14.01.2021 11:40
Genorte für übermäßiges Schwitzen identifiziert
Erkenntnisse von Genetikern der Universität Trier könnten helfen, die sogenannte Primäre Hyperhidrose besser zu behandeln.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Petra H. muss bei einem Vorstellungsgespräch Briefe nach Wichtigkeit sortieren. Dabei hinterlässt sie große nasse Flecken auf den Briefen. Petra H. leidet unter übermäßigem Schwitzen ohne erkennbare organische Ursache, auch Primäre Hyperhidrose genannt. Etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung sind von dieser Störung betroffen. „Die Betroffenen haben mehr als nur Schweißflecken unter den Armen. Oftmals geht bei ihnen die Hyperhidrose mit beruflichen Nachteilen, sozialer Isolation, Depression und Stress einher“, sagt Professor Jobst Meyer, Verhaltensgenetiker der Universität Trier.
Einer Arbeitsgruppe um ihn und seine Kollegin Dr. Andrea Schote-Frese ist es nun gelungen, mittels einer Kopplungsanalyse chromosomale Genorte für das übermäßige Schwitzen in Familien mit mehreren Betroffenen zu identifizieren. Die an der Universität Trier an dem dort etablierten Stressschwerpunkt forschenden Genetiker vermuteten seit Langem eine genetische Ursache für die Hyperhidrose, die sie jetzt durch ihre Arbeit bestätigen konnten.
Die Wissenschaftler haben Erbfaktoren von 89 Patienten und gesunden Familienangehörigen untersucht. Studienteilnehmer konnten unter anderem über das von Dr. Christoph Schick geleitete Deutsche Hyperhidrosezentrum (DHHZ) gewonnen werden. Für die durchgeführte Kopplungsanalyse wurden die Probanden auf jeweils mehr als 300.000 individuelle genetische Unterschiede, sogenannte Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs), genotypisiert. Dabei wird betrachtet, welche SNP-Marker in den Familien zusammen mit der Störung vererbt werden. Auf diese Weise konnten die Forscher vier Bereiche auf verschiedenen Chromosomen identifizieren, in denen die für die Hyperhidrose verantwortlichen Gene lokalisiert sein müssen. Zusätzlich wurden von 31 Studienteilnehmern alle Gene sequenziert.
Da keine verursachende Mutation in einem Gen selbst gefunden wurde, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass der Hyperhidrose eine Fehlregulation eines oder mehrerer Gene zugrunde liegt. Mutationen, die außerhalb des eigentlichen Gens liegen und dessen Fehlregulationen bewirken, sind für eine Reihe von Krankheiten verantwortlich, wie beispielsweise für Krebs. Die für die Hyperhidrose verantwortlichen genregulatorischen Elemente sollen nun durch weitere Sequenzierung bestimmt werden.
„Wenn die Gene, die für die Störung verantwortlich sind, identifiziert wurden, kann das auch bei der Behandlung von übermäßigem Schwitzen helfen“, sagt Meyer. Die Therapie der Hyperhidrose beschränkt sich derzeit auf operative Eingriffe, bei denen bestimmte Nerven durchtrennt werden, sowie Medikamente wie das Botulinumtoxin-A („Botox“). Beides ist nicht frei von teils gravierenden Nebenwirkungen. „Mit der Studie haben wir die Grundlage für gezieltere Behandlung, beispielsweise durch entsprechende Medikamente, gelegt.“
Die Ergebnisse der Trierer Forscher wurden in dem angesehenen wissenschaftlichen „open access“-Magazin PLOS ONE veröffentlicht.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Jobst Meyer
Verhaltensgenetik
E-Mail: meyerjo@uni-trier.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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