Wie Blut- und Leukämiezellen entstehen



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23.11.2021 11:00

Wie Blut- und Leukämiezellen entstehen

Wissenschaftler*innen des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und des MDC haben gemeinsam mit Kolleg*innen vom Heidelberger Institut für Stammzelltechnologien und Experimentelle Medizin (HI-STEM) am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) sowie weiteren Forscher*innen aus Heidelberg und Barcelona die Entwicklung von Blutzellen detailliert nachverfolgt: Sie kombinierten Methoden, mit denen man die Aktivität der Gene innerhalb der Zelle analysiert mit dem Nachweis von Proteinmolekülen auf der Oberfläche der Zelle. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler*innen nun in der Zeitschrift Nature Immunology veröffentlicht.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Der Laie spricht bei Blutzellen von roten und weißen Blutkörperchen und Blutplättchen. Für Experten ist die Unterscheidung sehr viel detaillierter, vor allem bei den weißen Blutkörperchen, den Immunzellen, existieren viele verschiedene Zelltypen. Allen gemeinsam ist der Ursprung aus Blutstammzellen im Knochenmark. Wenn diese sich teilen und in verschiedene Zellen differenzieren, entsteht die Vielfalt der Blutzellen. „Bislang haben wir die verschiedenen Zellen anhand der Proteine auf ihrer Oberfläche voneinander unterschieden“, erklärt Ko-Letztautor der aktuellen Arbeit Dr. Simon Haas, Leiter der Nachwuchsgruppe Blutkrebs, Stammzellen und Präzisionsmedizin am BIH, die am Berliner Institut für molekulare Systembiologie (BIMSB) des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft angesiedelt ist. „Dazu nutzen wir die FACS-Analyse, oder Durchflusszytometrie, bei der Zellen mit der Hilfe von Antikörpern gegen rund 20 Oberflächenmoleküle analysiert werden“, berichtet Haas. „Das geht schnell und ist kostengünstig, ist aber nicht so genau.“

Mittlerweile gibt es sehr viel genauere Methoden, um Zellen zu untersuchen. Mit der Single-Cell-Analyse können Biowissenschaftler die verschiedenen messenger RNA (mRNA)-Moleküle in einzelnen Zellen bestimmen. Diese Botenstoffe überbringen die Information aus dem Erbgut im Zellkern, der DNA, in das Zellplasma, wo die mRNA in Eiweiß (Protein) übersetzt wird. In jeder Zelle ist der Gehalt und die Zusammensetzung der mRNA individuell verschieden. „Das ermöglicht uns, viel feinere Unterschiede zwischen Zellen festzustellen“, sagt Simon Haas. „So können wir mittlerweile verschiedene Entwicklungsstadien der Zellen erkennen, was zum Beispiel wichtig ist, um Blutkrebs genauer zu diagnostizieren oder den Alterungsprozess von Blutzellen zu verstehen.“ Für die tägliche Routine im Klinikbetrieb ist die Single Cell Diagnostik jedoch noch viel zu aufwändig und teuer. „Wir haben uns deshalb überlegt, ob man die Single-Cell-Analyse nicht mit der FACS-Analyse kombinieren kann.“

Hochpräzise Karte der Blutentwicklung

Dazu untersuchten die Wissenschaftler*innen um Simon Haas gemeinsam mit ihren Kolleg*innen am Heidelberger Institut für Stammzelltechnologien und Experimentelle Medizin (HI-STEM) am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), am Europäischen Molekularbiologischen Labor (EMBL) in Heidelberg und am Centre for Genomic Regulation (CRG) in Barcelona zunächst hunderttausende von Blutzellen verschiedener Stadien im Labor mit der Single-Cell-Analyse und erstellten so eine hochpräzise Karte der Entwicklung von Zellen des Blutsystems, sowohl von gesunden Spendern als auch von Leukämiepatienten. So konnten sie die normalen Alterungsprozesse nachvollziehen, aber auch erkennen, wie aus Stammzellen Leukämiezellen entstehen. Dabei entdeckten sie auch neue Markerproteine auf den Zelloberflächen, die wesentlich genauere Unterscheidungen zwischen den verschiedenen Zelltypen erlaubten.

„Das ist ganz wichtig, zum Beispiel bei der Diagnose und Therapie von Blutkrebserkrankungen“, betont Simon Haas. „Hier entwickeln sich die Zellen nicht in funktionstüchtige fertige Blutzellen, sondern bleiben während ihrer Entwicklung auf einer bestimmten Stufe stehen und vermehren sich immer weiter. Das geht so lange, bis das Blut überschwemmt ist von weißen Blutkörperchen, das Merkmal der Leukämie, des „weißen Blutes“. Damit wir diese Zellen zielgerichtet bekämpfen können, ist es notwendig, sie genau zu kennen und von gesunden Blutzellen unterscheiden zu können.“

Kombinierte Analyseverfahren für präzise Diagnostik

Die Wissenschaftler verknüpften daher die neu gefundenen Informationen über die verschiedenen Zellstadien mit den herkömmlichen Oberflächenmarkern, die beim FACS zum Einsatz kommen. Ergänzt um die neuen Markerproteine konnten sie mithilfe künstlicher Intelligenz die Ergebnisse aus den Single-Cell Analysen mit den FACS-Ergebnissen kombinieren. „Wir benutzen jetzt neue Kombinationen von Antikörpern, die uns die KI vorschlägt, um ganz bestimmte Zellstadien besser identifizieren zu können“, erklärt Haas.

Die Nachwuchsgruppe von Simon Haas gehört dem gemeinsamen Forschungsfokus „Single-Cell-Ansätze für die personalisierte Medizin“ an, den das BIH in der Charité gemeinsam mit dem MDC und der Charité – Universitätsmedizin Berlin gegründet hat. Die klinische Anwendung seiner Ergebnisse verfolgt Simon Haas nun mit seinen klinischen Partnern an der Charité, den Direktoren der Medizinischen Kliniken mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie, Professor Lars Bullinger am Charité Campus Virchow-Klinikum (CVK) sowie Professor Ulrich Keller am Charité Campus Benjamin Franklin (CBF). „Unser Ziel ist, Leukämien so besser zu diagnostizieren und die Blutkrebszellen präzise bekämpfen zu können.“

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Über das Berlin Institute of Health in der Charité (BIH)
Die Mission des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) ist die medizinische Translation: Erkenntnisse aus der biomedizinischen Forschung werden in neue Ansätze zur personalisierten Vorhersage, Prävention, Diagnostik und Therapie übertragen, umgekehrt führen Beobachtungen im klinischen Alltag zu neuen Forschungsideen. Ziel ist es, einen relevanten medizinischen Nutzen für Patient*innen und Bürger*innen zu erreichen. Dazu etabliert das BIH als Translationsforschungsbereich in der Charité ein umfassendes translationales Ökosystem, setzt auf ein organübergreifendes Verständnis von Gesundheit und Krankheit und fördert einen translationalen Kulturwandel in der biomedizinischen Forschung. Das BIH wurde 2013 gegründet und wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und zu zehn Prozent vom Land Berlin gefördert. Die Gründungsinstitutionen Charité – Universitätsmedizin Berlin und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) waren bis 2020 eigenständige Gliedkörperschaften im BIH. Seit 2021 ist das BIH als so genannte dritte Säule in die Charité integriert, das MDC ist Privilegierter Partner des BIH.

Kontakt
Dr. Stefanie Seltmann
Leiterin Kommunikation
Berlin Institute of Health in der Charité (BIH)

+49 (0) 30 450 543019
stefanie.seltmann@bih-charite.de
www.bihealth.org


Originalpublikation:

Veröffentlichung: Nature Immunology „Single-cell proteo-genomic reference maps of the hematopoietic system enable the purification and massive profiling of precisely defined cell states“; Sergio H. Triana, Dominik Vonficht, Lea Jopp-Saile, Simon Raffel, Raphael Lutz, Daniel Leonce, Magdalena Antes, Pablo Hernández-Malmierca, Diana Ordoñez-Rueda, Beáta Ramasz, Tobias Boch, Johann-Christoph Jann, Daniel Nowak, Wolf-Karsten Hofmann, Carsten Müller-Tidow, Daniel Hübschmann, Theodore Alexandrov, Vladimir Benes, Andreas Trumpp, Malte Paulsen, Lars Velten, Simon Haas. https://doi.org/10.1038/s41590-021-01059-0
https://www.nature.com/articles/s41590-021-01059-0


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW