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30.07.2024 14:41
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Wie Bakterien ihre Tarnkappen gegen die Immunabwehr befestigen
MHH-Forschende klären auf, wie Krankheitserreger eine Verbindung zwischen ihrer Zellaußenseite und ihren schützenden Kapseln herstellen
Bakterien haben unterschiedliche Strategien, um sich zu schützen. Einige bakterielle Krankheitserreger umgeben sich mit einer Hülle aus vielen dicht aneinander liegenden Zuckerketten, die auch als Kapselpolymere bezeichnet werden. Diese schützt die Bakterien vor Austrocknung und physischem Stress. Außerdem macht die Kapsel die Krankheitserreger für unsere körpereigene Abwehr sozusagen unsichtbar und hilft ihnen, im Körper zu überleben. Den Bau der Kapsel zu verhindern, würde die Bakterien entscheidend schwächen. Daher sind Enzyme, die solche Kapseln bauen, mögliche Angriffspunkte für Medikamente und wertvolle biotechnologische Werkzeuge für die Herstellung von Impfstoffen. Trotz ihrer Bedeutung ist nach wie vor unbekannt, wie die – je nach Bakterienart sehr unterschiedlichen – Kapselpolymere an der Bakterienmembran befestigt sind.
„Ankerkette“ und Enzyme entschlüsselt
In der Membran selbst sitzt als „Anker“ ein Fettsäuremolekül. Das Zwischenstück, also sozusagen die Ankerkette, mit der Anker und Kapsel verbunden sind, hat ein internationales Team um Dr. Timm Fiebig, Leiter der Arbeitsgruppe „Mikrobielle Glykobiochemie und Impfstoffentwicklung“ am Institut für Klinische Biochemie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), jetzt identifiziert. Den Forschenden ist es nicht nur gelungen, diesen sogenannten Linker bei einer größeren Gruppe bakterieller Erreger genau zu beschreiben, sondern auch die Enzyme namens Transitionstransferasen zu charkaterisieren, welche den Linker herstellen. Mit der die Erstbeschreibung stehen diese nun als potenzielle Zielstrukturen für die Entwicklung antibakterieller Wirkstoffe sowie als Synthesewerkzeuge für die Impfstoffentwicklung zur Verfügung. Die Arbeit ist in der Fachzeitschrift „Nature Chemical Biology“ veröffentlicht worden.
Kapselbauende Enzyme verlängern Verbindungskette
Eine wichtige Rolle beim Bau der Verbindungskette spielen auch die sogenannten Kapselpolymerasen, welche die unterschiedlichen Polysaccharidkapseln herstellen. „Die Polymerase erkennt den Linker und kann ihn verlängern“, erklärt Dr. Fiebig. Auch diesen Schritt des Kapsel-Biosyntheseweges konnten die Forschenden aufklären. Mit einem speziellen Chromatografiegerät konnten sie die Enzyme und den Linker reinigen, strukturell untersuchen und die Kapselsynthese im Reagenzglas nachstellen. „Dabei hat sich gezeigt, dass die Transitionstransferasen die Kapselpolymerase zur Bildung besonders langer Zuckerketten stimulieren, die das Bakterium vermutlich noch effektiver schützen“, stellt der Biochemiker fest. Wie die Kapselpolymerasen die Bakterienkapsel aufbauen, konnte die AG Fiebig bereits in früheren Untersuchungen unter anderem für das Bakterium Haemophilus influenzae Typ b (Hib) nachweisen, das Infektionen der oberen und unteren Atemwege, aber auch schwerwiegendere Erkrankungen wie Mittelohrentzündung, Hirnhautentzündung oder Blutvergiftung verursacht.
Ansatzpunkt für neue antibakterielle Medikamente
Neben einer möglichen biotechnologischen Nutzung der Enzyme ist die Arbeit auch für die grundlagenwissenschaftliche Erforschung der Kapselherstellung von Bedeutung. „Zum einen konnten wir zeigen, dass Transitionstransferasen in konservierten Regionen des bakteriellen Erbgutes vorkommen, ihre Gene also unabhängig von der Bakterienspezies immer am selben Ort im Erbgut zu finden sind“, erklärt Dr. Christa Litschko, Wissenschaftlerin am Institut und Erstautorin der Studie. „Zum anderen haben wir entdeckt, dass sich der Linker entgegen bisheriger Annahmen strukturell vom Kapselpolymer unterscheidet.“ Diese Beobachtungen werden helfen, weitere Kandidaten dieser Enzymklasse zu finden, die Verbindungen zwischen der Außenmembran des Bakteriums und seiner Kapsel schaffen.
Da verschiedene Bakterienarten die gleiche Methode nutzen können, um die Ankerkette herzustellen, könnte hier ein Ansatzpunkt für Medikamente liegen, die ähnlich wie Antibiotika gleich gegen mehrere Bakterienstämme einsetzbar sind. In ihren Untersuchungen haben die Forschenden beispielsweise Übereinstimmungen in Bauart und Bauweise des Linkers bei verschiedenen Krankheitserregern gefunden, die etwa Hirnhautentzündung und Harnwegsentzündungen auslösen können. „Indem wir die Enzyme inaktivieren, die den Linker bauen, könnten wir die Befestigung aber auch die Bildung der Kapselhülle verhindern, und das Bakterium wäre dem Angriff des Immunsystem schutzlos ausgeliefert“, betont Dr. Fiebig. „Bis dahin ist allerdings noch viel Forschungsarbeit nötig.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Timm Fiebig, fiebig.timm@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-5212
Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s41589-024-01664-8
Bilder
Dr. Timm Fiebig und seine Mitarbeiterin Dr. Christa Litschko haben mit Hilfe eines speziellen Chroma …
Karin Kaiser
Karin Kaiser / MHH
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch