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03.01.2024 20:00
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Überraschung! – Wie das Gehirn lernt, mit Unerwartetem umzugehen
Für Kinder steckt die Welt voller Überraschungen. Erwachsene überrascht kaum noch etwas. Klingt selbstverständlich, dahinter stecken jedoch komplexe Prozesse: Wie sich die Reaktion auf Unvorhergesehenes im heranwachsenden Gehirn entwickelt, haben Forschende der Universität Basel bei Mäusen entschlüsselt.
Wie genau «Überraschung» im Hirn verarbeitet wird, verändert sich allerdings mit dem Heranwachsen: Ungewöhnliche Reize landen viel schneller in Kategorien wie «wichtig» oder «uninteressant» und überraschen beim zweiten und dritten Auftauchen deutlich weniger. Diese gesteigerte Effizienz ist durchaus sinnvoll: Neue Reize erregen zwar Aufmerksamkeit, lösen aber keine unnötig starke Reaktion aus, die Energie kosten würde. Was zunächst trivial scheint, ist auf der Ebene der Hirnentwicklung noch kaum erforscht.
Durch Versuche mit jungen Mäusen hat ein Team um die Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Tania Barkat nun ein Stück weit entschlüsselt, wie das Gehirn überraschende Töne verarbeitet und was sich dabei im Heranwachsen verändert. Im Fachjournal «Science Advances» berichten die Forschenden vom Departement Biomedizin der Universität Basel von ihren Ergebnissen.
Schräge Töne
Bei ihren Versuchen setzten die Forschenden Tonfolgen ein, bei denen zwischen identischen Tönen in unregelmässigen Abständen ein abweichender Ton auftauchte. Parallel zeichneten sie die Hirnströme der Tiere auf. Fachleute nennen den Test das «Oddball-Paradigma» und setzen ihn beim Menschen unter anderem in der Diagnostik für Schizophrenie ein.
Über solche Messungen konnten die Forschenden nachvollziehen, wie sich bei den jungen Mäusen die Reaktion verschiedener Hirnregionen auf den abweichenden Ton über die Zeit hinweg veränderte. Anfangs fiel diese Reaktion sehr stark aus, nahm aber mit dem Heranreifen der jeweiligen Hirnregion ab – bis auf ein Niveau, das von Messungen bei erwachsenen Tieren bekannt ist. In den verschiedenen Schaltzentralen der Geräuschverarbeitung findet diese Entwicklung jedoch nicht gleichzeitig, sondern zeitversetzt statt.
So war eine Region namens Colliculi inferiores, die am Anfang des Weges vom Hörnerv zur Hörrinde liegt, bei den Tieren schon im Alter von 20 Tagen fertig ausgereift – dem frühesten Zeitpunkt, den das Team untersuchte. Eine zweite Schaltstation, der auditorische Thalamus, zeigte erst im Alter von 30 Tagen eine «erwachsene» Reaktion auf den abweichenden Ton.
Noch länger, nämlich bis zum 50. Lebenstag, dauerte die Entwicklung in der Hirnrinde selbst, im sogenannten primären auditorischen Cortex. «Dieses Heranwachsen der Überraschungsreaktion beginnt also in der Peripherie und endet in der Hirnrinde», fasst Studienleiterin Tania Barkat zusammen. Die Hirnrinde reife somit deutlich später aus als vermutet. In Menschenjahren entspräche der Zeitpunkt ungefähr einem Alter Anfang 20.
Ohne Erfahrungen keine Entwicklung
Eine weitere Beobachtung der Forschenden: Für diese letzte Stufe – die Entwicklung der Überraschungsreaktion in der Hirnrinde – spielen Erfahrungen eine wesentliche Rolle. Zogen sie die Mäuse in einer geräuschneutralen Umgebung auf, entwickelte sich die Verarbeitung unerwarteter Töne im auditorischen Cortex stark verzögert.
Eine mögliche Erklärung dafür: Das Gehirn – und darin vor allem die Hirnrinde – macht sich aufgrund von Erfahrungen während des Heranwachsens ein inneres Bild der Welt, mit dem es äussere Reize abgleicht. Was nicht zu diesem «Weltbild» passt, bedeutet eine Überraschung, hat aber unter Umständen auch ein Update des Weltbilds zur Folge. «Ohne Erfahrungen mit Geräuschen kann die Hirnrinde dieser Mäuse jedoch kein solches Modell der Welt entwickeln», so Neurowissenschaftlerin Barkat. Entsprechend funktioniert die Einordnung von Tönen in «bekannt» und «unerwartet» nicht richtig.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Tania Rinaldi Barkat, Universität Basel, Departement Biomedizin, Tel. +41 61 207 16 38, E-Mail: tania.barkat@unibas.ch
Originalpublikation:
Patricia Valerio, Julien Rechenmann, Suyash Joshi, Gioia De Franceschi, Tania Rinaldi Barkat
Sequential maturation of stimulus-specific adaptation in the mouse lemniscal 4 auditory system
Science Advances (2024), doi: 10.1126/sciadv.adi7624
https://doi.org/10.1126/sciadv.adi7624
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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