26.02.2020 09:23
Hannoveraner Physikerteam sagt neue Moleküle aus Licht voraus
Die Entdeckung von Forschenden des Exzellenzclusters PhoenixD ermöglicht die präzise Kontrolle der starken Wechselwirkungen zwischen ultrakurzen Lichtimpulsen – die gewonnenen Erkenntnisse können eine wichtige Basis für die Weiterentwicklung des Internets der Zukunft, des sogenannten Quanteninternets, bilden
Mobile Kommunikation, Live-Streaming von Filmen aus dem Internet und Satellitennavigation wären ohne Licht unvorstellbar. Denn es ist Licht, das die höchsten Datenübertragungsraten über lange Distanzen ermöglicht. Zudem zählt Licht zu den präzisesten und effizientesten Werkzeugen, die der Menschheit zur Verfügung stehen. Ein Physikerteam des Exzellenzclusters PhoenixD der Leibniz Universität Hannover erwartet daher, dass die einzigartigen Eigenschaften des Lichts künftig für zahlreiche neue Funktionalitäten genutzt werden können, die vor einiger Zeit noch undenkbar erschienen.
Damit das gelingt, muss Licht präzise kontrolliert und manipuliert werden, und das möglichst auf kleinsten Skalen. Das ist nicht einfach und wird nur erreicht, wenn die nötigen Bedingungen dafür vorliegen: kurze Impulse, hohe Intensitäten und geeignete Materialien, wie zum Beispiel optische Glasfasern, durch die das Licht hindurch gelenkt und in Netzwerken verteilt werden kann.
Aus diesem Grund hat die PhoenixD-Forschungsgruppe zusammen mit Partnern der ITMO Universität in St. Petersburg und der Universität Rostock die optischen Solitonen ins Zentrum ihrer Forschung gestellt. Das sind spezielle Licht-Wellenpakete, die sich im Wesentlichen ohne Änderung ihrer Form und Eigenschaften durch Lichtwellenleiter (Glasfaser) fortbewegen. Entdeckt hatte dieses Prinzip 1834 der Ingenieur John Scott Russell in einem ganz anderen Medium – Wasser. Russel beobachtete in einem schottischen Kanal Wasserwellen, die sich scheinbar ohne Verluste kilometerweit ausbreiteten.
Die Hannoveraner Forschenden konnten nun das erste Mal zeigen, dass solche Solitonen mit Licht unterschiedlicher Farbe unter Kollision ein besonderes Verhalten zeigen, welches dazu genutzt werden kann, sie miteinander zu verschmelzen. Dadurch entsteht eine neue Art von gebundenen Zuständen, sogenannte Lichtmoleküle. Diese Moleküle wiederum, so zeigen die Forschenden, sind sehr robust gegenüber Störungen und können unter gewissen Bedingungen auch selbst wieder Licht abstrahlen. Damit erfüllen sie besondere Bedingungen zur Realisierung von optischen Funktionen wie etwa optischen Schaltern oder Übertragungsnetzwerken für Informationen. „Die Übertragung einfacher quantenmechanischer Konzepte erlaubt uns, die hier gefundenen komplexen Phänomene der rein klassischen, nichtlinearen Optik effizient zu beschreiben und zu interpretieren“, sagt Prof. Dr. Ayhan Demircan vom Institut für Quantenoptik der Leibniz Universität Hannover, der die Forschungsgruppe leitet, aus der die Arbeit stammt.
Die Lichtmoleküle werden im Gegensatz zu den allgegenwärtigen Materie-Molekülen, die aus einzelnen Atomen aufgebaut sind, durch einzelne Solitonen zusammengesetzt. Dabei werden künstliche Licht-Zustände erzeugt, die es in der Natur nicht gibt. Durch die Kontrolle über diesen neu entdeckten Mechanismus ergeben sich vielfältige Anwendungsmöglichkeiten: Beispielsweise ist zu erwarten, dass damit eine bessere Kommunikation mit vielfach höherer Datenübertragungsrate realisiert werden kann. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten auch eine wichtige Basis für das Internet der Zukunft – das Quanteninternet, den Quantencomputer oder neue abhörsichere Verschlüsselungsverfahren sein. Zudem bietet sich die Möglichkeit, die gefundenen Effekte, die bisher nur auf großen Distanzen denkbar waren, auf integrierten, optischen Mikrochips zu realisieren.
Mit der im Fachjournal „Physical Review Letters“ veröffentlichten Arbeit wurden zunächst die theoretischen Grundlagen für die neuartigen Lichtmoleküle geschaffen. Dadurch ist es möglich, die relevanten Prozesse effizient zu beschreiben und besser zu verstehen. Die Experten sprechen in diesem Zusammenhang von einer nichtlinearen klassischen Feldtheorie, die sie speziell dafür ausgearbeitet haben. Der gefundene Mechanismus war bislang gänzlich unbekannt. „Unsere Entdeckung eröffnet ein neues reichhaltiges Feld in einem etablierten Forschungsgebiet und es sind zahlreiche Folgearbeiten zu erwarten, die sich mit den vielen noch offenen Fragestellungen befassen“, sagt Dr. Oliver Melchert, Erstautor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Quantenoptik der Leibniz Universität Hannover.
Aufgrund der technischen Herausforderungen wäre es bislang nicht möglich gewesen, den nun entdeckten Mechanismus experimentell im Labor zu realisieren. Erst durch die rasanten Entwicklungen in der Optik der vergangenen Jahre stehen jetzt geeignete Laserquellen, Materialien und auch Prozesse zur Verfügung, um solche Wechselwirkungen zwischen Lichtimpulsen zu generieren und für konkrete Anwendungen einzusetzen. Im nächsten Schritt sollen die Ergebnisse der theoretischen Studie im Labor experimentell umgesetzt und die dazu notwendige Messtechnik entwickelt werden. Weitere spannende Erkenntnisse seien dabei zu erwarten, sagt Melchert. „Unsere Arbeit ist ein ideales Beispiel für rein durch wissenschaftliche Neugier getriebene Forschung, die zunächst zu neuen Erkenntnissen im Grundlagenbereich führt, aus der sich jedoch sehr oft neuartige Anwendungen mit enormen Potenzial ergeben“, sagt Prof. Dr. Bernhard Roth vom HOT – Hannoversches Zentrum für Optische Technologien, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.
Der Exzellenzcluster PhoenixD
Der Exzellenzcluster PhoenixD der Leibniz Universität Hannover wird in den Jahren 2019 bis 2025 mit rund 52 Millionen Euro vom Bund und dem Land Niedersachsen über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Kooperationseinrichtungen des Clusters sind die Technische Universität Braunschweig, das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut), die Physikalisch-Technische Bundesanstalt und das Laser Zentrum Hannover e.V. Mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Fachdisziplinen Physik, Maschinenbau, Elektrotechnik, Chemie, Informatik und Mathematik forschen dort fachübergreifend. Der Cluster lotet die Möglichkeiten aus, die sich durch die Digitalisierung für neuartige optische Systeme sowie ihre Fertigung und Anwendung ergeben.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Ayhan Demircan, Forschungsgruppenleiter der Studie und Leiter der Task Group S3 – Micro and Nano Photonics im Cluster PhoenixD, Telefon + 49 511 762 17219, E-Mail: demircan@iqo.uni-hannover.de
Prof. Dr. Bernhard Wilhelm Roth, Leiter der Task Group F1 – Precision Metrology im Cluster PhoenixD und Geschäftsführer des Hannoverschen Zentrums für Optische Technologien, Telefon +49 511 762 17907, E-Mail: bernhard.roth@hot.uni-hannover.de
Dr. Oliver Melchert, Erstautor der Studie und Mitglied der Task Group S3 – Micro and Nano Photonics im Exzellenzcluster PhoenixD, Telefon +49 49 511 762 3381, E-Mail: melchert@iqo.uni-hannover.de
Originalpublikation:
O. Melchert, S. Willms, S. Bose, A. Yulin, B. Roth, F. Mitschke, U. Morgner, I. Babushkin, A. Demircan
Soliton Molecules with Two Frequencies
Phys. Rev. Lett. 123, 243905 (2019).
https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.123.243905
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Kooperationen
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