Wie Bakterien aus Labyrinthen herausfinden



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07.12.2021 17:00

Wie Bakterien aus Labyrinthen herausfinden

Physik: Veröffentlichung in Nature Communications

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Forschende der US-amerikanischen Universität von Princeton haben zusammen mit der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) und der TU Darmstadt ein Modell entwickelt, das die Bewegung von Bakterien in komplexen Umgebungen simulieren kann. Das in der Zeitschrift Nature Communications vorgestellte Modell kann unter anderem bei der Entwicklung intelligenter pharmazeutischer Wirkstofftransporter helfen.

Wenn sich Bakterien im Boden, in Gewebe oder in anderen Umgebungen voller Hindernisse ausbreiten, müssen sie flexibel sein; hielten sie starr an einem enggefassten Bewegungsmuster fest, strandeten sie schnell in Sackgassen. Tatsächlich bewegen sich Bakterien aber solange durch offene Räume, bis sie in eine Falle geraten; dann orientieren sie sich neu, um durch das nächste freie Loch zu schlüpfen.

Das von einem Forschungsteam der Universität Princeton in Zusammenarbeit unter anderem mit Physikern der HHU und der TU Darmstadt entwickelte Modell erklärt, warum diese „Hop-and-trap‘ (deutsch „Spring und bleibe“) genannte Strategie bei Bakterien funktioniert und wie sie für selbstangetriebene Polymerteilchen optimiert werden könnte.

Dies kann der Entwicklung zukünftiger Mikroroboter zugutekommen, die sich durch komplexe dreidimensionale Umgebungen bewegen müssen. Ein Anwendungsbeispiel wären winzige Wirkstofftransporter, die durch Tumorgewebe navigieren, um am geeigneten Ort Chemotherapeutika freizusetzen.

Princeton-Forscherin Dr. Christina Kurzthaler, Erstautorin der nun in Nature Communications erschienenen Studie: „Wir wollten verstehen, welchen Einfluss der ‚Hop-and-Trap‘-Mechanismus auf die Bewegungsweite der Bakterien in verschiedenen Umgebungen hat.“ Modellorganismus waren E. coli-Bakterien. Deren Bewegungen in einem porösen Medium hatte im Vorfeld die Gruppe um Princeton-Professor Dr. Sujit Datta gemessen.

Co-Erstautor Dr. Suvendu Mandal, früherer Mitarbeiter am Institut für Theoretische Physik 2 der HHU und jetzt Forscher an der Technischen Universität Darmstadt, hat zusammen mit Kurzthaler simuliert, wie sich ein Bakterium zufällig durch eine komplexe, dreidimensionale Umgebung bewegen kann. Im Modell wurden die Bakterien durch Kunststoffraupen in einem Aquarium voller Tischtennisbälle repräsentiert. Statistische Analysen offenbarten Muster in den simulierten Bahnen von Kunststoffraupen, die E. coli-Bewegungen nach dem ‚Hop-and-Trap‘-Mechanismus sehr ähneln; das Modell passt also zum natürlichen Vorbild.

Die Forschenden entwickelten daraus wiederum ein vereinfachtes Modell, mit dem sie die effizienteste Art der Bakterienausbreitung bestimmten. Darin ergibt sich eine allgemeine Regel: Ein Bakterium bewegt sich am effektivsten, wenn es eine Strecke zurücklegt, die in etwa der Länge der größten Poren bzw. Löchern in der Umgebung entspricht, bevor es sich neu orientiert.

Kurzthaler: „Bei sehr kleiner Lauflänge kommen die Bakterien nicht sehr weit, sie bewegen sich nur wahllos vor- und rückwärts. Ist die Weglänge sehr groß, verfangen sich die Zellen leicht, weil sie sich nie neu orientieren.”

„Das neue Modell liefert auch ein Kriterium für die Entwicklung von Polymeren, die als Wirkstofftransporter in der Lage sind, Arzneimittel durch den Körper zu transportieren oder Schadstoffe im Boden zu finden und abzubauen“, so Mandal: „Wenn man einen solchen Mikroroboter entwerfen wollte wäre es wichtig, dass er sich umorientieren kann, um die komplexe Umgebung zu erkunden, in der er arbeiten soll.“

Auf dieser Grundlage kann auch das kollektive Verhalten von Bakterien modelliert werden, wie diese etwa Biofilme in porösen Materialien bilden. Dies hat auch wichtige Implikationen für den Krankenhausalltag, wo es darum geht, für die Bakterienbesiedlung besonders attraktive Stellen zu identifizieren. Solche Formen können dann schon vorab, bei der Konstruktion von Geräten, vermieden werden.

Prof. Dr. Hartmut Löwen, Leiter des Düsseldorfer Instituts und Mitautor der Studie, freut sich, dass die Theoretische Physik immer wieder wichtige Aussagen für scheinbar sehr weit entfernte Wissenschaftsgebiete machen kann: „Gerade die Physik der weichen Materie hat viele Schnittstellen zum praktischen Leben, wie diese Studie eindrucksvoll belegt. Das Modell kann Aussagen für die Pharmazie, Mikrobiologie und sogar für die Krankenhaushygiene treffen.“


Originalpublikation:

Christina Kurzthaler, Suvendu Mandal, Tapomoy Bhattacharjee, Hartmut Löwen, Sujit S. Datta & Howard A. Stone, A geometric criterion for the optimal spreading of active polymers in porous media, Nature Communications (2021).

DOI: 10.1038/s41467-021-26942-0


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW