Synthetische Polymere gegen Pilzinfektionen



Teilen: 

23.08.2024 10:17

Literature advertisement

Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Synthetische Polymere gegen Pilzinfektionen

Ein Chemie-Doktorand strandet am Leibniz-HKI in Jena und nutzt die Zeit für Forschung an Candida albicans

Kombiniert mit Anti-Pilz-Medikamenten wirken synthetische Polymere besonders effektiv gegen Candida albicans. Das fand ein deutsch-australisches Forschungsteam heraus und klärte auch den Wirkmechanismus dahinter auf. Ihre Ergebnisse präsentierten die Forschenden in Nature Communications. Die internationale Zusammenarbeit kam zufällig durch einen ungeplanten Forschungsaufenthalt zustande, der die Studie am Leibniz-HKI in Jena initiierte.

Jährlich sind über zwei Millionen Menschen von invasiven Pilzinfektionen betroffen, die häufig durch Candida-Spezies verursacht werden und mit hohen Sterblichkeitsraten einhergehen. Die Entwicklung neuer Therapien geht sehr langsam voran. Der Bedarf steigt dagegen, zumal sich immer häufiger Arzneimittelresistenzen bilden. Ein interdisziplinäres Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Sascha Brunke vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI) hat nun die Wirkungsweise und das therapeutische Potenzial synthetischer Polymere untersucht. Diese langkettigen chemischen Verbindungen ahmen in der Natur vorkommende Peptide nach und hemmen das Wachstum von Mikroorganismen. Der genaue Wirkmechanismus war bislang noch unklar. Das Rätsel wurde nun jedoch gelöst – verantwortlich dafür war ausgerechnet die Corona-Pandemie.

Von Australien nach Jena

Der Doktorand Sebastian Schäfer, der an der University of New South Wales (UNSW) im Chemieingenieurwesen an der Entwicklung von antimykotischen Polymeren arbeitete, befand sich gerade in Deutschland, als Australien pandemiebedingt seine Grenzen schloss und Schäfers Rückkehr an die UNSW verhinderte. Doch der Biotechnologe machte aus der Not eine Tugend und verlagerte seine Forschung zeitweise ans Leibniz-HKI nach Jena, wo er die Abteilung Mikrobielle Pathogenitätsmechanismen um eine chemische Facette bereicherte und sich dort krankmachenden Pilzen zuwandte. Dies führte nicht nur zu neuen Forschungsansätzen, sondern auch zu einer sehr erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Naturstoff-Forscher*innen und Infektionsbiolog*innen aus Deutschland und Australien.

Neue synthetische Polymere mit starker Wirksamkeit

Das so unerwartet zusammengekommene Team entwickelte mehrere synthetische Polymere aus der Familie der Polyacrylamide, die eine starke Wirksamkeit gegen Candida albicans zeigten, sogar gegen resistente Stämme. Besonders das Polymer namens LH wirkte zusammen mit dem Medikament Caspofungin äußerst effektiv gegen den Pilz und verbesserte deutlich die Überlebensrate von infizierten Mottenlarven in Laborversuchen.

Rundumschlag gegen Pilzzellen

Das Team deckte in der Studie erstmals auch das genaue Wirkprinzip der Verbindungen auf. „Die synthetischen Polymere greifen die Pilzzellen auf verschiedene Weisen gleichzeitig an. Sie nutzen dabei auch neue Zielstrukturen, und sind deshalb sehr effizient. Das ist der Unterschied zu gängigen Antimykotika, die nur einseitig wirken“, berichtet Raghav Vij, der neben Sebastian Schäfer einer der Autor*innen der Studie ist. So verursachten die Verbindungen Stress in der Pilzzelle und schwächten sie, indem sie die Glykosylierung an der Zelloberfläche behinderten. Bei diesem chemischen Prozess werden Zuckerketten an Proteine gebunden, was für die Stabilität und Funktion der Zellen wichtig ist. Die Polymere schädigten außerdem Wände und Membranen der Pilzzellen, wodurch diese abstarben. Zusätzlich unterstützten die Polymere auch Immunzellen bei der Vernichtung von Pilzzellen, wie man in Interaktionstests feststellte.

Hoffnung bei resistenten Pilzen

„Bemerkenswert war auch, dass LH zusammen mit Anti-Pilz-Mitteln im Labor nicht zur Entwicklung von Resistenzen bei C. albicans führte. Das deutet darauf hin, dass solche Kombinationstherapien nicht nur effektiver, sondern auch nachhaltiger als bisherige Therapien sind und so zu einem besseren Behandlungserfolg führen können“, erklärt Vij. Ein weiterer Pluspunkt: „Die Produktion synthetischer Polymere ist relativ kostengünstig. Zudem sind sie im Vergleich zu herkömmlichen Wirkstoffen stabil und lagerfähig. Insbesondere in einkommensschwachen Ländern könnten sie also einen bedeutenden Beitrag zur öffentlichen Gesundheit leisten“, resümiert Sascha Brunke.

Bis es soweit ist, bedarf es aber noch weiterer Forschung. „Getestet wurden die Polymere bisher nur im Insektenmodell. Ob auch Menschen die neue Therapie gut vertragen, muss erst ausführlich untersucht werden“, gibt Brunke zu bedenken. Zusätzlich besteht noch Optimierungsbedarf an der Struktur der entwickelten Polymere. „Wir wissen noch nicht genau, welche molekularen Bestandteile der Polymere welche Teile des Pilzes beeinflussen. Das Zielmolekül fehlt uns sozusagen noch“, so Vij. Außerdem muss geprüft werden, ob die Polymere schädliche Auswirkungen auf den Menschen oder die Umwelt haben. Die Forschungsergebnisse deuten trotz allem schon jetzt in eine positive Richtung und geben Hoffnung auf wirksame neue Therapieoptionen.

Die Studie entstand im Rahmen des Exzellenzclusters „Balance of the Microverse“ und wurde unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Beteiligte Institutionen

Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut, Jena, Deutschland
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland
Universitätsklinikum Jena, Deutschland
Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum, Deutschland
Centre for Structural Systems Biology, Hamburg, Deutschland
University of New South Wales, Sydney, Australien
Macquarie University, North Ryde, Australien


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Sascha Brunke
Mikrobielle Pathogenitätsmechanismen, Leibniz-HKI
Stellvertretender Abteilungsleiter
+49 3641 532-1222
sascha.brunke@leibniz-hki.de


Originalpublikation:

Schaefer S, Vij R, Sprague JL, Austermeier S, Dinh H, Judzewitsch PR, Müller-Loennies S, Lopes Silva T, Seemann E, Qualmann B, Hertweck C, Scherlach K, Gutsmann T, Cain AK, Corrigan N, Gresnigt MS, Boyer C, Lenardon MD, Brunke S (2024) A synthetic peptide mimic kills Candida albicans and synergistically prevents infection. Nature Communications 15 (6818), https://doi.org/10.1038/s41467-024-50491-x.


Bilder

Raghav Vij (links) und Sebastian Schäfer.

Raghav Vij (links) und Sebastian Schäfer.

Sebastian Schäfer/privat

Eine elektronenmikroskopische Aufnahme der Zellwand der pathogenen Hefe C. albicans zeigt die dramatische Wirkung des antimykotischen Polymers LH (B) auf die äußere Zellwandschicht im Vergleich zu unbehandelten Zellen (A).

Eine elektronenmikroskopische Aufnahme der Zellwand der pathogenen Hefe C. albicans zeigt die dramat
Eric Seemann/EMZ Jena
Eric Seemann/EMZ Jena. Credit: https://doi.org/10.1038/s41467-024-50491-x


Anhang

attachment icon Candida albicans Hyphe (blau gefärbt) dringt in menschliche Zellen ein.


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW