verhindern, führte bei einem Patienten zu einem vollständigen Verschwinden der Autoinflammation auf zellulärer Ebene und im klinischen Erscheinungsbild.
Die Studie zeigt, dass ein übermäßiger und unkontrollierter Zelltod eine wesentliche Rolle bei genetischen Entzündungskrankheiten des Menschen spielt. Die Forschungsgruppe um Dr. Oda definierten den SHARPIN-Mangel als neue Kategorie der genetisch bedingten Entzündungskrankheiten im Menschen, die sie „angeborene Zelltodfehlfunktionen” nennen wollen.
Schutz vor Immunstörungen
Die Studie wurde vom Team um Dr. Dan Kastner am National Institutes of Health (NIH) in den USA angestoßen. Die Forscher*innen hatten dort die Gelegenheit, einen Patienten zu untersuchen, der seit seiner Kindheit an unerklärlichen Fieberschüben, Arthritis, Kolitis und Immunschwäche leidet. Unter Einverständnis führten sie eine Exom-Sequenzierung des Patienten und seiner Familienangehörigen durch und entdeckten, dass der Patient eine fehlerhafte genetische Variante im SHARPIN-Gen aufwies, die zu nicht nachweisbaren Konzentrationen des SHARPIN-Proteins führte. Außerdem wiesen sie bei dem Patienten sowohl in Zellkulturschalen als auch anhand von Biopsien ein erhöhtes Zellsterben nach. Die Forscher*innen beobachteten auch, dass die Entwicklung der lymphoiden Keimzentren – spezialisierte Strukturen in den Polypen, die für die Reifung der B-Zellen unseres Immunsystems und damit für die Produktion von Antikörpern entscheidend sind – durch das vermehrte Absterben von B-Zellen deutlich vermindert war.
Die Studie erklärt die Immunschwäche der Patienten und verdeutlicht die zentrale Rolle von LUBAC für das Immungleichgewicht im Menschen. „Unsere Ergebnisse unterstreichen die entscheidende Bedeutung von LUBAC für den Schutz vor Immunstörungen. Durch das Aufdecken der molekularen Mechanismen, die dem LUBAC-Mangel zugrunde liegen, ebnen wir den Weg für neue therapeutische Methoden, die auf die Wiederherstellung des Immungleichgewichts abzielen“, sagt Dr. Oda, Erstautor der Studie. „Einer der Patienten mit SHARPIN-Mangel war bereits seit Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen, bevor wir ihn das erste Mal trafen. Seine Knöchel waren entzündet, sodass er schmerzbedingt nicht gehen konnte. Dank der Gendiagnostik konnten wir den Defekt finden, der seinen Erkrankungen zugrunde liegt.“ Seit der Patient mit TNF-Blockern behandelt wird, ist er seit fast sieben Jahren symptomfrei. „Als Mediziner und Wissenschaftler begeistert mich die Möglichkeit, durch unsere Forschung das Leben eines Patienten positiv beeinflussen zu können“, so Dr. Oda.
Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über den SFB1403 („Cell Death in Immunity, Inflammation and Disease“), der Fritz Thyssen Stiftung und den National Institutes of Health finanziert.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Hirotsugu Oda
CECAD Exzellenzcluster für Alternsforschung
+49 221 478 84088
hoda@uni-koeln.de
Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s41590-024-01817-w
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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