29.09.2020 10:00
Ein Schredder für den Krebs
Wissenschaftler der Universitäten Würzburg und Frankfurt haben einen neuen Wirkstoff zur Behandlung von Krebs entwickelt. Die Substanz zerstört ein Protein, das die Krebsentwicklung in Gang setzt.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Der Bösewicht in diesem Drama trägt einen hübschen Namen: Aurora – lateinisch für die Morgenröte. In der Welt der Biochemie steht Aurora (präziser: Aurora-A-Kinase) allerdings für ein Protein, das viel Schaden anrichtet. Dort ist schon seit Langem bekannt, dass Aurora häufig am Anfang einer Krebserkrankung steht. Es gibt den Anstoß für die Entwicklung von Leukämien und vielen Kindertumoren wie beispielsweise Neuroblastomen.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Würzburg und Frankfurt haben jetzt einen Wirkstoff entwickelt, der Aurora ausschalten kann. Federführend daran beteiligt waren Dr. Elmar Wolf, Forschungsgruppenleiter am Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), und Professor Stefan Knapp, Medizinalchemiker an der Goethe-Universität Frankfurt. In der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Chemical Biology haben die Forscher die Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlicht.
Tumorauslösende Proteine zum Verschwinden bringen
„Krebserkrankungen entstehen in der Regel durch tumorerzeugende Proteine“, erklärt Elmar Wolf. Weil Krebszellen von diesen Proteinen mehr herstellen als normale Zellen, befördert das die Dynamik zusätzlich. Ein üblicher Therapieansatz sieht deshalb vor, die Funktion dieser Proteine mit Arzneistoffen zu hemmen. „Die Proteine sind dann zwar immer noch da, funktionieren aber nicht mehr so gut. Somit können die Tumorzellen bekämpft werden“, so der Biochemiker.
Die Entwicklung dieser Hemmstoffe ist aber schwierig und war bislang nicht für alle tumorauslösenden Proteine erfolgreich. Häufig haben sie im klinischen Einsatz nicht die gewünschten Ergebnisse gezeigt. Der Traum vieler Wissenschaftler sieht deshalb so aus: Einen Arzneistoff zu entwickeln, der die tumorauslösenden Proteine nicht nur hemmt, sondern komplett zum Verschwinden bringt. Ein vielversprechender Ansatz auf diesem Weg könnte eine neue Wirkklasse von Substanzen sein, die den wissenschaftlichen Namen „PROTAC“ tragen.
Krebszellen sterben im Reagenzglas
„Wir haben einen solchen PROTAC für Aurora entwickelt“, sagt Elmar Wolf. Zusammen mit seinem Team und insbesondere seinem Doktoranden Bikash Adhikari konnte er zeigen, dass dieser PROTAC das Aurora-Protein in Krebszellen komplett abbaut. Krebszellen, die im Labor kultiviert wurden, starben daraufhin ab.
Die Wirkweise dieser Substanz beschreibt Wolf so: „Der Tumor braucht bestimmte tumorauslösende Proteine, die man sich wie Seiten in einem Buch vorstellen kann. Unsere PROTAC-Substanz reißt nun die Seiten ‚Aurora‘ heraus und vernichtet sie mit Hilfe der Protein-Abbau-Maschinerie, die jede Zelle besitzt, um alte und kaputte Proteine abzubauen“. PROTAC „schreddere“ also quasi das Aurora-Protein, bis am Ende nichts mehr von ihm zurückbleibt.
Weitere Arbeiten sind erforderlich
Professor Stefan Knapp vom Institut für Pharmazeutische Chemie der Goethe-Universität ergänzt: „Die Aurora-A-Kinase kommt zum Beispiel in Brustkrebstumoren in viel größeren Konzentration vor als in gesundem Gewebe und sie spielt wohl auch beim Prostatakrebs eine Rolle. Eine Blockade der Aurora-A-Kinase-Aktivität ist nicht erfolgversprechend – so hat es bisher noch keiner der vielen klinisch getesteten Hemmstoff-Kandidaten in die klinische Zulassung geschafft. Mit unserer PROTAC-Variante inhibieren wir die Aurora-A-Kinase über einen anderen, sehr effektiven Wirkmechanismus, der neue therapeutische Möglichkeiten eröffnen könnte. Im nächsten Schritt werden wir daher die Wirksamkeit und Verträglichkeit im Tierversuch testen.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Elmar Wolf, Emmy-Noether-Gruppe für Tumorsystembiologie, T: +49 931 31 83259, elmar.wolf@biozentrum.uni-wuerzburg.de
Originalpublikation:
PROTAC-mediated degradation reveals a non-catalytic function of AURORA-A kinase. Bikash Adhikari, Jelena Bozilovic, Mathias Diebold, Jessica Denise Schwarz, Julia Hofstetter, Martin Schröder, Marek Wanior, Ashwin Narain, Markus Vogt, Nevenka Dudvarski Stankovic, Apoorva Baluapuri, Lars Schönemann, Lorenz Eing, Pranjali Bhandare, Bernhard Kuster, Andreas Schlosser, Stephanie Heinzlmeir, Christoph Sotriffer, Stefan Knapp and Elmar Wolf. Nature Chemical Biology, 28.09.2020.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
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