25.09.2020 11:00
Erster umfassender Report: Chronische Krankheiten in Deutschland
Was chronische Krankheiten für das Gesundheitswesen, für die Gesellschaft und für die Patienten selbst bedeuten, fasst jetzt ein Report des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt zusammen. Der Report arbeitet die Daten zu Verbreitung, Ursachen und Folgen chronischer Krankheiten auf, schildert Fallbeispiele und die Ergebnisse einer Untersuchung der Patientensicht auf ihre Versorgung vor. Dabei werden gute Erfahrungen wie auch erlebte Defizite sichtbar. Der Report ist laienverständlich geschrieben, barrierefrei als pdf aufbereitet und kostenfrei im Internet oder als gedruckte Version erhältlich. Das Projekt wurde von der Robert Bosch Stiftung GmbH gefördert.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Am Anfang bleibt eine chronische Krankheit häufig unbemerkt. Nach Jahren oder sogar Jahrzehnten können die Folgen gravierend sein: Schmerzen, körperliche Einschränkungen und seelische Belastungen reduzieren die Lebensqualität und manche chronisch Kranke sterben an ihrer Krankheit früher, als aufgrund der Lebenserwartung anzunehmen ist. Zählt man zu diesen verlorenen Lebensjahren die Jahre mit gesundheitlichen Einschränkungen hinzu, so kommen 25 Millionen „verlorene gesunde Lebensjahre“ in Deutschland zusammen, jedes Jahr. Dafür sind überwiegend chronische Krankheiten verantwortlich, zu je etwa 20 Prozent Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen, zu weiteren 30 Prozent Muskel-Skelett-Erkrankungen zusammen mit psychischen Störungen und Krankheiten des Nervensystems.
Alle zusammen verursachen hohe Kosten im Gesundheitswesen. Mit 15 Milliarden Euro pro Jahr ist Demenz – aus volkswirtschaftlicher Sicht – die „teuerste“ chronische Krankheit, gefolgt von Erkrankungen der Wirbelsäule und des Rückens, Bluthochdruck und Krankheiten der Hirngefäße wie Schlaganfälle. Wer chronisch krank ist, fehlt häufiger am Arbeitsplatz und geht früher in Rente.
Der Report schildert aus verschiedenen Perspektiven, wie es ist, mit einer chronischen Krankheit zu leben. Exemplarisch werden Verläufe einer Depression und einer Herzinsuffizienz geschildert, und es wurden Patienten zu ihren Erfahrungen mit der Behandlung ihrer Krankheit befragt. Gute Versorgung erlebten an Depression Erkrankte beispielsweise wie ein Netzwerk, das half, „aus dem Loch“ herauszukommen. Als Mangel in der Versorgung sahen sie die langwierige, selbst zu organisierende Suche nach einer Therapie. „Bei einer Depression fehlt die Kraft für eine aufwändige Suche nach Hilfe“, resümiert die Untersuchung. Es kommen auch Patienten mit der Herzerkrankung „Herzinsuffizienz“ zu Wort und erklären stellvertretend für andere chronisch Kranke, wie eine Behandlung Orientierung gibt und bei der Akzeptanz der chronischen Krankheit helfen kann.
Eine der Studienautorinnen und Mitarbeiterin am Institut für Allgemeinmedizin in Frankfurt Dr. Corina Güthlin erklärt: „Wir im Gesundheitssystem fokussieren uns oft zu sehr auf eine einzelne Krankheit. Dabei ist die übergreifende Betrachtung chronischer Krankheiten unerlässlich. In unserem Report geben wir erstmals einen leicht erfassbaren Überblick über chronische Krankheiten insgesamt und hoffen so, zu einem besseren Verständnis chronischer Erkrankungen beizutragen. Neben reinen Zahlen und Fakten ging es uns auch darum, die Perspektive von chronisch Kranken aufzuzeigen. Daher ist der Report sowohl für Mitarbeiter des Gesundheitswesens wie auch für Patienten wertvoll.“
„Die Versorgung von chronisch kranken Patienten muss vorausschauend und bedarfsgerechter gestaltet werden. Wir wollen mehr gesunde Lebensjahre für die Betroffenen gewinnen. Wir haben den Report gefördert, um durch eine kompakte Übersicht und einen leichten Zugang ein besseres Verständnis für die Situation und die Versorgungserfordernisse bei chronischer Erkrankung zu erzielen“, sagt Dr. Bernadette Klapper, Bereichsleiterin Gesundheit bei der Robert Bosch Stiftung GmbH.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Corina Güthlin
Institut für Allgemeinmedizin
Tel. 069-6301-83882, Sekretariat: -5687
E-Mail: guethlin@allgemeinmedizin.uni-frankfurt.de
Homepage: http://www.allgemeinmedizin.uni-frankfurt.de
Originalpublikation:
Güthlin, C.; Köhler, S; Dieckelmann, M. (2020): Chronisch krank sein in Deutschland. Zahlen, Fakten und Versorgungserfahrungen. Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität, Frankfurt am Main. Online verfügbar unter http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/55045.xx
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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