TRiC kennt den Trick – Wie Planarien in Hungerphasen regenerieren können



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30.06.2021 14:23

TRiC kennt den Trick – Wie Planarien in Hungerphasen regenerieren können

Planarien sind in der Lage, lange Fastenperioden unbeschadet zu überstehen, indem sie ihren Stammzellpool und ihre Regenerationsfähigkeit aufrechterhalten. Die molekularen Prozesse dahinter sind bisher nicht bekannt. Jenaer Forscher vom Leibniz-Institut für Alternsforschung (FLI) konnten zeigen, dass nur während des Fastens die Herunterregulierung der Chaperonin-Untereinheiten TRiC/CCT die Regenerationsfähigkeit von Planarien aufhebt. Bei Nahrungsrestriktion ist TRiC/CCT unabdingbar, um die Zellteilung und so die Regeneration in der Hungerphase aufrechtzuerhalten. TRiC schafft das, indem es UPR, die Antwort auf fehlgefaltete Proteine, aktiviert und so Energie für die Regeneration freisetzt.

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Jena. Planarien (Schmidtea mediterranea, Plattwürmer) sind ein extremes Beispiel für eine ausgesprochen gute Regenerationsfähigkeit. Sie besitzen eine große Menge an Stammzellen, die es ihnen erlaubt, ihren Körper nach Verletzung innerhalb weniger Tage vollständig zu regenerieren. Während dieses Regenerationsprozesses haben die Plattwürmer einen hohen Bedarf an neuen Zellen, um durch schnelles Wachstum neues Gewebe zu bilden. Die Regeneration ist somit ein sehr energieaufwändiger Prozess, der von den Tieren die Bereitstellung enormer Ressourcen abverlangt.

Bemerkenswert ist auch die Fähigkeit, längere Hungerphasen unbeschadet zu überstehen. Dazu halten die Planarien die relative Anzahl ihrer Stammzellen aufrecht. Das bedeutet, dass sich dieser Stammzellpool genauso regenerieren kann, wie bei Planarien ohne Hungerphasen. Die Aufrechterhaltung der Stammzellen während einer Hungerphase ist daher eine besondere Strategie, um z.B. bei besserem Nahrungsangebot oder als Antwort auf eine Verletzung, ein schnelleres Wachstum zu ermöglichen. Die molekularen Prozesse, die beim Fasten für die Aufrechterhaltung der Regeneration erforderlich sind, sind jedoch bisher nicht bekannt.

Forscher vom Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena haben in einer jetzt bei EMBO Reports erschienenen Studie untersucht, welchen Einfluss der Hungerzustand auf die Regenerationsfähigkeit von Planarien hat, und wie sie dabei ihre Stammzellen erhalten. Um die Transkriptionsprofile von Stammzellen in verschiedenen Hungerzuständen der Planarien zu bestimmen, wurden mittels FACS-Analyse deren Zellen sortiert und die Genexpression von ausgehungerten und wohlgenährten Stammzellen verglichen, um Regulatoren der Regeneration beim Hungern zu entschlüsseln.

Fasten verstärkt die Proteostase

„Wir fanden heraus, dass bei längeren Hungerphasen die Stammzellen vor allem die Qualitätskontrolle und Erhaltung der Proteine priorisierten,“ berichtet Dr. Cristina González-Estévez vom FLI, die zusammen mit den beiden Erstautoren Dr. Óscar Gutiérrez-Gutiérrez und Dr. Daniel A. Felix die Planarien-Versuche betreute. Die Aufrechterhaltung der Proteostase (Proteinhomöostase) ist für die richtige Funktionalität der Zellen essentiell. Sie wird durch das Proteostase-Netzwerk reguliert, das u.a. die Proteinsynthese, die Faltung, den Transport sowie den Abbau von Proteinen koordiniert. Dieses Netzwerk wird durch Alternsprozesse stark beeinträchtigt, kann aber durch eine Kalorienrestriktion (Diät), die auch die Lebensspanne verlängern kann, gestärkt werden.

TRiC/CCT-Komponente wichtig für Regeneration in Hungerphasen

„Beim Vergleich der Transkriptionsprofile fanden wir heraus, dass in den Stammzellen der Planarien beim Hungern vor allem TRiC/CCT-Komponenten gehäuft auftraten,“ erläutert Dr. Gutiérrez-Gutiérrez. TRiC (TCP1-Ring-Komplex) ist ein Chaperonin, das bei der Proteinfaltung hilft, die Aggregation von fehlgefalteten Proteinen zu verhindern. Es ist auch ein Teil des Proteostase-Netzwerkes. „Dieser Komplex bestehend aus 8 Untereinheiten ist für die Regeneration speziell bei langen Hungerphasen enorm wichtig, hat aber kurzeitig unter normalen Bedingungen keinen Einfluss,“ ergänzt Dr. Felix.

TRiC reguliert die UPR und steuert Stressantwort

Weiterführende Studien der Forscher zeigten, dass die CCT-Untereinheiten vor allem für die Teilung der Stammzellen (mitotische Treue) während der Regeneration notwendig sind und TRiC diese Funktion durch die Regulierung der “Unfolded Protein Response” (UPR) am endoplasmatischen Retikulum (ER) ausübt. ER ist eine weitere Komponente des Proteostase-Netzwerkes und der Ort, wo die Biosynthese, Faltung und Reifung von Proteinen stattfindet. „Wird das ER mit fehlgefalteten Proteinen überlastet, steigt der Stresspegel an und die UPR wird aktiviert, was zu einer erhöhten Proteostase und zum Überleben der Zelle führt. Gelingt es der UPR jedoch nicht, dass ER wieder zu normalisieren, kann der übermäßige Stress den Zelltod verursachen,“ fasst Dr. González-Estévez die neu gefundenen Ergebnisse zusammen.

„Die CCTs-vermittelte UPR-Induktion ist ein Mechanismus, von dem erstmalig gezeigt wurde, dass er zu der außergewöhnlichen Fähigkeit von Planarien beiträgt, sich auch unter Hungerbedingungen vollständig regenerieren zu können,“ erläutert Prof. K. Lenhard Rudolph, Forschungsgruppenleiter am FLI und Professor für Molekulare Medizin der FSU. „Dies deutet auf eine neuartige regulatorische Achse hin, die bisher in keinem anderen Modellsystem beschrieben wurde.“ In Zusammenarbeit mit dem Labor von Prof. Rudolph konnte Dr. González-Estévez bestätigen, dass diese Regulation auch in einem regenerativen System von Säugetieren stattfindet, z.B. in hämatopoetischen Stamm- und Vorläuferzellen (HSPCs) der Maus unter Glukose-Entzug.

Erhöhung der Proteostase schützt Stammzellen während Hungerphase

Die Forscher schlagen daher ein Modell vor, bei dem die CCT-Untereinheiten als Reaktion auf den Hunger hochreguliert werden und diese Stressreaktion wiederum die UPR aktiviert, die daraufhin die Regenerationsfähigkeit steigert. Die Aktivierung dieses Schutzweges ermöglicht die mitotische Treue und induziert eine metabolische Anpassung der hungernden Tiere, möglicherweise durch die zusätzliche Bereitstellung von Energie und/oder Lipiden, die für das Zellwachstum und Zellteilung benötigt werden.

„Unsere Arbeit legt nahe, dass die Erhöhung der Proteostase ein Weg ist, den Planarien nutzen, um ihre Stammzellen während des Fastens zu schützen. Die zukünftige Forschung wird zeigen, ob dies ein Mechanismus ist, der in Stammzellen auch unter anderen Arten von Stress aktiviert wird und die Unsterblichkeit von Planarien erklärt,“ resümiert Dr. González-Estévez.

Publikation

Regeneration in starved planarians depends on TRiC/CCT subunits modulating the unfolded protein response. Óscar Gutiérrez-Gutiérrez, Daniel A. Felix, Alessandra Salvetti, Elias M. Amro, Anne Thems, Stefan Pietsch, Andreas Koeberle, K. Lenhard Rudolph, Cristina González-Estévez. EMBO Rep 2021, e52905. DOI 10.15252/embr.202152905.

https://www.embopress.org/doi/full/10.15252/embr.202152905

Kontakt

Dr. Kerstin Wagner
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: 03641-656378, E-Mail: presse@leibniz-fli.de

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Hintergrundinformation

Das Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena widmet sich seit 2004 der biomedizinischen Alternsforschung. Rund 350 Mitarbeiter aus ca. 40 Nationen forschen zu molekularen Mechanismen von Alternsprozessen und alternsbedingten Krankheiten. Näheres unter http://www.leibniz-fli.de.

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 96 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.500 Personen, darunter 11.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 2 Milliarden Euro (http://www.leibniz-gemeinschaft.de).


Originalpublikation:

Regeneration in starved planarians depends on TRiC/CCT subunits modulating the unfolded protein response. Óscar Gutiérrez-Gutiérrez, Daniel A. Felix, Alessandra Salvetti, Elias M. Amro, Anne Thems, Stefan Pietsch, Andreas Koeberle, K. Lenhard Rudolph, Cristina González-Estévez. EMBO Rep 2021, e52905. DOI 10.15252/embr.202152905.


Anhang

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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW