06.05.2020 18:34
HHU-Physiker: Kein Einfluss dunkler Materie auf die Kraft zwischen Atomkernen nachweisbar
Physik: Veröffentlichung in NATURE
Auch wenn der größte Teil des Universums aus dunkler Materie besteht, ist sehr wenig über sie bekannt. Physiker der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) um Prof. Stephan Schiller haben in einem Hochpräzisionsexperiment nach einer Wechselwirkung zwischen dunkler und normaler Materie gesucht. Ihre Ergebnisse stellen sie in der heutigen Ausgabe der Fachzeitschrift NATURE vor.
Das Universum besteht zum überwiegenden Teil aus einer neuartigen Substanz und einer unverstandenen Energieform. Aber: Diese sogenannte „dunkle Materie“ und „dunkle Energie“ sind weder mit dem Auge noch mit Teleskopen direkt sichtbar. Astronomen können sie nur indirekt aufgrund der Form von Galaxien und den übergeordneten Bewegungen im Kosmos nachweisen. Denn diese dunklen Formen verraten sich bisher einzig über die Gravitationskraft, die auch die kosmischen Strukturen der normalen, sichtbaren Materie bestimmt.
Es ist noch nicht bekannt, ob die dunkle Materie auch über die anderen drei Fundamentalkräfte – elektromagnetische Kraft, schwache und starke Kernkraft – mit sich selbst und mit gewöhnlicher Materie wechselwirkt. Experimentatoren konnten – auch mit sehr aufwändigen Aufbauten – bisher keine derartige Wechselwirkung messen; wenn es sie überhaupt gibt, muss sie deshalb extrem schwach sein.
Um mehr Licht ins Dunkle zu bringen, lassen Wissenschaftler weltweit in verschiedenen neuartigen Experimente die drei nicht-gravitativen Fundamentalkräfte möglichst ungestört wirken und versuchen, diese Wirkung sehr genau zu vermessen. Gibt es Abweichungen von den erwarteten Wirkungen, können diese auf einen Einfluss von dunkler Materie oder Energie hinweisen. Manche dieser Experimente werden an gigantischen Forschungsmaschinen wie zum Beispiel am europäischen Zentrum für Teilchenphysik CERN in Genf durchgeführt. Es geht aber auch kleiner, so zum Beispiel in einem Laborexperiment in Düsseldorf, das auf höchstmögliche Präzision ausgelegt ist.
Das Team um Prof. Stephan Schiller vom Institut für Experimentalphysik der HHU präsentiert in NATURE die Ergebnisse eines Präzisionsexperiments zur Vermessung der elektrischen Kraft zwischen dem Proton (kurz „H“) und dem Deuteron (kurz „D“). Beides sind sogenannte Isotope des Wasserstoffs: Während der normale Wasserstoff nur aus einem einzigen Baustein im Atomkern – einem Proton – besteht, weist das schwerere Deuteron im Kern ein Proton und ein Neutron auf.
Untersucht wird von den Düsseldorfer Physikern ist ein ungewöhnliches Objekt: HD+, das Ion des teilweise deuterierten Wasserstoffmoleküls. Diesem Ion fehlt eines der sonst zwei Elektronen in der Molekülhülle. HD+ wird also nur von einem einzigen Elektron gebunden, das die abstoßende elektrische Kraft zwischen Proton und Deuteron kompensiert.
Daraus resultiert ein bestimmter Abstand zwischen Proton und Deuteron, die sogenannte Bindungslänge. Um diesen Abstand zu bestimmen, haben die HHU-Physiker die Rotationsrate des Moleküls auf elf Stellen genau bestimmt, mittels einer von ihnen kürzlich entwickelten Spektroskopietechnik. Die Forscher verwendeten dabei unter anderem Konzepte, die auch auf dem Gebiet der Quantentechnologie relevant sind, wie Teilchenfallen und laser-basierte Atomkühlung.
Es ist überaus kompliziert, aus den spektroskopischen Messergebnissen auf die Bindungslänge und damit auf die Stärke der zwischen Proton und Deuteron wirkenden Kraft zu schließen. Das liegt daran, dass diese Kraft quantenphysikalische Eigenschaften besitzt. Die in den 1940er Jahren aufgestellte Theorie der Quantenelektrodynamik (QED) kommt hier zur Anwendung. Ein Mitglied des Teams der aktuellen NATURE-Veröffentlichung hat zwei Jahrzehnte lang die komplexen Berechnungen vorangetrieben und konnte schließlich eine hinreichend präzise Vorhersage für die Bindungslänge liefern.
Diese Vorhersage stimmt mit dem Düsseldorfer Messergebnis überein. Daraus lässt sich nun schließen, wie groß höchstens eine mögliche Modifikation der Proton-Deuteron-Kraft durch dunkle Materie sein kann. Prof. Schiller: „Mein Team hat diese obere Grenze um mehr als das 20-fache gedrückt. Wir konnten zeigen, dass die dunkle Materie noch viel weniger mit der normalen Materie wechselwirkt, als bisher noch denkbar gewesen war. Diese mysteriöse Materieform hält sich also, zumindest im Labor, weiterhin bedeckt!“
Originalpublikation:
S. Alighanbari, G. S. Giri, F. L. Constantin, V. I. Korobov & S. Schiller, Precise test of quantum electrodynamics and determination of fundamental constants with HD+ ions, NATURE (2020)
DOI: 10.1038/s41586-020-2261-5
Weitere Informationen:
https://www.nature.com/articles/s41586-020-2261-5
https://rdcu.be/b3Zsm
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch