Abkürzung für Wächterzellen



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17.05.2021 14:17

Abkürzung für Wächterzellen

Während einer Entzündungsreaktion muss es schnell gehen: Wächterzellen des Immunsystems steht dann ein schneller Weg aus dem Gewebe in Richtung Lymphknoten offen, wie ETH-Forschende herausgefunden haben.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Damit unser Immunsystem auf Krankheitserreger und Impfstoffe reagieren kann, ist es auf die Dendritischen Zellen angewiesen. Das sind weisse Blutzellen, die im Körpergewebe stationiert sind, dort patrouillieren und via Lymphgefässe in die Lymphknoten gelangen können. Auf ihrem Kontrollgang sammeln die Dendritischen Zellen Bestandteile von Krankheitserregern und Impfstoffen ein und transportieren diese in die Lymphknoten. Dort treffen sie auf eine Vielzahl weiterer Immunzellen, denen sie ihre Ausbeute zeigen, um eine Immunreaktion in Gang zu bringen. Dendritische Zellen werden daher auch Wächterzellen genannt.

Wie genau die Dendritischen Zellen aus dem Körpergewebe in die Lymphgefässe und von dort in die Lymphknoten gelangen, ist das Forschungsgebiet von Cornelia Halin, Professorin für pharmazeutische Immunologie an der ETH Zürich. Lange ist die Wissenschaft davon ausgegangen, dass die Dendritischen Zellen den Weg des geringsten Widerstands wählen und aus dem Körpergewebe in die feinsten Verästelungen der Lymphgefässe, die Lymphkapillaren, einwandern. Denn im Gegensatz zu anderen Lymphgefässen sind die Kapillaren nur von einer dünnen, kaum geschlossenen Zellschicht umgeben. Die Dendritischen Zellen können dort verhältnismässig einfach durch die Zwischenräume zwischen zwei Zellen schlüpfen.

Allerdings ist dieser Weg langsam. Während die Zellen in den Blutgefässen und den meisten anderen Lymphgefässen von einem Flüssigkeitsstrom mitgerissen werden, ist in den Lymphkapillaren kein solcher Strom vorhanden. Die Zellen müssen sich in diesen Kapillargefässen selbst vorwärtsbewegen, was sie nur extrem langsam können.

Trotz Hürde schneller

Mit ihrem Team hat ETH-Professorin Halin nun herausgefunden, dass es für die Dendritischen Zellen eine Abkürzung gibt. In Untersuchungen an Gewebe von Mäusen und mittels Mikroskopie konnten die Wissenschaftler zeigen, dass Dendritische Zellen auch direkt in jene Lymphgefässe einwandern können, in welche die Kapillargefässe münden: die Lymphkollektoren. Diese Gefässe sind von einer gut verschlossenen Zellschicht sowie einer dickeren Bindegewebsmembran umgeben. Diese zu durchbrechen ist für die Dendritischen Zellen entsprechend schwieriger, und das Eindringen dauert länger als bei den Kapillaren. Über alles gesehen resultiert für die Dendritischen Zellen auf diesem Weg in die Lymphknoten aber dennoch ein Zeitvorteil, da sie in den Kollektoren wieder vom Lymphfluss mitgerissen werden und das langsame Vorwärtskämpfen in den Kapillaren entfällt.

Dünnere Membran bei Entzündungen

Unter welchen Umständen die Dendritischen Zellen den bekannten Weg über die Kapillaren wählen, und unter welchen sie die neuentdeckte Abkürzung nehmen können, ist noch unklar und Gegenstand weiterer Forschung. Wie ETH-Professorin Halin und ihre Mitarbeitenden zeigen konnten, steht die Abkürzung zur Verfügung, wenn das Gewebe lokal entzündet ist. Ebenso konnten die Forschenden zeigen, dass die Bindegewebsmembran, welche die Kollektoren umgibt, während Entzündungsreaktionen dünner wird, was den Dendritischen Zellen das Eindringen erleichtert.

Es scheint also, dass die Entzündungsreaktion der springende Punkt ist, der den Dendritischen Zellen die Abkürzung und schnellere Ankunft in den Lymphknoten ermöglicht. Ob alle Dendritischen Zellen oder nur spezielle Unterarten die Abkürzung nehmen können, werden die Wissenschaftlerinnen nun untersuchen. Insbesondere werden sie der Frage nachgehen, welche Bedeutung der neuentdeckte Weg für das Immunsystem und für Immunreaktionen hat. Sie vermuten, dass die Möglichkeit, schneller im Lymphknoten Alarm schlagen zu können, einen Vorteil bei der Bekämpfung von gewissen Infektionen mit sich bringt.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Cornelia Halin, Professorin für pharmazeutische Immunologie an der ETH Zürich

cornelia.halin@pharma.ethz.ch

+41 44 633 29 62


Originalpublikation:

https://doi.org/10.1084/jem.20201413


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW