Beeinflussen Purine die Krebsentstehung?



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10.05.2021 17:00

Beeinflussen Purine die Krebsentstehung?

Zahlreiche Entstehungsprozesse von Krankheiten stehen in Verbindung mit der epigenetischen Regulation. Ein Protein, das im Prozess dieser Regulation involviert ist und als wichtiger Krebsmarker identifiziert wurde, ist BRD4. Eine aktuell in Nature Metabolism publizierte Studie des CeMM Forschungszentrums für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zeigt nun, dass die Zufuhr von Purinen sowie die Purin-Synthese einer Zelle die BRD4-Aktivität beeinflussen und somit eine Rolle im Krebsentstehungsprozess spielen können.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Zahlreiche Entstehungsprozesse von Krankheiten stehen in Verbindung mit der epigenetischen Regulation. Ein Protein, das im Prozess dieser Regulation involviert ist und als wichtiger Krebsmarker identifiziert wurde, ist BRD4. Eine aktuell in Nature Metabolism publizierte Studie der Forschungsgruppe von Giulio Superti-Furga, Principal Investigator und Scientific Director am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, zeigt nun, dass die Zufuhr von Purinen sowie die Purin-Synthese einer Zelle die BRD4-Aktivität beeinflussen und somit eine Rolle im Krebsentstehungsprozess spielen können.

Chromatin ist eine zentrale Komponente des Zellkerns. Es bezeichnet den Komplex der etwa zwei Meter langen menschlichen DNA mit Proteinen, die diese organisieren, sodass – je nach Zelltyp – bestimmte Gene aktiviert beziehungsweise deaktiviert werden. Damit Zellen sich an verschiedenste Situationen und Einflüsse anpassen können, lesen sie die für sie relevante Information an der DNA ab. Wird dieser Prozess gestört, entstehen Krankheiten wie beispielsweise Krebs. In der Wissenschaft wird seit vielen Jahren daran geforscht, wodurch dieser Prozess beeinflusst wird. Dabei wurde das Protein BRD4, das einen entscheidenden Beitrag zum Ent- und Verpacken der DNA im Chromatin leistet, als Marker für Krebserkrankungen identifiziert. Seither gehen WissenschaftlerInnen der Frage nach, wie sich BRD4 regulieren lässt. Einen wichtigen Beitrag zur Antwort auf diese Frage liefert eine aktuelle Studie von Wissenschaftlerin Kai-Chun Li aus der Forschungsgruppe von CeMM Scientific Director Giulio Superti-Furga. Sie untersuchte, wie bestimmte von außen zugeführte Nährstoffe, sogenannte Purine, BRD4 und somit den Entstehungsprozess diverser Krebserkrankungen beeinflussen. Purine sind Grundbausteine der Zelle. Störungen des Purin-Stoffwechsels in der Zelle wurden bereits in der Vergangenheit mit einigen Krankheitsbildern assoziiert. In der Studie zeigte sich einerseits, dass das Hemmen der Purin-Zufuhr sowie die Störung der Purin-Synthese eine Funktionsstörung von BRD4 auslösen und somit die Chromatinzugänglichkeit beeinflussen können. Andererseits konnte durch die Zugabe von Adenin die BRD4-Funktionalität wiederhergestellt werden.

Analyse über Ausforschung der Transportwege

In der Forschungsgruppe von Giulio Superti-Furga stehen besonders jene Transportproteine im Genom im Fokus, die zahlreiche wichtige Stoffe wie unter anderem Nährstoffe und Metabolite in und aus der Zelle transportieren – sogenannte Solute Carriers (SLC). Studienautorin Kai-Chun Li erklärt: „Unser Ziel war es, die Beteiligung von SLC-vermittelter Purin-Aufnahme und zellulärem Stoffwechsel an der Regulierung zellulärer epigenetischer Zustände zu untersuchen, denn der Purin-Stoffwechsel spielt eine wesentliche Rolle im Zellmetabolismus.“ Mithilfe der SLCs konnten die WissenschaftlerInnen für ihre Studie die Purin-Zufuhr regulieren und die direkten Effekte beobachten. Sie nutzten sowohl ein genetisches Screening basierend auf einer CRISPR/Cas9-Bibliothek fokussiert auf Transporter sowie ein Drug Screening mittels einer Substanzbibliothek – hauptsächlich bestehend aus zellulären Metaboliten und Arzneimitteln, um der Regulation von BRD4-abhängigen Chromatinzuständen in myeloischen Leukämiezellen auf die Schliche zu kommen. Die WissenschaftlerInnen verglichen „normale“ Krebszellen mit jenen Krebszellen, bei denen die SLCs, die Purine transportieren, gehemmt wurden. Zudem wurden in verschiedenen Versuchen Purine in das Wachstumsmedium der Zellen hinzugefügt oder weggelassen und so wurde die Purin-Biosynthese in den Zellen reguliert.

Adenin bringt BRD4 zurück ins Gleichgewicht

Die Studie zeigt, dass ein Ungleichgewicht der intrazellulären Purin-Pools zu einer Funktionsstörung der BRD4-abhängigen Transkriptionsregulation des Chromatins führt, das heißt, dass das korrekte Ablesen der DNA-Information gestört wird. „Diese Ergebnisse belegen eine pharmakologisch wirksame Achse zwischen dem Purin-Stoffwechsel und BRD4-abhängigen Chromatinzuständen“, erklärt Studienleiter Giulio Superti-Furga. In der Vergangenheit wurden bereits Medikamente entwickelt, die BRD4 beeinflussen. Gleichzeitig wurden einige Krebsarten auch resistent gegen derartige BET-Inhibitoren. „Wir zeigen mit unserer Studie einen weiteren Weg auf, um BRD4 zu regulieren – durch Beeinflussung des Purin-Stoffwechsels.“ Auch auf die Frage, wie die BRD4-Funktionalität wiederhergestellt werden könnte, fanden die WissenschaftlerInnen eine Antwort: Sie konnten zeigen, dass Adenin, eine von Purin abgeleitete Verbindung, die stärkste Rolle bei der BRD4-Interaktion spielt. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Adenylate (Adenin, ATP etc.) wichtig für gesunde Zellen sind. Dies könnte ein wichtiger Ansatzpunkt zur Entwicklung neuer Therapien gegen BRD4-induzierte Krebsarten sein“, so Superti-Furga.
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Die Studie „Cell-surface SLC nucleoside transporters and purine levels modulate BRD4-dependent 2 chromatin states“ erschien in der Zeitschrift Nature Metabolism am 10. Mai 2021, DOI: 10.1038/s42255-021-00386-8.

AutorInnen: Kai-Chun Li, Enrico Girardi, Felix Kartnig, Sarah Grosche, Tea Pemovska, Johannes W. Bigenzahn, Ulrich Goldmann, Vitaly Sedlyarov, Ariel Bensimon, Sandra Schick, Jung-Ming G. Lin, Bettina Gürtl, Daniela Reil, Kristaps Klavins, Stefan Kubicek, Sara Sdelci, Giulio Superti-Furga

Förderung: Die Studie wurde unterstützt durch den Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF SFB F4711, I2192-B22), den Europäischen Forschungsrat (ERC AdG 695214 Game of Gates), die Europäische Kommission (Marie Sklodowska-Curie Action Fellowship 661491) und ein EMBO long-term Fellowship (ALTF 733-2016, T.P.). Sara Grosche wird von der Peter und Traudl Engelhorn-Stiftung unterstützt. Die Forschungsgruppe von Stefan Kubicek arbeitet mit finanzieller Unterstützung des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF F4701) und des Europäischen Forschungsrats im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union (ERC-CoG-772437).

Giulio Superti-Furga ist Wissenschaftlicher Direktor des CeMM sowie Professor für Medizinische Systembiologie an der Medizinischen Universität Wien. Er wurde an der Universität Zürich, bei Genentech, am IMP Wien und am EMBL Heidelberg zum Molekularbiologen ausgebildet. Er erhielt vier Förderungen des Europäischen Forschungsrates, ist Mitglied fünf wissenschaftlicher Akademien und hat mehr als 200 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht. CeMM, dem er seit 2005 als Direktor vorsteht, befindet sich mitten im großen Campus der MedUni/des Allgemeinen Krankenhauses in Wien, von wo aus Superti-Furga, zusammen mit etwa 180 WissenschaftlerInnen und ÄrztInnen, der klinischen Welt eine genomische und systemische Sicht näherbringt, um die medizinische Praxis zu verbessern. Für CeMM trieb er einen einzigartigen Modus der Super-Kooperation voran, in dem Biologie mit Medizin, Experimente mit Computertechnologie, Entdeckung mit Translation und Wissenschaft mit Gesellschaft und Kunst verbunden werden. Zu den aktuellen Interessensgebieten zählen Möglichkeiten zur Schaffung funktioneller Ansätze in der Präzisionsmedizin und die Rolle der menschlichen Membran-Transporter in der Pathophysiologie und der Arzneimittelentdeckung. Zudem ist auch wissenschaftlicher Koordinator von „RESOLUTE“, einem Konsortium der „Innovative Medicine Initiative“, das sich der Deorphanisierung von SLC-Transportern verschreibt.

Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at


Originalpublikation:

https://dx.doi.org/10.1038/s42255-021-00386-8


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW