17.05.2021 17:00
Gleiche Nervenzelle – unterschiedlicher Einfluss auf die Nahrungsaufnahme
Forschende enthüllen die Vielfalt unserer Neuronen
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Die Nervenzellen, auch Neuronen genannt, in unserem Gehirn steuern alle grundlegenden Vorgänge in unserem Körper. Aus diesem Grund gibt es verschiedene Typen von Neuronen, die über bestimmte Regionen des Gehirns verteilt sind. Forschende des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung und des Exzellenzclusters für Alternsforschung CECAD der Universität zu Köln haben einen Ansatz entwickelt, mit dem sie zeigen können, dass vermeintlich gleiche Neuronen in Wirklichkeit sehr unterschiedlich sind: Sie nehmen nicht nur unterschiedliche Hormone für den Energiezustand des Körpers wahr, sondern haben auch einen unterschiedlichen Einfluss auf die Nahrungsaufnahme. Das kann sich direkt auf unseren Stoffwechsel auswirken, indem sie zum Beispiel unseren Appetit unterschiedlich stark zügeln.
Das Gehirn verarbeitet unsere Sinneswahrnehmungen, steuert unser Verhalten und speichert unsere Erinnerungen. Aufgrund dieser vielen Funktionen gibt es in verschiedenen Regionen unseres Gehirns unterschiedliche Typen von Nervenzellen mit spezifischen Aufgaben. Ein solcher Typ von Nervenzellen sind die sogenannten POMC-Neuronen, die eine wichtige Rolle im Stoffwechsel unseres Körpers spielen.
Unsere Nervenzellen sind vielfältig
“POMC-Neuronen sind entscheidend an der Kontrolle von Appetit, Energieverbrauch und Stoffwechsel beteiligt”, erklärt Nasim Biglari, frischgebackene Doktorandin und Erstautorin der Studie. “In den letzten Jahren hat sich zunehmend bestätigt, dass die POMC-Neuronen vielfältiger sind als bisher angenommen.” Solche Unterschiede resultieren zum Beispiel aus einer unterschiedlichen Reaktion auf vom Körper ausgeschüttete Hormone und fallen erst auf, wenn einzelne POMC-Neuronen miteinander verglichen werden. Wissenschaftler sprechen in einem solchen Fall von verschiedenen Subtypen der Neuronen. “Ob die verschiedenen Subtypen auch eine unterschiedliche Rolle im Stoffwechsel spielen, ist bisher noch nicht geklärt”, sagt Nasim Biglari.
Gleiche Nervenzelle – unterschiedlicher Einfluss auf die Nahrungsaufnahme
“Es ist uns nun gelungen, verschiedene Subtypen von Nervenzellen in Mäusen auf genetischer Ebene sichtbar zu machen und damit genauer zu untersuchen”, sagt Nasim Biglari. “Mit diesem neuen, genetischen Ansatz konnten wir erstmals zwei verschiedene Subtypen von POMC-Neuronen im Detail beschreiben. Unsere Ergebnisse zeigen zum Beispiel eine unterschiedliche Verteilung der beiden Subtypen innerhalb der gleichen spezifischen Hirnregion. Außerdem nehmen sie unterschiedliche Hormone für den Energiezustand des Körpers wahr. Die beiden Subtypen wirken sogar unterschiedlich auf die Nahrungsaufnahme, wobei ein Teil der POMC-Neuronen den Appetit stärker unterdrückt als der andere.” Wegen des Einflusses der POMC-Neuronen auf den Stoffwechsel und die Nahrungsaufnahme könnten diese Beobachtungen auch für Krankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes relevant sein.
“Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass die Vielfalt der POMC-Neuronen wichtig für ihre Funktion bei der Steuerung des Stoffwechsels ist. In weiteren Experimenten möchten wir verstärkt den Fragen nachgehen, wie die beiden Subtypen von POMC-Neuronen den Stoffwechsel im Detail beeinflussen und welche neuronalen Schaltkreise im Gehirn sie für ihre Wirkung einschalten”, freut sich Nasim Biglari auf zukünftige Experimente. “Ganz allgemein kann der von uns entwickelte Ansatz aber auch zur Identifizierung von Zellsubtypen in anderen Organen und für andere Zelltypen verwendet werden. Das könnte zu vielen weiteren Erkenntnissen über die Vielfalt der Zellen unseres Körpers führen.”
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Nasim Biglari, Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung, nasim.biglari@sf.mpg.de
Originalpublikation:
N. Biglari, I. Gaziano, J. Schumacher, J. Radermacher, L. Paeger, P. Klemm, W. Chen, S. Corneliussen, C. M. Wunderlich, M. Sue, S. Vollmar, T. Klöckener, T. Sotelo-Hitschfeld, A. Abbasloo, F. Edenhofer, F. Reimann, F. M. Gribble, H. Fenselau, P. Kloppenburg, F. T. Wunderlich und J. C. Brüning.
Intersectional Targeting Reveals a Refined Microcircuit Architecture of Heterogenous, Glp1r- and Lepr-expressing POMC-Neurons.
Nature Neuroscience, 2021.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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