„Eigentlich wünschen sich beide Seiten einen fairen Dialog“



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12.05.2022 16:45

„Eigentlich wünschen sich beide Seiten einen fairen Dialog“

Wirtschaftspsychologin Prof. Dr. Christel Kumbruck forscht seit Jahren zum Spannungsfeld Flüchtlinge und zur Dialogkultur in Deutschland. Über Ergebnisse und Einsichten, und deren Übertragbarkeit auf die Covid-Pandemie und den Ukrainekrieg, spricht Sie im Interview.

Frau Kumbruck, Sie und ihr Forschungsteam haben sich in den vergangenen vier Jahren mit den Motiven, Werten und Vorurteilen sowohl der Flüchtlingshelfer als auch der Flüchtlingsskeptiker befasst. Ihre Ergebnisse präsentieren Sie am 17. Mai auf einer Online-Tagung der Hochschule Osnabrück. Was bewegt diese Engagementgruppen?

Die Flüchtlingshelfenden eint, dass sie auf der Motivebene eher mehrwert- und kontaktorientiert sind. Ihre Ziele sind es, zu helfen, den Geflüchteten die Integration zu erleichtern und sich selber durch Austausch und Lernen weiterzuentwickeln. Manchmal sollen auch Gewissenskonflikte reduziert werden, die in der deutschen Geschichte wurzeln. Flüchtlingsskeptiker sind stärker erhaltungs- und systemorientiert, ihr Engagement findet eher abstrakt statt. Sie sind unzufrieden mit dem politischen Establishment, sie wollen gehört und anerkannt werden, befürworten Entwicklungshilfe statt Flüchtlingsaufnahme.

Willkommenskultur versus Flüchtlingskrise, diese Begriffe charakterisieren den Umgang mit dem Flüchtlingszuzug seit 2015. Wie wirkt sich diese Polarisierung auf die Gesellschaft aus?

Sie wirkt sich negativ auf die gesellschaftliche Stimmung aus. Misstrauen, Frustration, Vorurteile und moralisch erhobene Zeigefinger bis hin zu Dialogabbrüchen überwiegen die Sicht auf die anderen und die Kommunikationserfahrungen mit ihnen. Sie führt zu einer Radikalisierung, zu einem Schwarz-Weiß-Denken auf beiden Seiten. Aus diffusen Ängsten, die sich auf einzelne Aspekte oder Gruppen ausrichten lassen, entstehen oft Wut, Hass und letztlich Gewalt. Eine gesellschaftliche Spaltung hat also das Potenzial, gefährlich zu werden.

Lassen sich diese Erkenntnisse auch auf die Impfbefürworter und Impfgegner in der Corona-Pandemie übertagen?

Was die Wirkungsmechanismen angeht, gibt es tatsächlich einige Parallelen: Auch hier sehen wir leider eine Polarisierung, also das Aussterben der Grautöne zwischen beiden Extremen. Dabei gibt es viele Menschen, die zum Beispiel die Pharma- und Gesundheitsindustrie eher kritisch sehen, sich aber trotzdem haben impfen lassen. Gleichzeitig leugnet nicht jede Person, die nicht geimpft ist, das Virus. In der Sprache zeigt sich diese Spaltung gut: Es gibt einerseits die Skeptiker*innen, die pauschal als „Schwurbler“ und Verschwörungstheoretiker*innen bezeichnet werden, während die Geimpften andererseits als „Schlafschafe“ oder „Systemlinge“ bezeichnet werden. Genau das kennen wir auch schon aus dem Kontext Flüchtlingsaufnahme.

Und mit Blick auf die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine – wird es auch hier zu einer Lagerbildung kommen?

Die Flüchtlinge aus der Ukraine scheinen in der Gesellschaft etwas anders, nämlich als ähnlicher, als westlich sozialisiert wahrgenommen zu werden, das Konfliktpotenzial ist eventuell nicht so groß. Trotzdem sind sie anders, ebenfalls fremd und das kann ähnliche Abwehrreaktionen bei einem Teil der Bevölkerung hervorrufen, wie gegenüber den Kriegsflüchtlingen aus Syrien.

Könnte es nicht auch sein, dass Deutschland seit 2015 dazu gelernt hat und die Ängste vor den Auswirkungen der Flüchtlingsaufnahme abgenommen haben?

Ja, auch das ist denkbar. Politik und Gesellschaft haben seitdem viel gelernt. Die Kritik von Flüchtlingshelfenden und Skeptikern muss jedoch weiter ernst genommen werden. Die Politik muss intensiv mit den Bürger*innen kommunizieren. Das zeigt ein Blick auf Europa. In vielen Ländern ist eine Spaltung der Gesellschaft in Menschen mit viel Offenheit für Veränderungen und denen mit einem starken Erhaltungsbedürfnis zu beobachten. Wir brauchen eine Integrationsstrategie, die gemeinsame Werte und Regeln festlegt. Fehlen diese, wirkt sich das destruktiv auf die Gesamtgesellschaft aus und fördert das die Bildung von Schattengesellschaften.

Auf der Online-Konferenz am 17. Mai präsentieren Sie auch Lösungsansätze, zeigen Parallelen zwischen den Engagierten auf, erklären, wie Brücken zwischen den Lagern geschlagen werden können und welche Voraussetzungen dafür entscheidend sind. Geben Sie uns einen kurzen Einblick?

Eigentlich wünschen sich beide Seiten einen fairen Dialog. Dass dieser nicht gut gelingt, ist unter anderem dem „Phänomen der Gruppenhomogenität“ geschuldet. Es besagt, dass Menschen innerhalb einer Gruppe Unterschiede herunterspielen und gleichzeitig Unterschiede zu anderen Gruppen überakzentuieren. Das Phänomen wirkt also nach innen und nach außen und wechselseitig. In einen Dialog zu treten und eine Annäherung zu beginnen, wenn wir Gemeinsamkeiten zu anderen nur schwer erkennen, ist somit sehr schwer.

Das klingt so, als wäre viel Kommunikationskompetenz nötig, um die festgefahrenen Positionen aufzuhebeln?

Mein Team und ich halten es für extrem wichtig, Menschen auf gemeinsame Regeln für ein friedliches Miteinander im gesellschaftlichen Alltag zu verpflichten. Diese Regeln bestehen zu einem wesentlichen Teil aus Basiskompetenzen für eine gute Kommunikation. Dazu zählen unter anderen gegenseitiger Respekt, Emotionsregulation, Perspektivübernahme, und Selbstreflexion.

Gehen Sie auf der Tagung näher darauf ein, wie diese Kompetenzen erworben und die Kommunikation depolarisiert werden kann?

Viele Einzelelemente zur Unterstützung der Dialoge werden auf der Tagung vorgestellt. Ein Beispiel sind die Brückenbauenden, die sich in beide Sichtweisen hineindenken können und somit eine Vermittlerfunktion im Dialog wahrnehmen. Im Buch zum Forschungsprojekt zeigen wir Portraits engagierter Personen, ihre Motive und Ziele. Mit Hilfe eines Schemas können Lesende die Portraits analysieren und dabei Kommunikationskompetenzen wie Selbstreflexion und Empathie schulen.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Christel Kumbruck
Emeritiert Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie
E-Mail: c.kumbruck@hs-osnabrueck.de


Originalpublikation:

Publikation: Christel Kumbruck (Hrsg.) Spannungsfeld Flüchtlinge. Ein psychologischer Blick auf Engagierte und die Dialogkultur, Springer Verlag, 2022


Weitere Informationen:

https://www.hs-osnabrueck.de/veranstaltungen/2022/05/online-tagung-spannungsfeld…


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Gesellschaft, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW