Herzmedikament wirkt gegen Krankenhauskeim – Ulmer Pharmakologen entschärfen gefürchteten Darmerreger



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10.10.2023 12:13

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Herzmedikament wirkt gegen Krankenhauskeim – Ulmer Pharmakologen entschärfen gefürchteten Darmerreger

Ein als Krankenhauskeim bekanntes Darmbakterium kann von einem Herzmedikament in Schach gehalten werden. Zu diesem überraschenden Ergebnis kamen Forschende um die Ulmer Pharmakologen und Toxikologen Panagiotis Papatheodorou und Holger Barth. Wie sie zeigen konnten, hemmt das Arzneimittel Amiodaron bestimmte Zellgifte des Darmerregers C. difficile. Die Ergebnisse des internationalen Kooperationsprojekts wurden nun in der Fachzeitschrift Gut Microbes veröffentlicht.

„Der bakterielle Darmerreger Clostridioides difficile ist ein gefürchteter Krankenhauskeim, der insbesondere dann auftritt, wenn Patienten mit bestimmten Antibiotika behandelt werden“, erklärt Professor Panagiotis Papatheodorou vom Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Toxikologie und Naturheilkunde des Ulmer Universitätsklinikums. „Weil diese Antibiotika jedoch viele nützliche Bakterien im Darm abtöten, ist dessen Mikrobiom, also die Gesamtheit der dort lebenden Mikroorganismen, gestört. So kann der Erreger sich im Darm ungehindert vermehren und seine Proteintoxine TcdA und TcdB ausscheiden.“ Diese Toxine dringen in die schützenden Epithelzellen auf der Darmoberfläche ein und schädigen sie, indem sie wichtige Schaltermoleküle inaktivieren. Dies verursacht Erkrankungen wie Antibiotika-assoziierte Diarrhoe oder gar die pseudomembranöse Kolitis, eine lebensbedrohliche Darmentzündung. „Bei schwerstverletzten Trauma-Patienten auf Intensivstationen können die C. difficile-Toxine zudem zu posttraumatischen Komplikationen führen“, erklärt Papatheodorou, zu dessen Forschungsschwerpunkten die zelluläre Aufnahme und Wirkweise bakterieller Giftstoffe zählt.

Ziel eines Kooperationsprojekts mit der Universität von Costa Rica war es nun, die Zellvergiftung durch C. difficile pharmakologisch zu verhindern. „Der Angriffspunkt, um die Giftstoffe des Bakteriums gezielt zu hemmen, ist ihre Abhängigkeit von Cholesterin in der Zellmembran der Wirtszellen“, so Professor Holger Barth. Der Leiter des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Toxikologie und Naturheilkunde, der die Rolle bakterieller Toxine im Bereich der Traumatoxikologie im Ulmer SFB 1149 untersucht, hat die Studie gemeinsam mit Professor Papatheodorou koordiniert. „Senkt man also den Cholesterin-Spiegel mit Medikamenten ab, gelangen TcdA und TcdB weniger effizient in die Zellen – und deren Vergiftung bleibt aus.“ Auf der Suche nach geeigneten Wirkstoffen bediente man sich dem Prinzip des „Drug Repurposing“, also der Erprobung bereits bekannter und lizenzierter Medikamente. Vorteile sind kürzere Weiterentwicklungs- und Zulassungszeiten sowie ein geringeres Risiko für unerwünschte Wirkungen.

Die Idee, ausgerechnet Amiodaron zu untersuchen, hatte die Medizin-Doktorandin Judith Schumacher. „Dieses Medikament wird eigentlich als Antiarrhythmikum zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen eingesetzt“, erklärt Schumacher, die am Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Toxikologie und Naturheilkunde promoviert. „Meine Literaturrecherche hatte hervorgebracht, dass es Cholesterin-senkend wirkt. Wir prüften daher, ob eine Vorinkubation mit Amiodaron kultivierte Zellen auch vor einer Vergiftung mit TcdA und TcdB schützen kann.“

In ihren Experimenten untersuchten die Forschenden kultivierte Säugetier- und Humanzellen. Schlüsselergebnisse überprüften sie an künstlichen Darmorganoiden – von der Ulmer Core Facility „Organoids“ zur Verfügung gestellt –, die als Alternative zum Tierversuch dreidimensionale Modelle des menschlichen Darms darstellen. Mittels Licht- und Fluoreszenzmikroskopie machten die Forschenden sowohl die Wirkung der C. difficile-Toxine auf kultivierte Zellen und Darmorganoide als auch den Hemmeffekt durch Amiodaron sichtbar. „Unsere Grundannahme, dass Amiodaron aufgrund seiner Cholesterin-senkenden Wirkung in Zellen als Hemmstoff für TcdA und TcdB aus C. difficile infrage kommt, konnte dabei bestätigt werden“, so Schumacher.

Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich in Gut Microbes veröffentlicht, der führenden Forschungszeitschrift auf dem Gebiet der Darm-Mikrobiota und -Erreger. Der Publikation zufolge stellte man zudem fest, dass Amiodaron die Toxine noch über einen weiteren Mechanismus hemmt. „Um ihren toxischen Anteil in das Zellinnere zu transportieren, bilden die Toxine eine Membranpore“, so Panagiotis Papatheodorou. „Unseren Daten nach hemmt Amiodaron diesen Vorgang, indem es direkt mit dieser Membranpore wechselwirkt – selbst bei TcdA- und TcdB-Varianten aus einem besonders virulenten und epidemisch auftretenden C. difficile-Stamm.“

Die zunehmende Resistenz des Bakteriums gegen Antibiotika mache die Behandlung entsprechender Erkrankungen und posttraumatischer Komplikationen zunehmend schwer, so der Forscher. „Das Herzmedikament Amiodaron könnte eine Begleittherapie von C. difficile-assoziierten Erkrankungen darstellen, die aber zunächst noch in klinischen Studien untersucht werden muss.“ Unterstützt wurde das Projekt durch Drittmittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Text: Anja Burkel

Medienkontakt: Andrea Weber-Tuckermann, E-Mail: andrea.weber-tuckermann@uni-ulm.de, Tel.: 0731 / 50 22024


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Panagiotis Papatheodorou, Tel.: 0731 / 500 65506, E-Mail: panagiotis.papatheodorou@uni-ulm.de


Originalpublikation:

Judith Schumacher, Astrid Nienhaus, Sebastian Heber, Jauheni Matylitsky, Esteban Chaves-Olarte, César Rodríguez, Holger Barth & Panagiotis Papatheodorou. Exploring the inhibitory potential of the antiarrhythmic drug amiodarone against Clostridioides difficile toxins TcdA and TcdB, in Gut Microbes, Volume 15, Issue 2, 25 Sep 2023, https://doi.org/10.1080/19490976.2023.2256695


Bilder

Links: In Zellen, die mit Clostridioides difficile-Toxin TcdB vergiftet wurden, kollabiert das Zellskelett (grün) um den Zellkern (blau) herum. Rechts: In Zellen, die zunächst mit Amiodaron behandelt wurden, beibt das Zellskelett intakt

Links: In Zellen, die mit Clostridioides difficile-Toxin TcdB vergiftet wurden, kollabiert das Zells

doi: 10.1080/19490976.2023.2256695

v.l. Judith Schumacher, Prof. Panagiotis Papatheodorou und Prof. Holger Barth

v.l. Judith Schumacher, Prof. Panagiotis Papatheodorou und Prof. Holger Barth

Uni Ulm


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


 

Quelle: IDW