11.09.2020 11:41
Gelassen durch die Schwangerschaft: Besserer Umgang mit Stress vorteilhaft für das Neugeborene
Eine Forschungsgruppe der Charité – Universitätsmedizin Berlin konnte nachweisen, dass sich das psychische Wohlergehen werdender Mütter während der Schwangerschaft positiv auf die neugeborenen Kinder auswirkt. Längere Telomere – Schutzkappen an den Enden der Chromosomen – weisen darauf hin, dass ihre Zellalterung verringert ist, was sich auf die zukünftige Gesundheit der Kinder auswirken könnte. Die Ergebnisse sind jetzt im Fachmagazin American Journal of Psychiatry* veröffentlicht.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Verschiedene Aspekte während der Schwangerschaft können sich auf die Entwicklung des Kindes auswirken. Bisher wurden vor allem negative Einflüsse von Stress, Übergewicht oder schlechter Ernährung untersucht – etwa auf die Funktion der Plazenta, Frühgeburten oder die allgemeine Kindesgesundheit. Auf zellulärer Ebene können sich verschiedene Einflüsse während der Schwangerschaft direkt auf die Telomere auswirken – spezielle Strukturen, die die Enden von Chromosomen bei der Zellteilung schützen und die durch das Enzym Telomerase verlängert werden können. Die Telomerlänge ist ein molekularbiologischer Marker der Zellalterung, der mit der Lebensdauer und einer Reihe altersbedingter Erkrankungen in Zusammenhang steht. Obwohl der Einfluss von mütterlichem Stress gut untersucht ist, gibt es bisher nur sehr wenige Befunde zu protektiven mütterlichen Faktoren und ihren positiven Effekten auf die Kindesentwicklung.
Die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Sonja Entringer am Institut für Medizinische Psychologie der Charité konnte nun zeigen, dass die psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber Stress – die sogenannte Resilienz – während der Schwangerschaft mit der Telomerlänge zusammenhängt. Je positiver die werdenden Mütter eingestellt sind, desto länger sind auch die Telomere in Zellen der Kinder. „Positive mütterliche psychologische Charakteristika werden also biologisch beim Fötus eingebettet und wirken sich protektiv aus“, sagt Prof. Entringer.
Bereits in einer vorhergehenden Studie hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersucht, wie sich mütterlicher Stress während der Schwangerschaft auf die Telomerlänge der Nachkommen auswirkt. Für die aktuelle Arbeit konnte das Team um Prof. Entringer – zusammen mit Forschenden um Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn von der University of California sowie einem Team in Finnland – auf eine große Probandengruppe mit über 650 Mutter-Kind-Paaren zurückgreifen. Die Telomerlänge wurde bereits bei Geburt in Zellen des Nabelschnurblutes bestimmt. Die positive Einstellung von Schwangeren trotz Stressbelastung bestimmten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch einen Index der Resilienz, in den auch das psychische Wohlergehen und die wahrgenommene soziale Unterstützung einflossen.
„Die Studie unterstreicht die Wichtigkeit des psychischen Wohlergehens der Mutter während der Schwangerschaft für die Programmierung von Krankheit und Gesundheit des Kindes während des gesamten Lebens, sowie die Bedeutung verbesserter Maßnahmen zur psychosozialen Betreuung während der Schwangerschaft“, erklärt Prof. Entringer, die auch Associate Professor an der University of California in Irvine ist. Bereits 2016 war sie mit einem „Starting Grant“ des Europäischen Forschungsrats (ERC) ausgezeichnet worden, durch dessen Finanzierung sie eine eigene Forschungsgruppe aufbauen konnte. Aktuell widmet sich die Gruppe molekularen Mechanismen, die bei der Verankerung der psychosozialen Effekte in den Zellen des ungeborenen Kindes zugrunde liegen. In einem weiteren Schritt ist eine Interventionsstudie zur Stressreduktion im Alltag von Schwangeren geplant.
*Verner G et al. Maternal psychological resilience during pregnancy and newborn telomer length: a prospective study. Am J Psychiatry (2020), DOI:10.1176/appi.ajp.2020.19101003
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Sonja Entringer
Institut für Medizinische Psychologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
t: +49 30 450 529 216
E-Mail: sonja.entringer@charite.de
Originalpublikation:
https://ajp.psychiatryonline.org/doi/10.1176/appi.ajp.2020.19101003
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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