Teilen:
02.07.2025 12:57
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‚Wissenschaft‘, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Virus auf Abwegen
Das Hepatitis E-Virus (HEV) verursacht schwere Leberentzündungen. Ein Forschungsteam der Ruhr-Universität Bochum und des TWINCORE-Zentrums für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung in Hannover konnte nun erstmals nachweisen, dass es auch Nierenzellen befallen und sich darin vermehren kann. Dort wirken antivirale Medikamente wie Ribavirin weniger effizient als in der Leber. Die Ergebnisse der Studie sind in der Zeitschrift Liver International vom 27. Juni 2025 veröffentlicht.
Gesamter Lebenszyklus in der Niere möglich
Hepatitis-E-Viren befallen hauptsächlich Leberzellen und richten in der Leber mitunter die größten Schäden an. „Es war aber bekannt, dass sie sich auf Abwege begeben und andere Zellen befallen können, zum Beispiel Nervenzellen“, berichtet Letztautor Dr. André Gömer aus der Abteilung Molekulare und Medizinische Virologie der Ruhr-Universität Bochum. Dem Team aus Bochum und Hannover gelang in Zellkultur nun der Nachweis, dass die Viren auch Nierenzellen befallen und sich mit ihrer Hilfe vermehren können. „Der gesamte Replikationszyklus des Virus läuft in Nierenzellen ebenso ab wie in Leberzellen“, so Gömer.
Auf eine Therapie mit dem antiviralen Wirkstoff Ribavirin sprachen die infizierten Nierenzellen weniger gut an als die Leberzellen. „Das liegt vermutlich am Stoffwechselprofil der beiden Organe, das sich deutlich unterscheidet“, sagt André Gömer. In der Niere ist das Virus also relativ unempfindlich gegen die medikamentöse Behandlung. „Es könnte sein, dass die Niere bei chronischen Infektionen als Reservoir funktioniert, von wo aus sich die Viren nach einer vermeintlich erfolgreichen Behandlung wieder ausbreiten“, sagt Nele Meyer, Doktorandin in der Forschungsgruppe „Translationale Virologie“ am TWINCORE. Sie ist gemeinsam mit der Ärztin Avista Wahid Erstautorin der Studie. Auch könnte es ein solches Reservoir den Viren ermöglichen, sich an eine Behandlung besser anzupassen.
Evolution im Organ
Das Team führte darüber hinaus eine vergleichende genetische Analyse von Hepatitis-Viren chronisch infizierter Patient*innen aus deren Blutplasma, Stuhl und Urin durch. Während mit dem Stuhl vor allem Viren aus der Leber ausgeschieden werden, finden sich im Urin solche aus der Niere. „Die in den unterschiedlichen Proben gefundenen Viren unterscheiden sich deutlich voneinander“, berichtet Dr. Patrick Behrendt, Leiter der Gruppe „Translationale Virologie“ am TWINCORE und ebenfalls Letztautor des Artikels. „Das ist ein Hinweis darauf, dass sich die Populationen schon seit längerer Zeit unabhängig voneinander entwickelt haben und eine Art Evolution im jeweiligen Organ durchlaufen haben.“
Hepatitis E
Das Hepatitis E-Virus (HEV) ist der Hauptverursacher akuter Virushepatitiden. Nach dem ersten dokumentierten epidemischen Ausbruch 1955 bis 1956 vergingen mehr als 50 Jahre, bis Forscher sich intensiv des Themas annahmen. Akute Infektionen heilen bei Patienten mit intaktem Immunsystem normalerweise von selbst aus. Bei Patienten mit reduziertem oder unterdrücktem Immunsystem wie Organtransplantatempfängern oder HIV-infizierten Patienten kann HEV chronisch werden. Auch für schwangere Frauen ist HEV besonders bedrohlich.
Förderung
Die Arbeiten wurden unterstützt durch das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung, die VolkswagenStiftung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (398066876/GRK 2485/2 und 448974291) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (Projekt VirBio, Förderkennzeichen: 01KI2106).
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. André Gömer
Abteilung Medizinische und Molekulare Virologie
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 22232
E-Mail: andre.goemer@ruhr-uni-bochum.de
Webseite der Abteilung
Dr. Patrick Behrendt
Klinische Nachwuchsforschungsgruppe „Translationale Virologie“
TWINCORE, Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung
E-Mail: patrick.behrendt@twincore.de
Originalpublikation:
Avista Wahid, Nele Meyer et al.: Extrahepatic Replication and Genomic Signatures of the Hepatitis E virus in the Kidney, in: Liver International, 2025, DOI: 10.1111/liv.70183, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/liv.70183
Bilder
Mit HEV infizierte Nierenzellen sind mit einem grünen Fluoreszenzfarbstoff markiert. Nicht infizie …
Copyright: © TWINCORE
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
