Unser flexibles Erbe
Gene oder Umwelt – was prägt den Menschen stärker? Keines von beiden, sagen Forscher! Denn die vermeintlichen Kontrahenten arbeiten in Wirklichkeit Hand in Hand. Wie, das untersucht die “Epigenetik”, deren wichtigste Erkenntnisse die November-Ausgabe des Magazins “Gehirn&Geist” (11/2009) vorstellt.
Wie kanadische Forscher herausfanden, entscheiden frühkindliche Erfahrungen mit darüber, ob bestimmte Stressgene abgelesen werden oder nicht: Bei Suizidopfern, die als Kinder sexuell oder körperlich missbraucht worden waren, war ein Erbfaktor blockiert, der normalerweise die Stressresistenz fördert. An der DNA saßen so genannte Methylgruppen, die das Ablesen des Gens unterbanden. Auch eineiige Zwillinge, die bekanntlich genetisch identisch sind, offenbaren mit zunehmendem Lebensalter unterschiedliche Methylierungsmuster. Die unterschiedlichen Lebenserfahrungen brennen sich quasi in ihre DNA. Dies erklärt, warum ein Zwilling an einer psychischen Krankheit wie Schizophrenie leiden kann, ohne dass sein Geschwister ebenfalls betroffen sein muss.
Eine wichtige Rolle spielt auch, von welchem Elternteil das jeweilige Erbgut stammt. Denn von manchen Genen werden die väterlichen, von anderen die mütterlichen Versionen bereits im Embryo stillgelegt. Diese “genomische Prägung” scheint nach neusten Forschungsergebnissen größeren Einfluss auf die psychische Entwicklung zu haben, als bislang vermutet. So wird die Reifung bestimmter Hirnregionen eher durch mütterliche, andere Areale dagegen durch väterliche Gene gesteuert.
Inzwischen kennen Epigenetiker etliche Krankheiten, die durch Prägungsfehler ausgelöst werden. Wenn etwa ein bestimmter Abschnitt des von der Mutter geerbten Chromosoms 15 fehlt, zeigt das Kind Entwicklungsdefizite, die als Angelman-Syndrom bekannt sind. Ist dagegen das väterliche Chromosom betroffenen, löst dies das Prader-Willi-Syndrom mit geistiger Behinderung und Stoffwechselstörungen aus. Auch bei Autismus, Schizophrenie, Depression und sogar Alzheimer-Demenz könnte die genomische Prägung maßgebend sein. Quelle: Gehirn&Geist, November 2009