Zum Tag der Frau: Forschungsprojekt „Frauenbiografien und Straßennamen“ vorgestellt



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08.03.2023 14:35

Zum Tag der Frau: Forschungsprojekt „Frauenbiografien und Straßennamen“ vorgestellt

Sophie Scholl und Rosa Luxemburg haben sich als Frauen mit einer bedeutenden politischen Geschichte in unser aller Gedächtnis eingebrannt. Aber woran liegt es, dass in Italiens Regionalhauptstädten nur 6,2 Prozent der Straßen nach Frauen benannt sind? Die Studie der zwei Historikerinnen Siglinde Clementi und Franziska Cont vom Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte beschreibt 62 Frauenpersönlichkeiten auf internationaler und nationaler Ebene und 138 auf Landes- und Gemeindeebene, nach denen künftig Plätze und Straßen in Südtirol benannt werden können.

Die Frauen- und Geschlechtergeschichte stellt die Frage nach der Benennungspraxis von Straßen und Plätzen in Südtirol neu: Frauennamen kommen bisher kaum vor und sollen künftig stärker beachtet werden. Das Forschungsprojekt zu (Frauen)Geschichte und Biografien soll künftig Gemeindekommissionen als wertvoller Leitfaden bei der Benennung von Straßen und Plätzen dienen. Als Beispiel sei die Landeshauptstadt Bozen angeführt: Von 193 nach Personen benannten Straßen und Plätzen sind ganze 86,5% Männern gewidmet. Die stets virulente Frage nach der Erinnerungskultur stellt die heute vorgestellte Forschungsarbeit zweier Historikerinnen der Freien Universität Bozen neu.

„Wir als Landesregierung haben einem Beschluss des Südtiroler Landtages folgend das Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte beauftragt, ein Vademecum zu Frauennamen und Frauenbiografien für die Gemeinden als Entscheidungshilfe bei der Benennung von Straßen und Plätzen zu erstellen“, umreißt Landeshauptmann Arno Kompatscher den Ausgangspunkt dieser Forschungsarbeit. „Es ist unser erklärtes politisches Ziel, durch dieses Projekt die Anzahl von Straßen und Plätzen, die nach einer weiblichen Persönlichkeit benannt sind, zu erhöhen. Dabei freut es uns, dass das Projekt wissenschaftlich ausgeweitet worden ist und sich nicht nur auf eine Auflistung entsprechender Frauennamen beschränkt hat, sondern auch bisher unbekannte Frauen – vor allem auf Gemeindeebene – ans Tageslicht geführt hat, und deren Biographie rekonstruiert wurde.“

Der Frage der Erinnerungskultur stellte sich die Historikerin am Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte Siglinde Clementi als Projektkoordinatorin: „In Südtirol sind bisher nur sehr wenige Straßen nach Frauen benannt. Die allgemeine Tendenz war, Frauen überhaupt nicht zu berücksichtigen, und wenn dann nur die wenigen im politischen und religiösen Feld verdienten Frauen. Um Frauen zur Geltung zu bringen, muss man eine männlich geprägte Erinnerungskultur ein Stück weit in Frage stellen und vorwiegend von Frauen besetzte gesellschaftliche Bereiche wie das Sozialwesen oder das Schulwesen aufwerten. Die Erinnerungskultur ist einseitig auf Politik und Nation ausgerichtet, wo Frauen kaum vorkommen. Frauen haben andere historische Erfahrungen gemacht, die Erinnerung verdienen.“

Der Ausgangspunkt des Projektes lag in der Frage, welche Frauen sich für die Benennung von Straßen und Plätzen in Südtirol überhaupt eignen. Für den internationalen Teil wurden herausragende Frauen in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen von Wissenschaft, Politik, Kunst, Religion und Sport – vorwiegend aus dem deutschsprachigen und italienischsprachigen Raum – berücksichtigt. Auf regionaler und lokaler Ebene haben die Historikerinnen die Themenbereiche ausgeweitet und auch die Bereiche soziales Engagement und Wirtschaft hinzugefügt. Hier haben sie Frauen ausfindig gemacht, die bisher nicht wahrgenommen wurden. Grundkriterium dabei war, dass ausschließlich verstorbene Persönlichkeiten berücksichtigt wurden.

„Von Beginn an war mir dieses Projekt ein persönliches Anliegen, erstens weil es endlich Frauen, die Großartiges geleistet haben in den Mittelpunkt stellt und zweitens, weil es unmittelbar für die Gemeindepolitik umsetzbar ist, betont die Präsidentin der Freien Universität Bozen Prof. Ulrike Tappeiner. „Die Ergebnisse gehen aber weit darüber hinaus, denn es handelt sich zweifelsohne um einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur des Landes und ist zudem auch für Geschichts- und Kulturinteressierte von Interesse. Dabei blicken wir auf Pionierinnen in „männlich“ konnotierten Bereichen, auf Frauen, die für Emanzipation, Gleichberechtigung und Chancengleichheit einstanden, aber auch auf widerständige und verfolgte Frauen. Die Hexenverfolgung, der Widerstand und die Verfolgung in den faschistischen Diktaturen bekommen einen besonderen Platz in dieser wichtigen Publikation.“

Auf die aufwändige Recherchearbeit geht Historikerin Franziska Cont ein: „Es galt, bisher unbekannte Frauen auf regionaler und lokaler Ebene ausfindig zu machen und ihre Biografie zu erarbeiten. Während für die Erstellung der Lebensgeschichte von bereits bekannten Frauen auf vorhandenes Material zurückgegriffen werden konnte, musste die Vita dieser unbekannten Frauen ex novo über das Verfolgen ihrer Spuren in Archiven und in den Orten selbst rekonstruiert werden. Neben schriftlichen Spuren in öffentlichen Archiven und Familienarchiven wurden in den Gemeinden zahlreiche Gesprächspartner*innen ausfindig gemacht, die mit ihrer Erinnerung zur Rekonstruktion der Lebensgeschichte dieser Frauen beitrugen.“

Der Präsident des Südtiroler Gemeindeverbandes Andreas Schatzer hob bei der Pressekonferenz hervor, dass für jede Südtiroler Talschaft verdienstvolle Frauen aus der Vergessenheit geholt wurden, die sich für eine Straßenbenennung eignen: „Für unsere Baukommissionen ist es sehr wertvoll, künftig ein wissenschaftlich recherchiertes Werk zur Hand zu haben, mit dem die Erinnerungslandschaft Südtirols neu geformt werden kann. Damit haben wir eine brauchbare Handreichung für die konkrete Benennungspraxis in den Gemeinden erhalten.“

Zum Hintergrund:
Dieses Projekt wurde von der Politik an die Historikerinnen des Kompetenzzentrums für Regionalgeschichte herangetragen. Auf Vorschlag der Grünen Fraktion des Landtages wurde das Projekt zur Erstellung einer „Liste mit den Namen von Frauen, die sich in den Bereichen Geschichte, Kultur, Politik, Kunst, Wissenschaften, Sport usw. in Südtirol und in der Welt hervorgetan haben“, als Handreichung für die Gemeinden für ihre Benennungspraxis von Straßen und Plätzen in der Konvention 2020-2022 zwischen der Südtiroler Landesregierung und der Freien Universität aufgenommen und das Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte mit der Durchführung des Projektes betraut.

Das gesamte Vademecum ist als Online-Version für alle Interessierten einsehbar. In einer ersten Fassung ist es derzeit nur in deutscher Sprache verfügbar.

Finden Sie unter diesem Link das 400-Seiten starke Werk „Frauenbiografien und Straßennamen“:


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

siglinde.clementi@unibz.it
franziska.cont@unibz.it


Originalpublikation:

https://www.unibz.it/de/events/142084-vorstellung-des-projektes-frauenbiografien…


Bilder

Vorstellung der Studie durch Landeshauptmann von Südtirol Arno Kompatscher, Prof. Ulrike Tappeiner, Historikerin Franziska Cont, Historikerin Siglinde Clementi und Andreas Schatzer

Vorstellung der Studie durch Landeshauptmann von Südtirol Arno Kompatscher, Prof. Ulrike Tappeiner,
Arturo Zilli
unibz


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW