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16.01.2024 15:44
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Günstiges Hormonverhältnis kann alkoholabhängige Menschen vor problematischem Alkoholkonsum schützen
Forschende des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Technischen Universität Dresden haben in der Fachzeitschrift American Journal of Psychiatry Studienergebnisse veröffentlicht, die ein besseres Verständnis für den Zusammenhang zwischen Hormonen und Alkoholkonsum ermöglichen. Eine nach Geschlechtern getrennte, multizentrische Längsschnittstudie, durchgeführt an 74 Frauen mit Alkoholabhängigkeit, die einen natürlichen Menstruationszyklus haben, und 278 Männern mit Alkoholabhängigkeit zeigt signifikante Zusammenhänge zwischen Menstruationszyklus, dem Verhältnis von Progesteron zu Östradiol und problematischem Trinkverhalten.
Die Studie zeigt, dass während der späten Lutealphase des Menstruationszyklus bei Frauen die Wahrscheinlichkeit für Tage mit exzessivem Trinken bei 13 Prozent lag und geringer war als in der menstruellen (17 Prozent), follikulären (19 Prozent) und ovulatorischen Phase (20 Prozent). Gleichzeitig war in der späten Lutealphase der Mittelwert des Progesteron-Östradiol-Verhältnisses im Vergleich zu anderen Zyklusphasen erhöht. Bei Männern stand ein höheres Progesteron-Östradiol-Verhältnis direkt mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für exzessives Trinken und jeglichen Alkoholkonsum in Verbindung.
Diese Ergebnisse legen nahe, dass ein höheres Progesteron-Östradiol-Verhältnis alkoholabhängige Frauen und Männer vor problematischem Alkoholkonsum schützen kann. Damit ist das Hormonverhältnis eine vielversprechende Zielgröße zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit. Dies könnte den Weg für personalisierte, zyklusabhängige Behandlungen ebnen, insbesondere für alkoholabhängige Frauen.
Professor Dr. Bernd Lenz und Sabine Hoffmann von der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim betonen die Bedeutung dieser Erkenntnis: „Unsere Forschung eröffnet neue Perspektiven für die Behandlung von Alkoholabhängigkeit. Die Erkenntnisse können dazu beitragen, geschlechtsspezifische Therapieansätze zu entwickeln, die die biologischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern berücksichtigen.“
Zur Methodik
In der multizentrischen Längsschnittstudie analysierten die Forschenden individuelle Daten zum realen Alkoholkonsum, die per Smartphone über einen Zeitraum von 12 Monaten erhoben wurden, den Menstruationszyklus und das Verhältnis von Progesteron zu Östradiol im Blut (insgesamt 667 Blutproben aus vier Untersuchungsterminen) bei 74 Frauen und 278 Männern mit Alkoholabhängigkeit.
Über das Forschungskonsortium TRR 265
Hauptrisikofaktoren für Mortalität und Morbidität weltweit sind Alkohol- und Tabakkonsum. Während das Wissen über individuelle Faktoren, die den Beginn und die Aufrechterhaltung des Substanzkonsums fördern, zunimmt, fehlt es immer noch an fundiertem Wissen über modulierende Faktoren und Mechanismen, die zum Verlust und zur Wiedererlangung der Kontrolle über den Drogenkonsum beitragen. Ein besseres Verständnis dieser Faktoren und Mechanismen wird entscheidend sein, um die Behandlung von Suchterkrankungen zu verbessern. Das Ziel des Forschungskonsortiums TRR 265 ist es, die Verläufe des Verlusts und der Wiedererlangung der Kontrolle über den Drogenkonsum zu identifizieren, die zugrundeliegenden neurobiologischen und Lernmechanismen zu untersuchen und mechanismusbasierte Therapien zu entwickeln. Mehr unter trr265.org
Originalpublikation:
Hoffmann S et al., Associations of Menstrual Cycle and Progesterone-to-Estradiol Ratio With Alcohol Consumption in Alcohol Use Disorder: A Sex-Separated Multicenter Longitudinal Study. Am J Psychiatry, doi: 10.1176/appi.ajp.20230027
https://doi.org/10.1176/appi.ajp.20230027
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin, Psychologie
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Forschungsergebnisse
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