14.12.2021 09:05
Fettgewebe wichtiger Replikationsort von SARS-CoV-2
Adipositas ist ein wichtiger Risikofaktor für schwere Krankheitsverläufe bei Patienten mit COVID-19. Ein multidisziplinäres Forschungsteam aus dem Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie (HPI) und dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) konnte nun eine wichtige Rolle des Fettgewebes für die Virusvermehrung von SARS-CoV-2 nachweisen. Die Ergebnisse, die auch neue therapeutische Strategien zur Behandlung von SARS-CoV-2-Infektionen aufzeigen, sind in der Online-Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Cell Metabolism erschienen.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Weltweit stellt überhöhtes Körpergewicht eine schwerwiegende Bedrohung für die öffentliche Gesundheit dar. Laut Weltgesundheitsorganisation hat die Prävalenz der Adipositas in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugenommen und mittlerweile epidemische Ausmaße angenommen. Etwa 39% der Erwachsenen (>18 Jahre) sind übergewichtig (BMI≥25 kg/m²) und 13% adipös (BMI≥30 kg/m²). Geschätzt sind 19% der Kinder und Jugendlichen übergewichtig und 7% adipös. Die Prävalenzen können länderabhängig stark variieren.
In der COVID-19 Pandemie hat sich wiederholt gezeigt, dass Adipositas ein Risikofaktor für schwere Krankheitsverläufe darstellt. Allerdings war die Rolle des Fettgewebes für die Virusinfektion und Virusvermehrung von SARS-CoV-2 sowie mögliche Konsequenzen für den Stoffwechsel zu großen Teilen ungeklärt. Dieser Fragestellung wurde nun in einer multidisziplinär angelegten Studie nachgegangen.
Das Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Gülşah Gabriel (HPI) und Prof. Dr. Jörg Heeren (UKE) konnte in Autopsieproben von COVID-19-Verstorbenen zeigen, dass SARS-CoV-2 häufig im Fettgewebe von COVID-19-Patienten nachweisbar ist. Bemerkenswerterweise wurde das Virus vorwiegend im Fettgewebe von männlichen Personen nachgewiesen, die übergewichtig oder adipös waren. Bei weiblichen Personen wurde SARS-CoV-2 ebenfalls in Fettgeweben nachgewiesen, wobei es keine eindeutige Korrelation zwischen der Fettmasse und den Virus-mRNA-Spiegeln gab. In einem präklinischen Modell einer COVID-19-Erkrankung wurde zudem gezeigt, dass sich SARS-CoV-2 vom Respirationstrakt ausgehend in das Fettgewebe ausbreitet und sich dort weiter vermehrt. Dies führt zu einer lokalen Entzündung und hat Folgen für den gesamten Stoffwechsel. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die bei Patienten mit COVID-19 beschriebenen Veränderungen des Stoffwechsels durch die SARS-CoV-2-Infektion der Fettgewebe erklärbar sind“, erläutert Jörg Heeren, Professor für Immunstoffwechsel am Institut für Biochemie und Molekulare Zellbiologie des UKE.
Zudem konnte in reifen Adipozyten (Fettzellen) in Zellkultur gezeigt werden, dass der intrazelluläre Fettstoffwechsel für die Ausbreitung von SARS-CoV-2 ein maßgeblicher Faktor ist. So reduziert die Blockierung des Fettabbaus durch einen Lipase-Inhibitor die Virusreplikation in reifen Adipozyten um das 100-fache. Durch die gleichzeitige Verabreichung eines Medikamentes, welches zur Cholesterin-Senkung eingesetzt wird, konnte die Replikation noch weiter unterdrückt werden. „Da es sich dabei um zwei bereits gegen andere Krankheitsbilder zugelassene Wirkstoffe handelt, könnten unsere Ergebnisse eine Basis für neue Behandlungsstrategien gegen COVID-19 darstellen“, erläutert Gülşah Gabriel, Leiterin der HPI-Abteilung „Virale Zoonosen – One Health“ und Professorin für Virologie an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo), die Ergebnisse.
Diese multidisziplinäre Studie wurde in der Abteilung Virale Zoonosen – One Health am Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie (HPI), in den Instituten für Biochemie und Molekulare Zellbiologie, für Rechtsmedizin, für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin, für Neuropathologie sowie den Kliniken für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie und für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf durchgeführt. Beteiligt war ebenfalls die Abteilung Computational Biology of Infection Research vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Gülşah Gabriel (HPI, TiHo), Tel.: 040/48051-315, guelsah.gabriel@leibniz-hpi.de
Prof. Dr. Jörg Heeren (UKE), Tel.: 040/7410 51715, heeren@uke.de
Originalpublikation:
Martin Zickler, Stephanie Stanelle-Bertram, Sandra Ehret, Fabian Heinrich, Philine Lange, Berfin Schaumburg, Nancy Mounogou Kouassi, Sebastian Beck, Michelle Y. Jäckstein, Oliver Mann, Susanne Krasemann, Maria Schröder, Dominik Jarczak, Axel Nierhaus, Stefan Kluge, Manuela Peschka, Hartmut Schlüter, Thomas Renné, Klaus Püschel, Andreas Klötgen, Ludger Scheja, Benjamin Ondruschka, Jörg Heeren and Gülşah Gabriel (2021). Replication of SARS-CoV-2 in adipose tissue determines organ and systemic lipid metabolism in hamsters and humans. Cell Metabolism (2021).
https://doi.org/10.1016/j.cmet.2021.12.002
Weitere Informationen:
http://www.hpi-hamburg.de HPI-Webseite
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
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