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07.02.2024 17:00
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Stress beeinflusst via Immunsystem Gehirn und Psyche
Chronischer Stress wirkt sich auf das Immunsystem und das Gehirn aus. Forschende der UZH zeigen, dass unter Stress ein bestimmtes Enzym aus Immunzellen ins Gehirn gelangt. Bei Mäusen bewirkt es, dass sie sich zurückziehen und soziale Kontakte meiden. Dieser neu entdeckte Zusammenhang von Körper und Geist bei stressbedingten psychischen Erkrankungen könnte zu neuen Behandlungen bei Depressionen führen.
Chronischer Stress hat tiefgreifende Auswirkungen auf den Körper. So gehen zum Beispiel viele stressbedingte psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen mit Veränderungen des Immunsystems einher. Die zugrundeliegenden Mechanismen, wie diese Veränderungen das Gehirn beeinflussen, sind jedoch noch weitgehend unbekannt.
Enzym von Immunzellen im Blut beeinträchtigt Nerven im Gehirn
Einen zentralen Mechanismus hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Zürich (UZH), der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) und der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, nun entschlüsselt. «Wir konnten zeigen, dass Stress die Menge des Enzyms Matrixmetalloproteinase 8, kurz MMP8, im Blut von Mäusen erhöht. Dieselbe Veränderung fanden wir auch in Patientinnen und Patienten mit einer Depression», sagt Erstautor Flurin Cathomas. Vom Blut gelangt MMP8 ins Gehirn und verändert dort die Funktionstüchtigkeit bestimmter Nervenzellen. Bei den betroffenen Mäusen führt dies zu Verhaltensänderungen: Sie ziehen sich zurück und meiden soziale Kontakte.
Möglicher Ansatzpunkt zur Behandlung von Depressionen
Neu sind die Ergebnisse gemäss Cathomas in zweifacher Hinsicht: «Erstens beschreiben wir einen neuartigen ‹Body-Mind-Mechanismus›, der nicht nur für stressassoziierte psychiatrische Erkrankungen relevant sein könnte, sondern möglicherweise auch für andere Krankheiten, die sowohl das Immun- als auch das Nervensystem beeinflussen». Und zweitens, so der Psychiater, hätten sie mit MMP8 ein spezifisches Protein identifiziert, das ein potenzieller Ansatzpunkt für eine neue Depressionstherapie sein könnte.
Veränderungen am stützenden Gerüst der Nervenzellen
Im Tiermodell konnten die Forschenden zeigen, dass bei Stress vermehrt Monozyten – eine bestimmte Art weisser Blutkörperchen – ins Gefässsystem des Gehirns wandern, besonders in die Regionen des Belohnungszentrums. Diese Immunzellen produzieren das Enzym MMP8. Es ist am Umbau und der Regulation des netzartigen Gerüsts beteiligt, das die Nervenzellen im Gehirn umgibt – die sogenannte extrazelluläre Matrix. «Dringt das Protein aus dem Blut ins Hirngewebe ein, verändert es das Zellgerüst und stört so die Funktion der Nervenzellen. Betroffene Mäuse verändern dadurch ihr Verhalten vergleichbar mit Menschen mit einer Depression», sagt Flurin Cathomas.
Um nachzuweisen, dass tatsächlich MMP8 für die Verhaltensänderungen verantwortlich ist, entfernten die Forschenden bei einem Teil der Mäuse das MMP8-Gen. Diese Tiere waren im Vergleich zu Kontroll-Mäusen vor den negativen stressbedingten Verhaltensänderungen geschützt. «Dass die in den Mäusen gefundenen Ergebnisse auch für Menschen relevant sind, zeigen unsere Analysen im Blut von depressiven Patienten. Sowohl die Monozyten als auch das MMP8-Enzym waren bei ihnen im Vergleich zu gesunden Probanden vermehrt vorhanden», so Cathomas.
Klinische Studie mit depressiven Patienten geplant
Bevor die Ergebnisse in die klinische Praxis implementiert werden können, braucht es noch viele weitere Studien. «Unsere Arbeit zeigt aber einmal mehr auf, wie wichtig das Zusammenspiel zwischen dem Immunsystem und dem Gehirn bei der Entstehung von psychiatrischen Erkrankungen ist. Diese Erkenntnisse fliessen schon heute in die psychiatrische Behandlung mit ein», so Cathomas. Auf der von ihm geleiteten Spezialstation für integrative Versorgung an der PUK werden Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen psychiatrischen Erkrankungen in Sinne einer ganzheitliche Mind-Body-Herangehensweise nach neuestem wissenschaftlichem Stand behandelt.
Das Forscherteam plant nun klinische Studien, um zu untersuchen, inwieweit das Immunsystem durch die Stimulation gewisser Gehirnareale beeinflusst werden kann. Und ob allfällige Veränderungen in den Abwehrzellen einen Einfluss auf das Verhalten depressiver Patienten haben.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
PD Dr. med. Flurin Cathomas
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Tel. +41 58 384 33 12
E-Mail: flurin.cathomas@pukzh.ch
Originalpublikation:
Literatur:
Flurin Cathomas, Hsiao-Yun Lin, Kenny L. Chan, Long, Lyonna F. Parise, Johana Alvarez, et. al. Peripheral immune-derived matrix metalloproteinase promotes stress susceptibility and depression. Nature. 7 February 2024. DOI: 10.1038/s41586-023-07015-2
Weitere Informationen:
https://www.news.uzh.ch/de/articles/media/2024/Immunsystem-und-Psyche.html
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch