Wie AfD-Wahlergebnisse rechtsextreme Demonstrationen hervorrufen



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20.12.2021 10:37

Wie AfD-Wahlergebnisse rechtsextreme Demonstrationen hervorrufen

In weltoffen orientierten Kommunen steigt die Wahrscheinlichkeit rechtsextremer Demonstrationen, wenn rechtspopulistische Parteien bei Wahlen besser abschneiden als erwartet. Dies ergibt eine neue Untersuchung am Beispiel von Landtagswahlergebnissen der AfD. Die Studie zeigt einen Überraschungseffekt bei Menschen, die zuvor annahmen, dass ihre Haltung weniger akzeptiert ist.

Soziale Normen hängen stark davon ab, was Menschen über die Ansichten anderer Menschen annehmen. Das bedeutet auch, dass sich Normen dann ändern können, wenn neue Informationen über die Haltungen anderer sichtbar werden, wie es bei der Veröffentlichung von Wahlergebnissen der Fall sein kann. Wie sich Wahlerfolge von rechtspopulistischen Parteien in dieser Hinsicht auswirken, ist bislang vor allem für die Zunahme von Hasskriminalität und die Veränderung künftiger Wahlabsichten erforscht worden. Dr. Felix Hagemeister von der Hochschule für Politik (HfP) an der Technischen Universität München (TUM) hat nun untersucht, wie die Wahlergebnisse der Alternative für Deutschland (AfD) und die Zahl rechtsextremer Demonstrationen zusammenhängen.

Für seine Studie berücksichtigte Hagemeister Umfrageergebnisse der AfD im Vorfeld der zehn Landtagswahlen in Flächenstaaten zwischen September 2013 und September 2017 und die Wahlergebnisse der Partei. Letztere erfasste er sowohl auf Landesebene als auch in allen Kommunen der jeweiligen Bundesländer. Für denselben Zeitraum ermittelte er aus Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen, in welchen Kommunen es zu welchem Zeitpunkt Demonstrationen gab, die als rechtsextrem eingestuft wurden. Der Großteil der rund 1.300 Kundgebungen hatte fremdenfeindliche Forderungen zum Thema.

Wahrscheinlichkeit für rechtsextreme Demonstration bis zu 30 Prozent erhöht

Die Auswertung der Daten zeigt einen deutlichen Zusammenhang zwischen überraschenden Wahlerfolgen der AfD auf Landesebene und rechtsextremen Demonstrationen – und zwar in denjenigen Kommunen, in denen der Stimmanteil der Partei vergleichsweise niedrig lag, die also als relativ weltoffen orientiert gelten können. Hatten die Umfrageinstitute das landesweite Wahlergebnis der Partei unterschätzt, erhöhte sich beispielsweise in Kommunen, in denen das AfD-Ergebnis um 10 Prozentpunkte unterhalb des Ergebnisses des Landes lag, die Wahrscheinlichkeit für eine solche Kundgebung um rund 30 Prozent. Stieg die Zahl der Demonstrationen in einem Bundesland, dann blieb sie rund ein Jahr lang auf dem höheren Niveau. Auch die Zahl der Teilnehmenden war dann größer als im Durchschnitt der erfassten rechtsextremen Kundgebungen, was rund drei Monate lang zu beobachten war. Diese Effekte stellt die Studie für den Zeitraum ab Mitte 2015 fest, nachdem die Partei sich programmatisch und personell politisch weiter rechts aufgestellt hatte als zuvor.

Ein Abgleich mit Daten des Sozio-oekonomischen Panel, einer repräsentativen deutschlandweiten Langzeiterhebung, bestätigte, dass dieser Zusammenhang in Gegenden besonders ausgeprägt war, in denen Positionen, die die AfD vertritt, schwach vertreten sind. Zudem zeigte er sich stärker in Regionen, in denen Menschen die Meinung anderer wichtig ist.

„In einem demokratischen Land wie Deutschland wird Fremdenhass sozial geächtet. Latent fremdenfeindliche Menschen müssen also abwägen, inwieweit sie ihre Einstellungen öffentlich zeigen“, sagt Hagemeister. „Die Überraschung, dass in ihrem Bundesland mehr Menschen Rechtspopulisten wählen als gedacht, führt offenbar dazu, dass sie sich und ihre Einstellungen stärker sozial akzeptiert sehen. Dies gilt besonders dann, wenn sie in einem vergleichsweise liberalen Umfeld leben. Deshalb sieht man gerade in diesen Kommunen den Effekt, dass sich mehr Menschen als zuvor trauen, mit rechtsextremen Parolen auf die Straße zu gehen.“

Kein Zusammenhang mit strategischen Entscheidungen

Hagemeister konnte ausschließen, dass diese Ergebnisse durch strategische Entscheidungen rechtsextremer Parteien, Vereine oder anderer Organisationen zustande kommen. Er erfasste dafür, wer die Demonstrationen organisiert hatte. Die Effekte waren am deutlichsten ausgeprägt, wenn die Kundgebungen von Personen angemeldet wurden, die keiner dieser Institutionen zugeordnet werden können.

Die Ergebnisse sind zudem um mögliche Einflussfaktoren wie etwa den Zuzug Geflüchteter, die Arbeitslosenquote oder demographische Merkmale bereinigt. Eine Vergleichsauswertung eines Zeitraums vor der Gründung der AfD belegt, dass es sich bei der Zunahme an Demonstrationen nicht um ein Phänomen handelt, das nach Wahlen unabhängig von deren Ergebnissen auftritt.

„Bedeutung rechtspopulistischer Parteien verstehen“

„Die Studie zeigt, dass Wahlerfolge neuer rechtspopulistischer Parteien dazu führen können, dass mehr Menschen fremden- und demokratiefeindliche Positionen offener zeigen“, sagt Hagemeister. „Demonstrationen können wiederum ein signifikanter Faktor bei der Stärkung gesellschaftlich-politischer Bewegungen sein. Diese Wirkungskette zu verstehen, ist ein wichtiger Schritt, um die Bedeutung der rechtspopulistischen Parteien für das Erstarken des Rechtsextremismus einordnen zu können.“

Mehr Informationen:
Dr. Felix Hagemeister ist Post-Doctoral Fellow in Global Transformations an der Hochschule für Politik München (HfP).

Die HfP erforscht und lehrt die Wechselwirkung von Politik und Technologie und untersucht politikwissenschaftliche Fragestellungen mit den Methoden der Datenwissenschaften. Sie arbeitet korrespondierend zur im Oktober gegründeten TUM School of Social Sciences and Technology.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Felix Hagemeister
Hochschule für Politik München (HfP) an der Technischen Universität München (TUM)
Tel: +49 89 289 22798 (Pressestelle)
felix.hagemeister@tum.de
https://www.hfp.tum.de/forschung/visiting-fellowship/visiting-fellow-2021-2022/


Originalpublikation:

Hagemeister, F., Populism and propagation of far-right extremism. European Journal of Political Economy (2021). DOI: 10.1016/j.ejpoleco.2021.102116
https://doi.org/10.1016/j.ejpoleco.2021.102116


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW