Wie Ameisen sich aktiv vor Wasserverlust schützen



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30.06.2025 13:56

Wie Ameisen sich aktiv vor Wasserverlust schützen

Insekten schützen sich mit einer Wachsschicht vor dem Austrocknen – darüber hinaus dient sie aber auch zur Kommunikation. Während die chemischen Eigenschaften dieser Kohlenwasserstoff-Schicht bereits recht gut untersucht sind, haben Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der Universität Paris nun erstmalig die physikalischen Eigenschaften analysiert – genauer gesagt die Viskosität, also die Zähflüssigkeit. Ihre Ergebnisse haben die Forschenden am 11. Juni 2025 im renommierten Wissenschaftsmagazin Journal of the Royal Society Interface veröffentlicht.

Die Erkenntnisse tragen zum Verständnis der physikalischen Mechanismen bei, die den biologischen Funktionen der Wachsschicht zugrunde liegen.

„Anhand von Ameisen konnten wir zeigen, dass es nicht nur eine feste und eine flüssige Phase gibt, sondern dass auch die flüssige Phase zwei verschiedene Viskositäten besitzt: Einen dickflüssigen Teil, dessen Fließverhalten dem von Honig gleicht, sowie eine dünnflüssige Phase, die eher an Olivenöl erinnert“, sagt Priv.-Doz. Dr. Florian Menzel von der JGU. „Auf diese Weise können die verschiedenen Funktionen der Wachsschicht gleichzeitig erfüllt werden, auch bei schwankenden Temperaturen.“

Die Anforderungen an die Wachsschicht widersprechen einander

Der Insektenbestand nimmt derzeit drastisch ab – was auch auf die globale Erwärmung zurückzuführen ist. Schließlich ist Hitze für Insekten besonders gefährlich, da ihre Oberfläche im Vergleich zum Körpervolumen sehr groß ist und sie somit sehr viel Flüssigkeit über ihren Chitinpanzer verlieren. Die Wachsschicht soll dies verhindern: Sie bildet eine Barriere, die die Wassermoleküle nur schwer passieren können. Je zähflüssiger sie ist, desto größer der Schutz gegen Wasserverlust. Doch enthält sie auch Kommunikationssignale, die von anderen Ameisen wahrgenommen werden und auf denen das Zusammenleben in einer Ameisenkolonie basiert. Für diese chemische Kommunikation untereinander muss die Wachsschicht jedoch möglichst dünnflüssig sein, damit die Hinweise gut wahrgenommen werden können.

Komplexes Phasenverhalten sorgt für die passende Viskosität

Wie verändert sich die Fließfähigkeit der schützenden Schicht mit der Temperatur? Um diese Frage zu beantworten, haben die Forschenden die Wachsschicht von Ameisen bei verschiedenen Messtemperaturen untersucht. Das Ergebnis: Wie bei allen Flüssigkeiten sinkt die Viskosität mit steigender Temperatur – ähnlich wie Honig beim Erwärmen dünnflüssiger wird.

Einen interessanten Effekt entdeckte das Team allerdings, als es die Wachsschichten von Ameisen untersuchte, die bei verschiedenen Temperaturen gehalten wurden – also bei unterschiedlichen Akklimatisierungstemperaturen. „Bei diesen Wachsschichten trat ein umgekehrter Effekt auf: Hatte die Umgebung der Ameisen eine Temperatur von 28 Grad Celsius, war die Viskosität größer und die Schicht zähflüssiger als bei einer Akklimatisierungstemperatur von 20 Grad“, fasst Selina Huthmacher von der JGU die Ergebnisse zusammen. Sinn ergibt das allemal: Je heißer es ist, desto mehr Flüssigkeit verdampft. Die Insekten müssen sich mit steigenden Temperaturen also stärker gegen den Wasserverlust schützen, was mit einer zähflüssigeren Schutzschicht gelingt. „Die Insekten arbeiten also aktiv gegen die natürliche Viskositätsänderung, indem sie die chemische Zusammensetzung der Wachsschicht und damit ihre Fließfähigkeit ändern“, sagt Menzel.

Bei den oben beschriebenen Ansätzen untersuchten die Forschenden, wie sich Änderungen entweder der Akklimatisierungstemperatur oder aber der Messtemperatur auf die Viskosität auswirken. Noch komplexer wird es, wenn man die Akklimatisierungstemperatur und die Messtemperatur gleichermaßen ändert: Wurden die Ameisen bei 28 Grad gehalten und die Schicht bei 28 Grad gemessen, entsprach die Viskosität derjenigen bei 20 Grad Akklimatisierungstemperatur und 20 Grad Messtemperatur. „Dieses komplexe Phasenverhalten ist äußerst spannend“, sagt Huthmacher. „Dadurch kann die Wachsschicht der Insekten sowohl als Austrocknungsschutz als auch zur Kommunikation dienen – obwohl beide Funktionen jeweils gegensätzliche Anforderungen stellen.“

Bildmaterial:
https://download.uni-mainz.de/presse/10_iome_ameisen_wachsschicht_gelifizierung….
Mit sinkender Messtemperatur bildet die Wachsschicht, die Ameisen vor Austrocknung schützt und zugleich der Kommunikation mit Artgenossen dient, zunehmend feste Gelstrukturen.
Foto/©: Selina Huthmacher

https://download.uni-mainz.de/presse/10_iome_ameise_myrmica-rubra.jpg
Ameise der Art Myrmica rubra, hier beim Tragen eines Pflanzensamens
Foto/©: Dr. Philipp Hönle


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Priv.-Doz. Dr. Florian Menzel
Institute for Organismic and Molecular Evolution (iomE), Biocentre I
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
55099 Mainz
Tel. +49 6131 3927848
E-Mail: menzelf@uni-mainz.de
https://www.blogs.uni-mainz.de/fb10-evolutionary-biology/research-groups/group-m…
https://www.blogs.uni-mainz.de/fb10-evolutionary-biology/menzel-florian-pd-dr/
https://i2campus.de/


Originalpublikation:

S. Huthmacher, B. Abou, F. Menzel, The importance of being heterogeneous: the complex phase behaviour of insect cuticular hydrocarbons, Journal of the Royal Society Interface 22: 227, 11. Juni 2025, DOI: 10.1098/rsif.2025.0099
https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsif.2025.0099


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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW