Individuelle Therapie bei Lymphdrüsenkrebs und Leukämie möglich und wirksam



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12.10.2021 11:00

Individuelle Therapie bei Lymphdrüsenkrebs und Leukämie möglich und wirksam

Aggressive, hämatologische Krebserkrankungen wie Leukämien oder Lymphome sind im fortgeschrittenen, wiederkehrenden Stadium nur schwer behandelbar, Standardtherapien zeigen oftmals wenig Wirkung. Dieser Problematik widmen sich WissenschafterInnen sowie ÄrztInnen der MedUni Wien und des AKH Wien, des CeMM Research Center for Molecular Medicine der ÖAW und der ETH Zürich. Erstmals konnte eine am AKH Wien durchgeführte Studie belegen, dass eine über einen funktionellen Test ausgewählte Therapie wirksam und umsetzbar ist.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Aggressive, hämatologische Krebserkrankungen wie Leukämien oder Lymphome sind im fortgeschrittenen, wiederkehrenden Stadium nur schwer behandelbar, Standardtherapien zeigen oftmals wenig Wirkung. Dieser Problematik widmen sich WissenschafterInnen sowie ÄrztInnen der MedUni Wien und des AKH Wien, des CeMM Research Center for Molecular Medicine der ÖAW und der ETH Zürich. Erstmals konnte eine am AKH Wien durchgeführte Studie belegen, dass eine über einen funktionellen Test ausgewählte Therapie wirksam und umsetzbar ist. Mittels Einzelzellprofilen von PatientInnenbiopsien wurde die Wirkung von Medikamenten in einem neuen experimentellen Verfahren quantifiziert, 56 PatientInnen wurden daraufhin individuell auf sie abgestimmten Therapien unterzogen – mit deutlich positiven Ergebnissen. Die Studie wurde in Cancer Discovery (IF: 39.4), einem Journal der American Association for Cancer Research, publiziert.

Medikamente und Therapien zeigen bei PatientInnen mit gleichem Krankheitsbild oft unterschiedliche Effekte. Besonders in der Krebstherapie wird dies mehr und mehr ersichtlich. Die personalisierte Medizin zielt darauf ab, die individuell richtige Behandlung für PatientInnen zu finden, unter anderem indem sie spezifische Merkmale des Tumors der/des Betroffenen präzise analysiert und dadurch therapeutisch potentiell angreifbar macht. Personalisierte Therapieanpassungen erfolgen derzeit in erster Linie anhand genetischer Biomarker, diese bieten jedoch nur für weniger als 10 Prozent der KrebspatientInnen abgestimmte Behandlungsmöglichkeiten. Funktionelle Präzisionsmedizin (FPM) zeichnet sich durch den Einsatz von funktionellen Tests aus, in denen ähnlich einem Antibiogramm, mittels „drug screening“ die Wirksamkeit einer Vielzahl von Medikamenten direkt an Krebszellen ausgetestet wird.

In dieser innovativen Form der funktionellen personalisierten Medizin, speziell „single-cell functional precision medicine (scFPM)“, werden durch detaillierte Analyse einzelner Zellen die Effekte der Wirkstoffe auf sowohl bösartige als auch gesunde Zellen, welche im hierfür frisch entnommenen Gewebe von KrebspatientInnen isoliert werden, untersucht. Das Verfahren lässt eine Steigerung der spezifischen Wirksamkeit und eine Reduktion an Nebenwirkungen zu. In der hier angewandten Methode wird eine hohe Präzision durch automatisierte Mikroskopie und computergesteuerte Bildanalyse erreicht, ursprünglich wurde sie auch „Pharmakoskopie“ genannt.

Im Rahmen der EXALT Studie (für Extended Analysis for Leukemia/Lymphoma Treatment) an PatientInnen mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen des Bluts und des Lymphsystems konnten WissenschafterInnen und ÄrztInnen um Philipp Staber (MedUni Wien/AKH Wien), Ingrid Simonitsch-Klupp (MedUni Wien/AKH Wien), Giulio Superti-Furga (CeMM) sowie Berend Snijder (ETH Zürich, vormals CeMM) erstmals zeigen, dass eine Therapieauswahl über einen funktionellen Test klinisch umsetzbar und für die Betroffenen von Nutzen ist. Die Erstautorschaft der Publikation wird von Christoph Kornauth und Tea Pemovska (beide MedUni Wien/AKH Wien) sowie Gregory Vladimer (Exscientia, vormals CeMM) geteilt.

Test der Medikamentenwirksamkeit

„Aus Echtzeit-Biopsien haben wir Tumor-Einzelzellen der PatientInnen untersucht und die Wirkungen von über 130 Kandidaten-Substanzen direkt ausgetestet, um festzustellen, welche Therapie beim jeweiligen Individuum anspricht“, so Studienleiter Philipp Staber, assoziierter Professor an der Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie von MedUni Wien und AKH Wien sowie Mitglied des Comprehensive Cancer Center (CCC). „Um den individuellen Nutzen der PatientInnen zu testen wurde die Zeit des Therapieansprechens mit der zu ihrer jeweiligen Vortherapie verglichen. 54% unserer PatientInnen hatten unter der so gewählten Therapie eine deutliche, zumindest um mehr als 30% verlängerte Zeit ihres progressionsfreien Überlebens. Bei 21% der PatientInnen zeigte sich sogar ein Langzeitansprechen. Unsere Studie belegt, dass eine individuelle Anpassung der Therapie nicht nur machbar, sondern auch wirksam ist, Resistenzen zu Vortherapien zu brechen“, so Staber. Für ihre Studie nutzen die WissenschafterInnen „Pharmakoskopie“, einen bildbasierten Ansatz der funktionellen Einzelzell-Präzisionsmedizin (scFPM), entwickelt in der Forschungsgruppe von CeMM Principal Investigator und Scientific Director Giulio Superti-Furga, auch Professor für Molekulare Systembiologie an der MedUni Wien. Giulio Superti-Furga ergänzt: „Unser Anliegen war es, echte personalisierte Medizin bei der Krebsbehandlung zu ermöglichen. Seit Jahren arbeiten viele, so wie wir am CeMM und an der MedUni Wien, an immer besseren molekularen Profilen von Genen, Proteinen und Metaboliten, die erlauben sollen, PatientInnen individuell zu behandeln. Aber beim Vorgang, der in dieser Studie eingesetzt wurde, geht es um eine Art von Abkürzung. Wir testen direkt, welches Medikament tatsächlich auf die Krebszellen wirkt. Die Idee zur personalisierten Krebsmedizin ist längst nicht neu. Doch in der dahinterliegenden Technologie, um Tumorgewebe so zu analysieren, dass daraus therapierelevante Informationen gewonnen werden können, stecken viele Jahre an Forschung. Heute können wir mit unerreichter Auflösung und Präzision Einzelzellanalysen von PatientInnenproben durchführen, einzelne Immunzell-Interaktionen beobachten und damit die Wirkung einer enormen Vielzahl an Medikamenten testen.“

Zielgerichtete Therapiewahl

Erstmals wurde in einer klinischen Krebsstudie im Bereich der Präzisionsmedizin ein funktioneller Assay verwendet. Das heißt, dass Wirkstoffe direkt am individuellen Zellmaterial der Patientin bzw. des Patienten getestet wurden, um daraus eine auf die jeweilige Person abgestimmte onkologische Therapie abzuleiten. Die Studie veranschaulicht, dass PatientInnen, für die keine Standardtherapien zur Verfügung stehen, von der funktionellen Einzelzell-Präzisionsmedizin (scFPM) stark profitieren, denn mit scFPM kann im Gegensatz zu früher eine Vielzahl an Wirkstoffen mittels eines High-Content-Assays detailliert erprobt werden.

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Die Studie „Functional Precision Medicine Provides Clinical Benefit in Advanced Aggressive Hematological Cancers and Identifies Exceptional Responders“ erschien in der Zeitschrift Cancer Discovery am 11. Oktober 2021, DOI: 10.1158/2159-8290.CD-21-0538

AutorInnen: Christoph Kornauth*, Tea Pemovska*, Gregory Vladimer*, Günther Bayer, Michael Bergmann, Sandra Eder, Ruth Eichner, Martin Erl, Harald Esterbauer, Ruth Exner, Verena Felsleitner-Hauer, Maurizio Forte, Alexander Gaiger, Klaus Geissler, Hildegard Greinix, Wolfgang Gstöttner, Marcus Hacker, Bernd Hartmann, Alexander Hauswirth, Tim Heinemann, Daniel Heintel, Mir Hoda, Georg Hopfinger, Ulrich Jaeger, Lukas Kazianka, Lukas Kenner, Barbara Kiesewetter, Nikolaus Krall, Gerhard Krajnik, Stefan Kubicek, Trang Le, Simone Lubowitzki, Marius Mayerhoefer, Elisabeth Menschel, Olaf Merkel, Katsuhiro Miura, Leonhard Müllauer, Peter Neumeister, Thomas Noesslinger, Katharina Ocko, Leopold Öhler, Michael Panny, Alexander Pichler, Edit Porpaczy, Gerald Prager, Markus Raderer, Robin Ristl, Reinhard Ruckser, Julius Salamon, Ana-Iris Schiefer, Ann-Sofie Schmolke, Ilse Schwarzinger, Edgar Selzer, Christian Sillaber, Cathrin Skrabs, Wolfgang Sperr, Ismet Srndic, Renate Thalhammer, Peter Valent, Emiel van der Kouwe, Katrina Vanura, Stefan Vogt, Cora Waldstein, Dominik Wolf, Christoph Zielinski, Niklas Zojer, Ingrid Simonitsch-Klupp**, Giulio Superti-Furga**, Berend Snijder**, and Philipp Staber**

*geteilte ErstautorInnen
**geteilte Letztautoren

Förderung: Die Studie wurde finanziert durch den Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds WWTF (LS16-034), den Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF (F4704-B20, F4711-B20 und P27132-B20), das European Molecular Biology Organization Long Term Fellowship (1543-2012, 733-2016), den Schweizerischen Nationalfonds (PP00P3_163961, PP00P3_194809 und CRSII5_193832) und den Europäischen Forschungsrat (SCIPER; 803063).

Philipp Staber ist assoziierter Professor der MedUni Wien, Leiter der Forschungsgruppe “Functional Precision Hematology” und Direktor der klinischen Programme für Lymphdrüsenkrebs, Chronisch Lymphatische Leukämie und T-Zell Lymphome an der MedUni Wien und dem AKH Wien.

Ingrid Simonitsch-Klupp ist außerordentliche Universitätsprofessorin am Klinischen Institut für Pathologie von MedUni Wien und AKH Wien, Leiterin der Arbeitsgruppe „Hämatopathologie“.

Berend Snijder ist Assistenz-Professor am Institut für Molekulare Systembiologie an der ETH Zürich, und Gruppenleiter am Schweizer Institut für Bioinformatik.

Giulio Superti-Furga ist Wissenschaftlicher Direktor des CeMM sowie Professor für Medizinische Systembiologie an der Medizinischen Universität Wien. Zu seinen aktuellen Interessensgebieten in der Forschung zählen Möglichkeiten zur Schaffung funktioneller Ansätze in der Präzisionsmedizin sowie die Rolle der menschlichen Membran-Transporter in der Pathophysiologie und der Arzneimittelentdeckung. Die Förderung junger Talente durch neue kollaborative und inklusive Ansätze, die Vereinigung von Grundlagenforschung und deren medizinischer Umsetzung sowie die technologische Innovation zum Nutzen der PatientInnen und der Gesellschaft sind ihm ein besonderes Anliegen.
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Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at

Die Medizinische Universität Wien (MedUni Wien) ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit rund 8.000 Studierenden ist sie heute die größte medizinische Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum. Mit 6.000 MitarbeiterInnen, 30 Universitätskliniken und zwei klinischen Instituten, 12 medizintheoretischen Zentren und zahlreichen hochspezialisierten Laboratorien zählt sie auch zu den bedeutendsten Spitzenforschungsinstitutionen Europas im biomedizinischen Bereich.

Im Universitätsklinikum AKH Wien des Wiener Gesundheitsverbundes werden jährlich rund 80.000 Patientinnen und Patienten stationär betreut. Die Ambulanzen und Spezialambulanzen des AKH Wien werden zusätzlich etwa 1,2 Mio. Mal frequentiert. Gemeinsam mit den Ärztinnen und Ärzten der MedUni Wien stehen für die Betreuung unserer PatientInnen rund 3.000 Krankenpflegepersonen, über 1.000 Angehörige der medizinischen, therapeutischen und diagnostischen Gesundheitsberufe und viele weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verschiedensten Berufsgruppen zur Verfügung.


Originalpublikation:

Die Studie „Functional Precision Medicine Provides Clinical Benefit in Advanced Aggressive Hematological Cancers and Identifies Exceptional Responders“ erschien in der Zeitschrift Cancer Discovery am 11. Oktober 2021, DOI: 10.1158/2159-8290.CD-21-0538


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW