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07.06.2024 14:47
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Wann ist eine Genom-Sequenzierung ratsam? Leipziger Humangenetiker:innen liefern klinische Referenzstudie
Wissenschaftler:innen des Broad Institute of MIT and Harvard, der Harvard Medical School sowie der Universitätsmedizin Leipzig haben in zwei voneinander unabhängigen Patientenkohorten gezeigt, unter welchen Umständen die Sequenzierung des gesamten Genoms Vorteile bei der Diagnose genetischer Erkrankungen bietet. Aufgrund ihrer breiten Datenbasis aus Forschung und aus klinischer Anwendung liefert die gemeinsam publizierte Studie wichtige Impulse für die diagnostische Praxis. Ihre Ergebnisse haben die Forscher:innen im renommierten The New England Journal of Medicine vorgestellt.
Genmutationen in der DNA des Menschen können dazu führen, dass Proteine für wichtige Funktionen im Körper nicht korrekt gebildet werden. Das Ergebnis können schwere Störungen sein, die zu Erkrankungen oder gar Behinderungen führen. Viele solcher Erkrankungen sind der Wissenschaft bereits bekannt und bestimmten Genen zuzuordnen. Um sie zu diagnostizieren, setzen Ärzt:innen standardmäßig das Verfahren der sogenannten Exom-Sequenzierung ein. Dabei werden Teile jener Abschnitte der menschlichen DNA analysiert, die unmittelbar für die korrekte Bildung von Proteinen zuständig sind. Dieser kodierende Teil, das Exom, macht nur etwa ein Prozent der gesamten DNA aus, ist aber besonders relevant.
„Eine Exom-Analyse führt jedoch in zwei Dritteln der Fälle nicht zu einer Diagnose; dann stellt sich die Frage, was nun?“, sagt Prof. Dr. Rami Abou Jamra. Er ist Professor für Medizinische Genomik an der Universität Leipzig und leitet die Genetische Diagnostik am Institut für Humangenetik, Universitätsklinikum Leipzig (UKL). „Für die Betroffenen und ihre Familien bedeutet eine eindeutige Diagnose sehr viel: nicht nur die Bestätigung, dass die Krankheit nicht ihre eigene Schuld ist – sie ebnet auch den Weg für öffentliche Anerkennung und eine personalisierte Therapie, wo dies möglich ist“, so der Arzt.
Um die Vorteile einer vollständigen Genom-Sequenzierung im Vergleich mit der Exom-Sequenzierung beurteilen zu können, untersuchten Wissenschaftler:innen des Broad Institute of MIT and Harvard sowie der Harvard Medical School in Boston 744 Familien. Hierbei handelt es sich um erkrankte Kinder und ihre Eltern, bei denen der Verdacht auf eine genetisch bedingte Erkrankung vorlag und bei denen eine Exom-Sequenzierung zum Teil keine Diagnose ermöglicht hatte. Das Institut für Humangenetik in Leipzig analysierte mittels Genom-Sequenzierung in einer unabhängigen Patientenkohorte 350 Familien, bei denen eine Exom-Sequenzierung kein Licht ins Dunkel gebracht hatte. Die ersten 78 Fälle flossen in die gemeinsame Studie mit den Bostoner Kolleg:innen ein.
Von allen Familien wurde die komplette DNA, das sog. Genom, in Milliarden kleine Abschnitte zerschnitten und abgelesen (sog. short read sequencing). Die Daten werteten die Forscher:innen mittels bioinformatischer Programme und Algorithmen aus.
„Im Vergleich zu einer Exom-Sequenzierung brachte die Genom-Sequenzierung in zusätzlichen acht Prozent der Fälle Klarheit: das ist relevant mehr“, erläutert Prof. Dr. Rami Abou Jamra, der die Leipziger Studie leitete. „Insbesondere, wenn eine krankheitsursächliche genetische Veränderung darin besteht, dass sehr kleine DNA-Abschnitte fehlen, unspezifische Sequenzen sich verlängern oder wenn die Veränderung gar nicht im kodierenden Teil liegt, hilft diese Methode entschieden weiter“, so der Mediziner.
„Bei der Exom-Sequenzierung werden die kodierenden Abschnitte im Labor aus der DNA herausgelöst und chemisch angereichert, und das führt leider zu einem Qualitäts- und Informationsverlust“, erklärt der Forscher. Aber genau diese Informationen könnten entscheidende Hinweise enthalten. Zudem haben auch Genabschnitte außerhalb des Exoms wichtige Funktionen, etwa zur Regulierung von Mechanismen, die die Proteinsynthese steuern. Diese Abschnitte werden mit einer Exom-Analyse gar nicht erfasst. Schließlich wollen die Forscher:innen durch den umfassenden Blick über das gesamte Genom neue Krankheitsbilder und –mechanismen identifizieren.
„Unsere Daten legen nahe, schneller zur Genom-Sequenzierung zu greifen, gerade wenn eine Exom-Sequenzierung keine Klarheit gebracht hat“, sagt Prof. Dr. Rami Abou Jamra. „In der Vergangenheit gab es in der Fachliteratur Unklarheit, wann eine Genom-Sequenzierung geboten ist. Die ermittelte, große Datenbasis zeigt nun auch dank des Leipziger Beitrags, dass die Ergebnisse durchaus in der klinischen Anwendung tragfähig sind“, sagt der Wissenschaftler.
Ein weiterer Vorteil der Genom-Sequenzierung, obwohl diese derzeit noch etwa zweieinhalbmal so teuer ist wie eine Exom-Sequenzierung, ist ein langfristiger: Liegen die Daten einmal vor, sei es einfach, diese später noch einmal auf neue Erkenntnisse zu überprüfen, da weltweit neue krankheitsrelevante Gen-Mutationen entdeckt und dokumentiert werden, wie Prof. Dr. Rami Abou Jamra betont.
Und was kommt als Nächstes? „Wir werden mehr Genome ablesen, und das alles mit einer noch aufschlussreicheren Technik, die sich long read sequencing nennt. Sie erlaubt das Ablesen längerer Abschnitte an einem Stück“, so Prof. Dr. Abou Jamra erfreut. „Damit wollen wir alle genetisch bedingten Krankheiten entschlüsseln.“
Autorin: Birgit Pfeiffer
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Rami Abou Jamra
Institut für Humangenetik, Leiter Genetische Diagnostik
Universitätsklinikum Leipzig
Telefon: +49 341 97 23803
E-Mail: rami.aboujamra@medizin.uniklinik-leipzig.de
Originalpublikation:
“Genome Sequencing for Diagnosing Rare Diseases”
DOI: 10.1056/NEJMoa2314761
https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2314761
Bilder
Die DNA eines Menschen kann in Milliarden Abschnitten gelesen werden.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
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