21.04.2021 11:44
Chinin als mögliche Therapieoption bei COVID-19
Ein Forscherteam der Universitätskliniken Tübingen und Erlangen-Nürnberg ist mit einem vielversprechenden Ansatz einer Therapieoption für COVID-19 auf der Spur. Das aus dem tropischen Cinchona-Baum gewonnene Alkaloid Chinin stellte sich als antiviral wirksame Substanz in verschiedenen menschlichen Zellkultursystemen heraus. Da chininhaltige Präparate bereits seit langer Zeit auf dem Markt sind, könnten diese eine einfache und kostengünstige Behandlungsmöglichkeit darstellen.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Bereits zu Beginn der Corona-Pandemie hatte es Hinweise auf eine Wirksamkeit der artverwandten Substanzen Hydroxychloroquin und Chloroquin gegeben, welche vor allem als Malariamedikamente verwendet werden. Nachdem diese frühen in vitro Daten mit Affen-Zellen zunächst enorme Hoffnungen geweckt hatten, konnten jedoch nachfolgende klinische Studien keine entscheidende Wirksamkeit auf das Krankheitsgeschehen bei COVID-19-Patienten nachweisen. Chinin besitzt Eigenschaften, die es für die Behandlung der Malaria weniger effektiv machen als zum Beispiel Hydroxychloroquin und Chloroquin.
Ebendiese Unterschiede könnten aber vorteilhaft bei der Therapie von SARS-CoV-2 sein. Hydroxychloroquin und Chloroquin sind synthetische Abkömmlinge des natürlich in der Rinde des Chinarindenbaums vorkommenden Chinins. Chinin gehört zu den bekanntesten und ältesten Malariawirkstoffen und wurde schon seit jeher zur Behandlung von fiebrigen Erkältungskrankheiten eingesetzt. Zudem ist es als Nahrungsergänzungsmittel in bestimmten Getränken bekannt, denen es einen bitteren Geschmack verleiht. „Chinin ist weniger toxisch als zum Beispiel Hydroxychloroquin und es erreicht sehr viel schneller höhere Plasmaspiegel“, so Professor Michael Schindler vom Institut für Virologie des Universitätsklinikums Tübingen. „Deshalb testeten wir in verschiedenen Zellkultursystemen, ob Chinin antivirale Aktivität gegen SARS-CoV-2 hat und wie potent der Wirkstoff im Vergleich zu Hydroxychloroquin und Chloroquin abschneidet“.
Die Experimente des Forschungsteams zeigten, dass Chinin in verschiedensten menschlichen Zellkultursystemen SARS-CoV-2 hemmt. Dabei gab es relativ große Unterschiede in den benötigten Konzentrationen, je nach Art der Zellen. „Wichtig hierbei ist jedoch anzumerken, dass Chinin in allen Systemen ähnlich effektiv wie Hydroxychloroquin die Vermehrung von SARS-CoV-2 hemmt“, so Professor Ulrich Schubert, Virologe aus Erlangen. „Und dabei ist Chinin weit weniger toxisch als seine chemischen Verwandten“, führt er weiter aus. Die Wissenschaftler berechneten die zur Virushemmung notwendigen Konzentrationen und verglichen diese mit der Menge an Chinin, die man nach der Einnahme im menschlichen Blutplasma findet. Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass Chinin bis zu 20-fach höhere Plasmaspiegel im Vergleich zu Hydroxychloroquin erreicht. „Somit hat Chinin eine deutliche antivirale Wirkung gegen SARS-CoV-2, ein besseres Toxizitätsprofil in vitro und eine vorhersagbar bessere Plasmaverfügbarkeit im Vergleich zu Hydroxychloroquin und Chloroquin“, schreibt das Forscherteam in seiner Veröffentlichung. Deshalb, so schlagen sie vor, könnte Chinin eine breit anwendbare und günstige Therapieoption darstellen, um bei Menschen mit einer milden Covid-19 Symptomatik schwere Krankheitsverläufe zu verhindern.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Universitätsklinikum Tübingen
Institut für Medizinische Virologie und Epidemiologie der Viruskrankheiten
Prof. Dr. Michael Schindler
Elfriede-Aulhorn-Str. 6, 72076 Tübingen
Tel. 07071 29-87459
michael.schindler@med.uni-tuebingen.de
Originalpublikation:
Quinine Inhibits Infection of Human Cell Lines with SARS-CoV-2; https://doi.org/10.3390/v13040647
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch