18.02.2021 11:00
Tau-Antikörper gegen neurodegenerative Erkrankungen: neue Erkenntnisse aus weltweiter klinischer PSP-Studie
Die Progressive Supranukleäre Blickparese (PSP) ist eine chronisch-fortschreitende neurodegene-rative Erkrankung, die wie die Alzheimer-Erkrankung zu den sogenannten Tauopathien zählt. Bislang sind diese Erkrankungen nicht ursächlich behandelbar. Monoklonale Antikörper gegen das Tau-Protein gelten als vielversprechende Therapiestrategie. Eine heute in Lancet Neurology publizierte weltweite Phase-II-Studie [1] mit dem monoklonalen Antikörper Tilavonemab zeigt die Möglichkeiten und Herausforderungen auf. “Wir konnten zeigen, dass der Antikörper sicher ist und er das Tau-Protein im zentralen Nervensystem erreicht“, so der Studienleiter, Professor Günter Höglinger.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Allen Tauopathien gemeinsam ist die Ablagerung eines pathologischen Eiweißes (Tau-Protein) in bestimmten Gehirnregionen (Tau-Aggregate bzw. -Fibrillen); auch im Nervenwasser (Liquor cerebrospinalis) ist das Tau-Protein meist nachweisbar. Tauopathien unterscheiden sich teilweise recht deutlich in Bezug auf biochemische Mechanismen und klinische Symptome; es gibt aber auch Überschneidungen. Die Klinik der Progressiven Supranukleären Blickparese (PSP) ähnelt teilweise der klassischen Parkinson-Erkrankung, weshalb sie auch als atypisches Parkinson-Syndrom bezeichnet wird. Es kommt zu Störungen der Bewegungsabläufe (Bewegungsverarmung, Gangunsicherheit) oder geistiger Funktionen (kognitive Störung). Bei der PSP stehen außerdem eine Blicklähmung sowie Sprech- und Schluckstörungen im Vordergrund. Aktuell besteht die Behandlung der PSP nur im Symptom-Management; durch die Erforschung der komplexen genetischen, molekularen bzw. biochemischen Krankheitsmechanismen gibt es aber inzwischen verschiedene kausale Therapieansätze. Bislang konnte jedoch für kein Medikament eine klinische Wirksamkeit belegt werden.
Nun wurde in Lancet Neurology erstmals eine internationale Phase-II-Studie publiziert [1], die bei PSP-Patienten die Therapie mit einem monoklonalen Antikörper (Tilavonemab) gegen das Tau-Protein untersucht hat. In acht Ländern (Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Spanien, USA) wurden an 66 Kliniken fast 500 Teilnehmer gescreent, 378 wurden randomisiert in die Studie eingeschlossen und 120 konnten gemäß den definierten Studienkriterien ausgewertet werden. Die Randomisierung erfolgte doppelblind in drei gleichgroße Gruppen. Die Patienten erhielten intravenös entweder 2000 mg (n=126) oder 4000 mg (n=125) Tilavonemab oder Placebo (n=126) an den Tagen 1, 15 und 29; danach alle 28 Tage für insgesamt 52 Wochen. Zu Studienbeginn war der Symptom-Score PSPRS (“Progressive Supranuclear Palsy Rating Scale”) der Patienten in den drei Gruppen ähnlich; die Veränderung des PSPRS-Scores nach 52 Wochen war der primäre Studienendpunkt.
Die Studie wurde nach 52 Wochen (mit 120 Auswertungen) entsprechend den vordefinierten „Futility-Kriterien“ (zu geringer bzw. kein Behandlungseffekt) vorzeitig beendet; im Ergebnis waren zwischen Verum und Placebo keine signifikanten Gruppenunterschiede beim PSPRS-Score festzustellen. Die meisten Teilnehmer berichteten von mindestens einem unerwünschten Ereignis während der Studiendauer: jeweils 111 Patienten in der 2000-mg-Gruppe (88%) sowie in der 4000-mg-Gruppe (89%), aber auch 108 Probanden der Placebogruppe (86%). Dabei waren Stürze (als typisches Ereignis bei PSP) am häufigsten (42 in der 2000-mg-Gruppe; 54 in der 4000-mg-Gruppe und 49 in der Placebogruppe). Substanz-assoziierte Nebenwirkungen waren in den Behandlungsgruppen ähnlich. Es verstarben jeweils neun Patienten in der 2000-mg- und in der 4000-mg-Gruppe und acht in der Placebogruppe – die Todesfälle standen nicht im Zusammenhang mit der Studienmedikation.
In beiden Tilavonemab-Gruppen sank gegenüber der Placebobehandlung die Konzentration des freien Tau-Proteins im Nervenwasser signifikant ab (-38% mit 2000 mg und -46,3% mit 4000 mg). „Obwohl über die Studiendauer von 52 Wochen kein klinischer Therapieeffekt gezeigt werden konnte, zeigte sich eine biologische Wirksamkeit; d. h. der Antikörper erreichte offensichtlich sein molekulares Ziel“, erklärt Professor Dr. Günter Höglinger, Direktor der Klinik für Neurologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, Erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen e.V. (DPG) und Autor der Studie.
Für die fehlende klinische Effektivität von Tilavonemab in dieser Studie diskutieren Experten verschiedene Gründe. Der Antikörper war zunächst im Tauopathie-Mausmodell erforscht worden, möglicherweise gelangt er nicht in ausreichender Menge in das humane Gehirn, um die Übertragung des extrazellulären Tau Proteins zwischen den Nervenzellen ausreichend zu unterbinden. Möglicherweise muss der Antikörper-Angriff bei der PSP auf andere Molekülstrukturen (Epitope) der Tau-Fibrillen ausgerichtet werden als es bei Tilavonemab der Fall ist, der an das N-terminale Ende des Tau-Proteins bindet. „Auf jeden Fall sollte der immunologische Therapieansatz trotz fehlender klinischer Wirksamkeit nicht als gescheitert ansehen“, konstatiert Prof. Höglinger. „Die PSP-Patienten der Studie waren möglicherweise schon in zu weit fortgeschrittenen Erkrankungsstadien, die Behandlungsdauer war möglicherweise zu kurz, die Tau-Reduktion möglicherweise zu niedrig, um klinisch relevante therapeutische Effekte zu erzielen; bei früherem Therapiebeginn und längerer Behandlungsdauer mit höherer Dosis und geeigneterem Epitop könnte womöglich eine klinische Wirkung erzielt werden.“ Zusammenfassend ließen sich somit wichtige Erkenntnisse für die weitere Forschung ableiten. Zudem wurde das Sicherheitsprofil bestätigt.
Weitere Studien mit Tilavonemab laufen bereits mit Patienten in Frühstadien der Alzheimer Krankheit. Bei PSP wird der Antikörper Bepranemab, der am mittleren Molekülbereiche des Tau-Proteins bindet, derzeit in einer Phase I Studie getestet. Das „Target Tau“ für die Entwicklung von Therapien für PSP und andere Tauopathien bliebe unverändert relevant und attraktiv, betont Prof. Höglinger abschließend; so ist nun beispielsweise in Deutschland eine Studie mit einem sogenannten Tau-Antisense-Oligonucleotid bei PSP gestartet.
[1] Höglinger GU, Litvan I, Mendonca N et al. Safety and efficacy of tilavonemab in progressive supranuclear palsy: a phase 2, randomised, placebo-controlled, multicentre trial. Lancet Neurol 2021; DOI: https://doi.org/10.1016/S1474-4422(20)30489-0
Originalpublikation:
DOI:https://doi.org/10.1016/S1474-4422(20)30489-0
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