14.09.2021 10:43
Modell zur Errechnung des Böschungswinkels von Sandhügeln entwickelt
Geophysiker lösen ein zentrales Problem der Physik und liefern neue Erkenntnisse für Anwendungen in vielfältigen Gebieten von der Planetenforschung bis zum 3-D-Druck / Veröffentlichung in PNAS
Eine seit langem bestehende Problemstellung in den Naturwissenschaften und der Industriepraxis ist die Vorhersage des Böschungswinkels bzw. Schüttwinkels für aufgeschüttete Hügel aus trockenem zusammenhaltendem körnigem Material. Mithilfe von numerischen (partikelbasierten) Simulationen konnten die Geophysiker Dr. Eric Parteli (bis 2020 Universität zu Köln, nun Universität Duisburg-Essen) und Filip Elekes (Universität zu Köln) ein mathematisches Modell entwickeln und die bis Dato bestehende Wissenslücke schließen.
Viele erinnern sich noch an das Spielen im Sandkasten als Kind: Lässt man Sand aufeinander rieseln, dann bildet sich ein Sandkegel, der je nach Größe der Sandkörner etwas unterschiedlich aussieht. „In der Physik ist hier vor allem der Winkel des Schüttkegels, der durch den fließenden Sand entstanden ist, interessant, der sogenannte Böschungswinkel“, sagt Filip Elekes, Erstautor des nun in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlichten Artikels. „Der Böschungswinkel stellt ein Maß für das Fließverhalten des Granulats dar: Je fließfähiger das Granulat, desto kleiner der Böschungswinkel.“
Das Zusammenspiel aus Partikelgröße, Fließverhalten (Böschungswinkel) und Schwerkraft (Gravitationsbeschleunigung) ist für verschiedene industrielle Anwendungen von besonderer Wichtigkeit, wie etwa für die additive Fertigung (z.B. beim 3-D-Druck). Auch in der Raum- und Planetenforschung wird das Verständnis für granulare Materie und Pulversysteme immer wichtiger. „In Zukunft sollen beispielsweise Bauteile für Raumsonden direkt in der Raumstation oder gar auf der Oberfläche des Mondes oder des Mars gedruckt werden“, so Dr. Parteli, der eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten sieht. Denn: Für die richtige Wahl der Partikelgröße muss der oben beschriebene Zusammenhang quantitativ verstanden werden. „Da setzen wir an. Ein mathematisches Modell für den Böschungswinkel als Funktion der Partikelgröße und der jeweiligen Gravitationsbeschleunigung würde Planetenforscher:innen ermöglichen, etwa aus den Hangneigungen einer außerirdischen Sedimentlandschaft auf die Partikelgröße einer Planetenoberfläche zu schließen.“
Um solch ein Modell zu erzielen, verwendeten die Wissenschaftler in ihrer Arbeit teilchenbasierte numerische Simulationen, auch Diskrete-Elemente-Simulationen genannt. Bei solchen Simulationen werden die Newtonschen Translations- und Rotationsbewegungsgleichungen für jedes einzelne Teilchen numerisch gelöst unter Berücksichtigung eines Modells für die auf die Teilchen wirkenden Kräfte. Diese Kräfte sind die Schwerkraft, die Kontakt- bzw. Reibungskräfte zwischen den miteinander in Berührung stehenden Partikeln sowie die recht schwach ausgeprägten elektrostatischen Kräfte, die zwischen Molekülen und Atomen stets wirken (van-der-Waals-Wechselwirkungen).
Mit Hilfe der Simulationen erzeugten sie zahlreiche Schüttkegelmodelle aus verschiedenen Kombinationen von Teilchendurchmesser und Gravitationsbeschleunigung, um aus den Ergebnissen dann eine mathematische Gleichung für den Böschungswinkel als Funktion dieser Parameter abzuleiten. „Wir haben dabei den Teilchendurchmesser systematisch von 50 Mikrometer bis 10 Meter variiert und die Gravitationsbeschleunigung von 6 Prozent der irdischen Schwerkraft, was etwa der Bedingung auf dem Planeten Pluto entspricht, bis hin zum hundertfachen der Gravitationsbeschleunigung der Erde“, beschreibt Filip Elekes die Bandbreite ihrer Arbeit. Als Granulat für ihre Simulationen nutzten sie Glaskugeln, da für Glaskugeln zahlreiche experimentelle Ergebnisse zum Böschungswinkel als Funktion des Teilchendurchmessers vorliegen. Mit diesen experimentellen Beobachtungen konnten sie ihr Modell unter irdischer Gravitationsbedingung validieren und eine mathematische Gleichung für den Böschungswinkel als Funktion des Partikeldurchmessers und der Gravitationsbeschleunigung entwickeln.
Ursprünglich hatten sich Filip Elekes und Dr. Eric Parteli die Frage gestellt: Sind Sandhügel auf dem Mond aufgrund der dort herrschenden niedrigeren Gravitationsbeschleunigung steiler als auf der Erde? Durch ihre Forschung können sie nun eine klare Antwort geben: „Ja“, hält Filip Elekes fest, dessen Bachelorarbeit 2018 mit dieser Ausgangsfrage den ersten Anstoß gab. „Ein Sandhügel – zumindest der in der Simulation aus Glaskugeln nachgebaute – ist auf dem Mond etwa 10° steiler als auf der Erde, da auf dem Mond nur 17 Prozent der irdischen Gravitation wirken.“ Auf dem Pluto, wo lediglich 6 Prozent der irdischen Gravitationsbeschleunigung vorhanden sind, wäre ein solcher Schüttkegel sogar 20° steiler als auf unserem Planeten. Die beiden Geophysiker beobachteten darüber hinaus, dass dieser Unterschied in dem Böschungswinkel für verschiedene Gravitationsbeschleunigungen größer wird, je kleiner der Partikeldurchmesser ist.
Inhaltlicher Kontakt:
Filip Elekes
Institut für Geophysik und Meteorologie
+49 221 470 3683
f.elekes@uni-koeln.de
Dr. Eric Josef Ribeiro Parteli
Universität Duisburg-Essen
Fakultät für Physik
+49 203 379 4757
eric.parteli@uni-due.de
Presse und Kommunikation:
Hannah Reiter
+49 221 470 2356
h.reiter@verw.uni-koeln.de
LINK: https://www.pnas.org/content/118/38/e2107965118
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Geowissenschaften, Meer / Klima, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch