27.10.2021 16:35
Wie COVID-19 das Immunsystem verändert
Durch COVID-19 sinkt die Zahl und Funktionsfähigkeit bestimmter Immunzellen im Blut stark ab, wie LMU-Forscher berichten. Dies könnte die Immunantwort auf Sekundärinfektionen beeinflussen.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Infektionen mit dem Corona-Virus verursachen bei etwa drei bis zehn Prozent der Patienten einen schweren Verlauf von COVID-19. Ursache hierfür sind überschießende Entzündungsreaktionen, Blutgerinnungsstörungen und Schäden am Herz-Kreislauf-System. Ein Team um die Immunologin Anne Krug, Professorin am Biomedizinischen Centrum der LMU, hat nun in einer breit aufgestellten Studie, an der zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Biomedizinischen Centrums und des LMU Klinikums beteiligt waren, einen weiteren, bisher unbekannten Effekt auf das Immunsystem entdeckt: Die Wissenschaftler berichten im Fachmagazin PLOS Pathogens, dass als Folge einer SARS-CoV-2-Infektion nicht nur der Anteil bestimmter Immunzellen, der sogenannten dendritischen Zellen, im Blut stark abnimmt, sondern auch deren Funktionsfähigkeit eingeschränkt ist. Dadurch könnten Patienten während und unmittelbar nach einer COVID-19 Erkrankung nach Ansicht der Forscher anfälliger für Sekundärinfektionen sein.
Dendritische Zellen lösen eine Immunantwort gegen Erreger aus, indem sie T-Zellen des Immunsystems aktivieren, die wiederum die Bildung von Antikörpern durch B-Zellen unterstützen. Wie sich eine Corona-Infektion dabei auswirkt, untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anhand von Blutproben von 65 COVID-19-Patientinnen und -Patienten, die am Klinikum der LMU behandelt worden sind. Zu ihrer Überraschung fanden sie, dass im Blut von COVID-19-Patienten weniger dendritische Zellen vorhanden waren als bei gesunden Probanden. Zudem aktivierten aus dem Blut der Patienten isolierte dendritische Zellen die T-Zellen schlechter. „Wir haben eigentlich erwartet, dass dendritische Zellen SARS-CoV-2-Infizierter T-Zellen stärker aktivieren können als dendritische Zellen von Gesunden“, sagt Krug. „Im längeren Verlauf der Erkrankung zeigten die dendritischen Zellen im Blut jedoch Veränderungen der Proteine an der Zelloberfläche, die eher zu einer Hemmung der T-Zell-Antworten führen.“ Es zeigte sich aber auch: 15 Tage nach der Diagnose hatten 90 Prozent der Patienten Antikörper gegen das SARS-CoV-2 Hüllprotein gebildet und viele Patienten zeigten eine Aktivierung der T-Zellen als Zeichen einer robusten Immunreaktion gegen das Virus. „Wir können also nicht sagen, dass sich negative Folgen bei der Immunantwort gegen das Coronavirus zeigen“, betont die Forscherin.
Medizinisch bedeutsam seien diese Befunde dennoch, ist Krug überzeugt: Möglicherweise reagiere der Körper bei reduzierter Anzahl und gestörter Funktion dendritischer Zellen auf bakterielle oder virale Infektionen nach COVID-19 schwächer als erwartet. Oder Erreger wie Herpesviren, die viele Menschen in sich tragen, könnten reaktiviert werden, vermutet die Forscherin. Dieser mögliche Zusammenhang müsse in klinischen Studien weiter untersucht werden.
Aber wieso sinkt die Anzahl der dendritischen Zellen im Blut ab und warum reduziert sich ihre Fähigkeit T-Zellen zu stimulieren? Krug hat mehrere Hypothesen. „Es könnte sich um einen normalen, sinnvollen Regulationsvorgang handeln“, so die Forscherin. Bei COVID-19 komme es zu teils heftigen Entzündungsreaktionen – vielleicht versuche der Körper, inflammatorische Vorgänge herunterzuregulieren. Möglicherweise wandern dendritische Zellen aus dem Blut in entzündete Gewebe wie die Lunge ein, was die Reduktion der zirkulierenden Zellen erklären könnte. „Aber wir sehen auch, dass die Regeneration dendritischer Zellen ins Stocken gerät“, berichtet die Immunologin. Die Wissenschaftler vermuten, dass Patienten während und unmittelbar nach COVID-19 schlechter Immunantworten auslösen können. Im nächsten Schritt will die LMU-Immunologin diesen möglichen Zusammenhang weiter untersuchen und herausfinden, ob die beschriebenen Effekte auf das Immunsystem bei Langzeitbeschwerden nach SARS-CoV-2-Infektionen eine Rolle spielen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Anne B. Krug
Institute for Immunology
Biomedical Center Munich
https://www.immunologie.med.uni-muenchen.de/research_neu/ag_krug/index.html
Originalpublikation:
E. Winheim, L. Rinke, K. Lutz, A. Reischer, A. Leutbecher, L. Wolfram, L. Rausch, J. Kranich, P. R. Wratil, J. E. Huber, D. Baumjohann, S. Rothenfusser, B. Schubert, A. Hilgendorff, J. C. Hellmuth, C. Scherer, M. Muenchhoff, M. von Bergwelt-Baildon, K. Stark, T. Straub, T. Brocker, O. T. Keppler, M. Subklewe, A. B. Krug: Impaired function and delayed regeneration of dendritic cells in COVID-19.
PLOS Pathogens 2021
https://journals.plos.org/plospathogens/article?id=10.1371/journal.ppat.1009742
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
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