25.03.2021 11:01
Neue Studie belegt Nutzen von COVID-19-Impfungen vor Operationen
Um dem erhöhten Sterblichkeitsrisiko von mit dem Coronavirus infizierten Patientinnen und Patienten bei chirurgischen Eingriffen entgegenzuwirken, hat das Forschungsnetzwerk COVIDSurg eine neue Studie durchgeführt. Im Rahmen dieser internationalen Modellierungsstudie konnte das Forschungsteam, an dem auch die Klinik für Allgemeine, Viszeral- und Transplantationschirurgie des Uniklinikums Tübingen beteiligt ist, nun den Nutzen von COVID-19-Impfungen vor operativen Eingriffen belegen. Mit den Ergebnissen sprechen sie sich für eine COVID-19-Impfpriorisierung vor dringend erforderlichen aber planbaren Operationen aus. Die Ergebnisse sind aktuell im British Journal of Surgery publiziert.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Nicht infizierte Patientinnen und Patienten sollten vor einer Operation gegen COVID-19 geimpft werden, um das postoperative Sterberisiko im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen zu verringern. Das belegt eine neue Studie des Forschungsnetzwerks COVIDSurg, die aktuell in der Fachzeitschrift British Journal of Surgery publiziert ist. Dementsprechend sollten Menschen, die auf eine planbare, aber erforderliche Operation warten, ihre Impfung gegen COVID-19 früher als nach der bisherigen Impfreihenfolge vorgesehen, erhalten. An dieser internationalen Modellierungsstudie, für die Daten von über 56.000 Patientinnen und Patienten ausgewertet wurden, war auch die Universitätsklinik für Allgemeine Chirurgie in Tübingen beteiligt.
Die Studie zeigt, dass sich weltweit 0,6 Prozent bis 1,6 Prozent der Patientinnen und Patienten im Rahmen oder kurz nach einer geplanten Operation mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten. Das Sterblichkeitsrisiko während des ersten Monats nach einer Operation ist für sie um das vier- bis achtfache erhöht. Insbesondere bei älteren Personen ab 70 Jahren steigt die Sterblichkeitsrate an: Hier ist mit einer Mortalität von zwölf Prozent zu rechnen, die nach Eingriffen wegen einer Krebserkrankung sogar noch ansteigt.
Angesichts dieser Risiken berechneten die Forschenden den potenziellen Nutzen einer COVID-19-Impfung bei den zu behandelnden Personen vor geplanten Operationen. Insbesondere bei älteren Patientinnen und Patienten, bei denen sich Operationen wegen maligner Tumoren aufschieben lassen oder die über 70 Jahre alt sind, könnten Todesfälle durch eine entsprechende Priorisierung vermieden werden. Diesen Berechnungen zufolge müssten, basierend auf den gemittelten globalen Inzidenzraten von 2020, insgesamt 1.840 Personen über 70 Jahren geimpft werden, im Gegensatz dazu aber nur 351 gleichaltrige Patientinnen und Patienten vor Tumoroperationen eine Impfung erhalten, um jeweils einen Todesfall in Verbindung mit COVID-19 zu vermeiden.
Die Studienautoren gehen davon aus, dass durch eine globale Impfpriorisierung von Patientinnen und Patienten vor operativen Eingriffen weltweit etwa 60.000 Todesfälle weniger zu verzeichnen wären. Insbesondere in Ländern mit geringem oder niedrigem mittlerem Einkommen, in denen sich Maßnahmen zur Eindämmung des Virus (wie Abstrich-Screenings etc.) nicht flächendeckend umsetzen lassen, würden mit dieser Strategie weniger schwere Erkrankungen und Todesfälle auftreten. Da bereits seit Beginn der aktuellen Pandemie viele planbare Operationen weltweit verschoben oder abgesagt wurden, bleibt die sichere Versorgung chirurgischer Patientinnen und Patienten eine wichtige Herausforderung. Eine Priorisierung ebendieser bei der COVID-19-Impfung könnte somit dazu beitragen, planbare aber erforderliche Operationen sicher abzuarbeiten. Insbesondere in Weltregionen, in denen vermutlich noch lange Zeit ein Mangel an COVID-19-Impfstoffen herrschen wird, wäre eine entsprechende Priorisierung von Hochrisikogruppen eine wichtige Maßnahme. „Die Sicherstellung der chirurgischen Versorgung weltweit ist eine ganz wesentliche Aufgabe für uns als Ärzte und Wissenschaftler. Zu dieser Studie haben deshalb mehr als 15.000 Kolleginnen und Kollegen aus 116 Ländern beigetragen, was eine bisher beispiellose Zusammenarbeit bedeutet“, so Professor Dr. Alfred Königsrainer, klinischer Leiter der Studie in Tübingen und Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Allgemeine, Viszeral- und Transplantationschirurgie. „Entsprechende Daten sollten deshalb von politischen Entscheidungsträgern aufgegriffen werden, um chirurgische Patientinnen und Patienten für COVID-19-Impfungen zu priorisieren und den Rückstand an planbaren Operationen sicher abzuarbeiten“.
Über das Forschungsnetzwerk COVIDSurg
Die COVIDSurg Collaborative ist ein Forschungsnetzwerk, das die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf die chirurgische Versorgung untersucht. Am Netzwerk sind zwischenzeitlich über 15.000 Ärztinnen und Ärzte bzw. Forscherinnen und Forscher aus über 100 Ländern der Welt beteiligt. COVIDSurg hat im Oktober 2020 eine der bislang größten Beobachtungsstudien unter dem Titel COVIDSurg-Week zu chirurgischen Risiken im Zusammenhang mit Coronavirus-Infektionen durchgeführt und gleichzeitig chirurgische Vergleichsdaten und Qualitätsindikatoren erhoben, die zukünftig dabei helfen sollen, die chirurgische Versorgung weltweit zu vergleichen und zu verbessern (https://globalsurg.org/surgweek/).
Erste wegweisende Erkenntnisse zu den Risiken chirurgischer Eingriffe bei Patientinnen und Patienten mit Coronavirus-Infektionen konnten vom Forschungsnetzwerk COVIDSurg bereits im Mai 2020 in der Fachzeitschrift The Lancet publiziert werden (https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)31182-X). Zudem wurde kürzlich ein Artikel zur Frage, ab wann planbare chirurgische Eingriffe nach einer Coronavirus-Infektion wieder sicher durchführbar sind, in der Fachzeitschrift Anaesthesia veröffentlicht (https://doi.org/10.1111/anae.15458).
Zu den Personen
Prof. Dr. Alfred Königsrainer und Dr. Markus Quante sind die klinischen Studienleiter in Tübingen, die gemeinsam mit weiteren Kolleginnen und Kollegen die COVIDSurg-Studien durchführen und an dieser weltweiten Initiative beteiligt sind.
Dr. Markus Löffler ist Mitglied im nationalen Leitungsgremium der COVIDSurg-Collaborative und unterstützt die Initiative und die Studiendurchführung in Deutschland.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Universitätsklinikum Tübingen
Klinik für Allgemeine, Viszeral- und Transplantationschirurgie
Prof. Dr. Alfred Königsrainer
Tel. 07071 29-86620
alfred.koenigsrainer@med.uni-tuebingen.de
Klinik für Allgemeine, Viszeral- und Transplantationschirurgie
Dr. Markus Löffler
Tel. 07071 29 80992
markus.loeffler@med.uni-tuebingen.de
Universität Birmingham
COVIDSurg an der Universität Birmingham
Tony Moran
Leiter Internationale Kommunikation
Tel. +44 782 783 2312 bzw. +44 7789 921 165 (Zentrale)
t.moran@bham.ac.uk
Originalpublikation:
SARS-CoV-2 vaccination modelling for safe surgery to save lives: data from an international prospective cohort study – COVIDSurg Collaborative; https://doi.org/10.1093/bjs/znab101
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch