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24.01.2023 16:27
Ein neuer Ansatz zur Lösung des Rätsels der Dunklen Energie
Was steckt hinter der Dunklen Energie – und was verbindet sie mit der von Albert Einstein eingeführten kosmologischen Konstanten? Zwei Physiker der Universität Luxemburg weisen einen Weg, um diese offenen Fragen der Physik zu beantworten.
Das Universum hat etliche bizarre Eigenschaften, die mit dem alltäglichen Erfahrungsschatz nur schwer zu verstehen sind. So macht die uns bekannte Materie aus elementaren und zusammengesetzten Teilchen, die Moleküle und Werkstoffe bilden, offenbar nur einen kleinen Teil der Energie des Weltalls aus. Den größten Beitrag liefert mit rund zwei Dritteln die „Dunkle Energie“ – eine hypothetische Energieform, über deren Hintergrund die Physiker noch rätseln. Außerdem dehnt sich das Weltall nicht nur stetig aus, sondern das geschieht auch noch immer schneller. Beide Merkmale scheinen zusammenzuhängen, denn die Dunkle Energie gilt auch als Treiber der beschleunigten Expansion. Sie könnte überdies eine Klammer sein, die zwei mächtige physikalische Denkgebäude miteinander verbindet: die Quantenfeldtheorie und die von Albert Einstein vor mehr als 100 Jahren entwickelte Allgemeine Relativitätstheorie. Doch die Sache hat einen Haken: Berechnungen und Beobachtungen zu diesem Konzept passten bislang bei Weitem nicht zusammen. Nun haben zwei Forscher aus Luxemburg einen neuen Weg aufgezeigt, wie sich dieses Manko beseitigen lässt.
Die Spur virtueller Teilchen im Vakuum
„Das Vakuum hat eine Energie. Das ist ein grundlegendes Ergebnis der Quantenfeldtheorie“, erklärt Prof. Dr. Alexandre Tkatchenko, Professor für Theoretische Physik am Fachbereich Physik und Materialwissenschaften der Universität Luxemburg. Diese Theorie wurde entwickelt, um Quantenmechanik und Spezielle Relativitätstheorie zusammenzuführen. Doch die Quantenfeldtheorie scheint nicht mit der Allgemeinen Relativitätstheorie kompatibel zu sein. Ihr wesentliches Merkmal: Die Theorie betrachtet im Gegensatz zur Quantenmechanik nicht nur Teilchen, sondern auch materielose Felder als Quantenobjekte. „Die Dunkle Energie betrachten viele Forscher in diesem Rahmen als Ausdruck der sogenannten Vakuumenergie“, sagt Tkatchenko: einer physikalischen Größe, die in einem anschaulichen Bild durch ein ständiges Entstehen und die Wechselwirkung von Paaren aus Teilchen und ihren Antiteilchen – etwa Elektronen und Positronen – im eigentlich leeren Raum hervorgerufen wird.
Physiker sprechen bei diesem Kommen und Gehen virtueller Teilchen und ihrer Quantenfelder von Vakuum- oder Nullpunktfluktuationen. Während die Partikelpaare rasch wieder im Nichts vergehen, lässt ihre Existenz einen gewissen Gehalt an Energie zurück. „Diese Vakuumenergie hat auch in der Allgemeinen Relativitätstheorie eine Bedeutung“, stellt der Luxemburger Wissenschaftler fest: „Sie manifestiert sich in der von Einstein aus physikalischen Gründen in seine Gleichungen eingefügten kosmologischen Konstanten.“
Ein kolossales Missverhältnis
Anders als die Vakuumenergie, die sich nur aus den Formeln der Quantenfeldtheorie erschließt, lässt sich die kosmologische Konstante durch astrophysikalische Experimente direkt bestimmen. So haben Messungen mit dem Weltraumteleskop „Hubble“ und im Rahmen der Raumfahrtmission „Planck“ nahe beieinander liegende und verlässliche Werte für die fundamentalen physikalische Größe ergeben. Berechnungen der Dunklen Energie auf Basis der Quantenfeldtheorie hingegen liefern Resultate, die einem bis zu 10120-mal so großen Wert der kosmologischen Konstanten entsprechen – ein kolossales Missverhältnis, obwohl im heute vorherrschenden Weltbild der Physiker beide Werte übereinstimmen müssten. Die stattdessen festgestellte Diskrepanz ist bekannt als das „Rätsel der kosmologischen Konstante“. „Es ist zweifellos eine der größten Ungereimtheiten in der modernen Wissenschaft“, meint Alexandre Tkatchenko.
Unkonventionelle Art der Interpretation
Gemeinsam mit seinem Luxemburger Forscherkollegen Dr. Dmitry Fedorov hat er nun die Lösung dieses seit Jahrzehnten offenen Rätsels ein bedeutendes Stück nähergebracht. In einer theoretischen Arbeit, deren Ergebnisse sie kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht haben, schlagen die beiden Luxemburger Forscher dazu eine neue Interpretation der Dunklen Energie vor. Er geht davon aus, dass die Nullpunktfluktuationen einer Polarisierbarkeit des Vakuums führt, die sich sowohl messen als auch berechnen lässt. „Bei Paaren von virtuellen Teilchen mit entgegengesetzter elektrischer Ladung entsteht sie durch elektrodynamische Kräfte, die diese Partikel während ihrer äußerst kurzen Existenz gegenseitig aufeinander ausüben“, erklärt Tkatchenko. Die Physiker sprechen dabei von einer Vakuum-Selbstwechselwirkung. „Sie führt zu einer Energiedichte, die sich mithilfe eines neuen Modells bestimmen lässt“, sagt der Luxemburger Wissenschaftler.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Fedorov hat er dieses grundlegende Modell für Atome entwickelt und 2018 erstmals vorgestellt. Das Modell diente ursprünglich zur Beschreibung atomarer Eigenschaften, vor allem den Zusammenhang zwischen der Polarisierbarkeit von Atomen und Gleichgewichtseigenschaften bestimmter Moleküle mit nicht-kovalenten Bindungen sowie Festkörpern. Da die geometrischen Charakteristiken experimentell recht einfach messbar sind, lässt sich über die Formel der beiden Forscher auch die Polarisierbarkeit bestimmen. „Dieses Vorgehen haben wir auf die Vorgänge im Vakuum übertragen“, erläutert Fedorov. Dazu betrachteten die beiden Forscher das Verhalten von Quantenfeldern – insbesondere solchen, die das „Entstehen und Vergehen“ von Elektronen und Positronen repräsentieren. Auch die Fluktuationen dieser Felder lassen sich durch eine Gleichgewichtsgeometrie kennzeichnen, die bereits aus Experimenten bekannt ist. „Wir haben ihn in die Formeln unseres Modells eingesetzt und erhielten auf diese Weise letztlich die Stärke der intrinsischen Vakuum-Polarisation“, berichtet Fedorov. Der letzte Schritt war dann noch, die Energiedichte der Selbstwechselwirkung zwischen Fluktuationen von Elektronen und Positronen quantenmechanisch zu berechnen. Das so erhaltene Resultat stimmt mit gut mit den gemessenen Werten für die kosmologische Konstante überein: Das bedeutet: „Die Dunkle Energie lässt sich auf die Energiedichte der Selbstwechselwirkung von Quantenfeldern zurückführen“, betont Alexandre Tkatchenko.
Gute Übereinstimmung und überprüfbare Prognosen
„Unsere Arbeit bietet damit einen eleganten und unkonventionellen Lösungsansatz für das Rätsel der kosmologischen Konstante“, resümiert der Physiker. „Darüber hinaus liefert sie eine überprüfbare Vorhersage: nämlich, dass Quantenfelder wie diejenigen von Elektronen und Positronen tatsächlich eine zwar kleine, aber stets vorhandene intrinsische Polarisation besitzen.“ Diese Erkenntnis weist eine Richtung vor für künftige Experimente, um diese Polarisation auch im Labor nachzuweisen, meinen die beiden Luxemburger Forscher. „Unser Ziel ist es, die kosmologische Konstante aus einem rigorosen quantentheoretischen Ansatz heraus abzuleiten“, sagt Dmitry Fedorov. “Zudem enthält unsere Arbeit ein Rezept, wie sich das verwirklichen lässt. Fedorov betrachtet die neuen Ergebnisse, die er gemeinsam mit Alexandre Tkatchenko erzeitl hat, als ersten Schritt hin zu einem besseren Verständnis der Dunklen Energie – und ihrer Verbindung zu Albert Einsteins kosmologischer Konstante. Tkatchenko ist überzeugt: „Letztlich könnte das auch erhellen, auf welche Weise Quantenfeldtheorie und Allgemeine Reaktivitätstheorie als zwei Betrachtungsweisen des Universums und seiner Bestandteile miteinander verwoben sind.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Alexandre TKATCHENKO
Alexandre.tkatchenko@uni.lu
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.130.041601
Bilder
The Cosmic microwave background (CMB) as observed by Planck
ESA & the Planck Collaboration
ESA & the Planck Collaboration
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Energie, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch