12.07.2022 17:20
Proteinfaltung in Zeiten von Sauerstoffmangel
Eiweißmoleküle, auch Proteine genannt, benötigen eine definierte Form, um zu funktionieren. Bei ihrer Herstellung werden ihre Bausteine daher auf ganz spezifische Weise miteinander verknüpft. Forschende der Universität Bonn nehmen nun einen zentralen Schritt in diesem Prozess unter die Lupe und untersuchen bei Pflanzen die Auswirkungen von vorübergehendem Sauerstoffmangel auf die Proteinfaltung. An der Studie waren auch Forschende der Universität Münster, der TU Kaiserslautern und der Universität Bielefeld beteiligt. Die Studie ist nun in der Fachzeitschrift Plant Cell erschienen.
Proteine bestehen oft aus Hunderten oder Tausenden von Einzelteilen, den Aminosäuren. Diese hängen wie die Glieder einer Kette aneinander. Als hin- und herschlackernder langer Faden könnten Eiweißmoleküle ihre Aufgabe aber nicht erfüllen. Jedes von ihnen wird daher bei seiner Herstellung auf seine eigene, ganz spezifische Weise gefaltet. Für Proteine, die von der Zelle nach außen abgegeben oder in innerzelluläre Speicher transportiert werden, findet diese Faltung an einem bestimmten Ort in der Zelle statt: dem Endoplasmatischen Retikulum (ER). Hier können die Teilstränge, die im Zuge dieser Proteinfaltung nebeneinander zu liegen kommen, zudem an definierten Punkten miteinander verknüpft werden. So dröselt sich das Knäuel nicht wieder auf und behält seine funktionsfähige Form.
Die Verknüpfung erfolgt über einen Mechanismus, mit dem viele Menschen schon in einem ganz anderen Zusammenhang ihre Erfahrungen gemacht haben – im Friseursalon. Bei einer Dauerwelle wird er nämlich genutzt, um das Haar in Form zu halten. Dazu werden bestimmte Chemikalien auf die Lockenwickler gegeben. Sie sorgen dafür, dass sich zwischen benachbarten Haarproteinen chemische Bindungen bilden, sogenannte Disulfidbrücken. „Auch bei der Proteinfaltung entstehen an bestimmten Stellen des Eiweißfadens Disulfidbrücken, die die benachbarten Teilstränge verknüpfen“, erklärt Prof. Dr. Andreas Meyer vom Institut für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz (INRES) der Universität Bonn.
Molekulare „Löschkette“ reicht Elektronen weiter
Chemisch gesehen, handelt es sich bei diesem Vorgang um eine Oxidation: Bestimmte Aminosäuren enthalten nämlich gebundenen Schwefelwasserstoff (chemisch: S-H). Wenn zwei solche Aminosäuren bei der Faltung des Fadens nebeneinander zu liegen kommen und man von ihren S-H-Gruppen den Wasserstoff (H) abspaltet, kann sich zwischen den beiden eine Disulfidbrücke (chemisch: S-S) bilden. Für diesen Prozess wird aus beiden ursprünglichen S-H-Bindungen jeweils ein Elektron entfernt. Das besorgen bestimmte Proteine, die eine genau dazu passende „Zugkraft“ auf die Elektronen ausüben. Die entfernten Elektronen müssen jedoch aus dieser Umgebung geleitet werden, da sie sonst Schaden anrichten können.
Bei einem Feuer bildet man manchmal eine Löschkette, die den gefüllten Wassereimer von Hand zu Hand weitergibt. Ähnliches gibt es auch in Pflanzen: Die entfernten Elektronen werden über eine Kette unterstützender Proteine weitergereicht und schließlich entsorgt. Damit das funktionieren kann, muss jedes der beteiligten Proteine entlang dieser Kette etwas mehr Zugkraft haben – in der Forschung spricht man auch von Redoxpotenzial. „Im Prinzip sind diese Vorgänge mechanistisch verstanden“, erklärt Meyer. „Wie groß die Redoxpotenziale in lebenden Zellen genau sind und wie die gesamte Reaktionskette dynamisch arbeitet, ist aber unbekannt.“
Das Ausmaß der Zugkraft ist aber entscheidend, damit die Proteinfaltung zum gewünschten Ergebnis führt: Ist sie zu stark, werden zu viele S-H-Gruppen oxidiert. Das Aminosäure-Knäuel wird dann an den falschen Stellen verknüpft und nimmt nicht die korrekte Form an. Ein zu geringes Redoxpotenzial führt dagegen zu einer unzureichenden Stabilisierung, weil sich zu wenige Disulfid-Brücken bilden.
„Wir haben nun eine Methode entwickelt, mit der wir das Redoxpotenzial eines der beteiligten Moleküle im ER der lebenden Zelle messen können“, sagt Meyers Mitarbeiter José Manuel Ugalde. „Da sich das Redoxpotenzial mit der Zeit verändern kann, tun wir das im Abstand von drei Minuten über einen Zeitraum von mehreren Stunden.“ Die Messung erfolgt mit einem Sensorprotein, das bei Bestrahlung mit einem Laser selbst Licht aussendet, also fluoresziert. Die abgestrahlte Lichtintensität hängt dabei vom Redoxpotenzial des gemessenen Moleküls ab. Die Forschenden konzentrierten sich auf das letzte Glied in der „Löschkette“, die ER-Oxidoreduktine (EROs). Diese übertragen die den Proteinen entrissenen Elektronen auf Sauerstoff und entsorgen sie dadurch.
Weniger Zugkraft als gedacht
Als Versuchspflanze dienten den Gruppen aus Münster und Bonn die Acker-Schmalwand Arabidopsis thaliana. Sie verfügt über zwei leicht unterschiedliche EROs, deren Bauanleitungen auf zwei verschiedenen Genen liegen. „Wir konnten zeigen, dass die EROs eine deutlich geringere Zugkraft auf Elektronen ausüben als bislang gedacht“, erklärt Meyer. „Die ganze Kette ist daher vermutlich anders kalibriert.“
Die EROs benötigen Sauerstoff, um ihre Elektronen loszuwerden. Bei Staunässe – etwa durch übermäßiges Gießen von Topfpflanzen oder nach einer Überschwemmung auf dem Feld – ist Sauerstoff allerdings für Teile der Pflanzen Mangelware. Unter diesen Bedingungen scheinen die EROs die Redoxpotenziale in der Löschkette so anzupassen, dass die Bildung von Disulfidbrücken dennoch weiterläuft, wenn auch mit reduzierter Geschwindigkeit. Die Pflanze kann also auch bei Sauerstoffmangel wachsen. Um diesen Effekt genauer zu untersuchen, schalteten die Forschenden eines der ERO-Gene komplett aus und machten das zweite deutlich inaktiver. Dadurch reagierte die Pflanze auf Sauerstoffmangel und andere Arten von reduktivem Stress deutlich empfindlicher. Sie wuchs dann beispielsweise nur noch sehr langsam. „Dennoch funktionierte die Proteinfaltung auch unter diesen Bedingungen noch, zumindest teilweise“, sagt Meyer, der auch Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Sustainable Futures“ der Universität Bonn ist. „Wir vermuten daher, dass es in Arabidopsis noch einen zweiten Mechanismus gibt, der die Oxidation der S-H-Reste in Proteinen im ER bewerkstelligt.“
Welcher das genau ist, wollen die Forschenden nun untersuchen. Langfristig könnten ihre Ergebnisse daher möglicherweise zur Entwicklung von Pflanzensorten beitragen, die mit einem kurzzeitigen Sauerstoffmangel besser zurechtkommen. Da durch den Klimawandel nicht nur Dürren zunehmen, sondern auch Überschwemmungen, dürfte die Nachfrage danach in Zukunft deutlich steigen.
Beteiligte Institutionen und Förderung:
An der Studie waren neben der Universität Bonn die Universitäten Münster und Bielefeld sowie die TU Kaiserslautern beteiligt. Die Arbeiten wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Professor Dr. Andreas Meyer
INRES-Institut der Universität Bonn
Tel. 0228/73-60353
E-Mail: andreas.meyer@uni-bonn.de
Originalpublikation:
José Manuel Ugalde, Isabel Aller, Lika Kudrjasova, Romy R. Schmidt, Michelle Schlößer, Maria Homagk, Philippe Fuchs, Sophie Lichtenauer, Markus Schwarzländer, Stefanie J. Müller-Schüssele, Andreas J. Meyer: Endoplasmic reticulum oxidoreductin provides resilience against reductive stress and hypoxic conditions by mediating luminal redox dynamics. Plant Cell; https://doi.org/10.1093/plcell/koac202
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Meer / Klima, Tier / Land / Forst
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch