07.06.2019 11:25
Projekt zeigt negative Auswirkungen und Alternativen der Stechmückenbekämpfung mit Bti
Der Einsatz des Biozids Bti gegen die Stechmückenplage am Rhein trifft entgegen bisheriger Annahmen auch Organismen, die nicht Ziel der Bekämpfung sind. Forschungen des Instituts für Umweltwissenschaften iES der Universität Koblenz-Landau zeigen, dass es in den Untersuchungsflächen zu einer 50-prozentigen Reduktion der nicht-stechenden und somit harmlosen Zuckmücken kam. Und dabei sollten Zuckmücken durch eine Bti-Bekämpfung der Stechmücken eigentlich nicht negativ beeinträchtigt werden.
In dem Projekt „Entwicklung eines naturschutzkonformen Konzepts zur Stechmückenbekämpfung am Oberrhein“ untersuchten die Forscher die Auswirkungen der Stechmückenbekämpfung mit dem Biozid Bacillus thuringiensis israelensis (Bti) auf das Nahrungsnetz von Feuchtgebieten. Das Projekt wurde durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) fachlich und finanziell mit rund 125.000 Euro gefördert.
Die Landauer Umweltwissenschaftlerin Stefanie Allgeier ist sich sicher: „Die Auswirkungen der Bti-Behandlung auf Zuckmücken und das Nahrungsnetz wurden bisher unterschätzt.“ Ein derartiger Rückgang kann weitreichende Auswirkungen für die Feuchtgebiete des Oberrheins haben, da Zuckmücken sowohl als Larven im Gewässer, als auch als fliegende Insekten eine zentrale Komponente im Nahrungsnetz darstellen“. Konkret konnten die Landauer Wissenschaftler in ihren Untersuchungen bereits feststellen, dass Bti das Nahrungsgefüge in Modellgewässern derart ändert, dass Libellenlarven auf andere Nahrung ausweichen. Dabei fressen sie verstärkt Amphibienlarven, die ohne Bti-Behandlung überleben würden. Auch wenn Bti Amphibien nicht direkt vergiftet, führt es bei direktem Kontakt zu oxidativem, den Stoffwechsel beeinflussenden Stress, der sich auf die Entwicklungszeit der Larven auswirkt und später Fortpflanzungsfähigkeit und Lebensdauer negativ beeinflussen kann. Allgeier zieht daher bezüglich der Stechmückenbekämpfung das Fazit, dass „Bti in temporären Feuchtgebieten einen zusätzlichen Stressor für Amphibien darstellen kann“.
Hintergrund des Projekts
Die KABS (Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage) e.V. hat in den vergangenen Jahrzehnten die Bekämpfung mit Bti auf einer Rheinlänge von über 350 Kilometern etabliert, wobei ein Großteil – in Rheinland-Pfalz fast 90 Prozent – der Bekämpfungsflächen in Gebieten liegen, die für den Naturschutz ausgewiesen sind. Bei der Bekämpfung werden Stechmückenpopulationen um über 95 Prozent reduziert.
In einer sozio-ökonomischen Analyse nahmen die Landauer Wissenschaftler zudem die Einstellung der Bevölkerung zur aktuellen Bekämpfung auf und stellten lokale Alternativen in der Bekämpfung vor, für die sie die Zahlungsbereitschaft der Bürger ermittelten. Eine Umfrage mit einer Stichprobe von 635 Befragten in ausgewählten Städten und Gemeinden entlang des Oberrheins im südlichen Rheinland-Pfalz hat ergeben, dass die Hälfte der Befragten nicht wusste, dass auch in Gebieten, die zur Erhaltung der Natur geschützt sind, eine Behandlung mit dem Biozid Bti stattfindet. Angesichts der möglichen ökologischen Nebenwirkungen von Bti sind zwei Drittel der Befragten der Meinung, dass die derzeitige Praxis des Bti-Einsatzes überdacht und angepasst werden sollte.
Um die Natur in ökologisch wertvollen Flächen besser zu schützen, sind die befragten Haushalte mehrheitlich dazu bereit, jährliche Kosten in Höhe von etwa 75 Euro pro Haushalt für ein Alternativkonzept zu tragen. Dieses beinhaltet, ökologisch wertvolle Flächen nicht mehr mit Bti zu behandeln und die Wohngegenden in den Ortschaften mit einem System von effizienten Stechmückenfallen zu versehen. „Unsere Studie hat ergeben, dass eine große Mehrheit der Befragten bereit ist, außerorts mehr Stechmücken zu tolerieren, solange die Belästigung durch Stechmücken in ihrem Wohnumfeld nicht größer ist als bisher“, stellt der Landauer Umweltökonom Oliver Frör fest. Angesichts der neuen Erkenntnisse über mögliche Effekte von Bti auf die Nahrungskette sehen es die Menschen am Oberrhein als geboten an, über Alternativen nachzudenken, die stärker Rücksicht auf die Natur in Schutzgebieten nehmen, als es bislang der Fall ist – auch wenn dies mit höheren Kosten verbunden ist.
„Sollte die Luftausbringung von Bti wegen des Ausfalls der beiden Hubschrauber örtlich von der KABS eingestellt werden, bleibt bei der aktuellen Hochwasserlage am Rhein und einer reduzierten Stechmückenbekämpfung nur abzuwarten, wie sich die ‚Schnakenplage‘ für die Menschen vor Ort entwickelt“, so der Landauer Umweltwissenschaftler Carsten Brühl. Brühl ist optimistisch: „Vielleicht wird es gar nicht so schlimm und die natürlichen Räuber wie Fische und Libellen haben nach Jahrzehnten wieder viel Nahrung und kümmern sich um Larven und Mücken. Die Populationen können anwachsen und die Mücken eindämmen“. Denn, so der Forscher „man muss wissen: Stechmücken legen nicht einfach so viele hundert Eier ab. Der Druck auf diese proteinreiche Ressource ist hoch. Das ist eine ganz wichtige Nahrung für die Fischbrut.“ Die Mücken selbst, ob Stech- oder Zuckmücken, werden von Vögeln an ihre Junge verfüttert oder von Spinnen und Libellen erbeutet. Die vergangenen heißen Tage haben zudem zu einem Austrocknen einiger Überschwemmungsflächen geführt, so dass dort keine Mücken schlüpfen werden, so Brühl.
Vorschläge für ein Alternativkonzept zu Bti
Da die großflächige Anwendung eines Biozids aus Hubschraubern in Schutzgebieten offenbar nicht mehr zum aktuellen Umweltbewusstsein vieler Menschen in Deutschland passt, sollte man die Stechmückenbekämpfung weiterentwickeln, so die Meinung der Landauer Forscher. So wäre es möglich dort zu bekämpfen, wo die Belästigung auftritt: im Garten und auf der Terrasse. Die Wissenschaftler schlagen daher vor, die Biozidbehandlung in den Schutzgebieten Schritt für Schritt zurückzufahren und parallel die Entwicklung der Ökosysteme und auch die Meinung der Betroffenen zu erfassen. „Es ist an der Zeit, dass die Politik handelt und Interesse am Schutz der Feuchtgebiete zeigt“, so die Forscher. Eine Entwicklung von großskaligen, alternativen Ansätzen sei nur mit politischer Unterstützung möglich. Die grünen Umweltministerien in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sollten ihre Positionen nutzen und den Wählerauftrag zum Naturschutz ernst nehmen.
Der Abschlussbericht des von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Projekts „Entwicklung eines naturschutzkonformen Konzeptes zur Stechmückenbekämpfung am Oberrhein“ ist unter https://www.dbu.de/projekt_32608/01_db_2848.html
und
https://www.uni-koblenz-landau.de/en/campus-landau/faculty7/environmental-scienc…
zum Download bereitgestellt.
Kontakt:
Dr. Carsten Brühl
iES Landau, Institut für Umweltwissenschaften, Universität Koblenz-Landau
Tel.: 06341 280-31310
E-Mail: bruehl@uni-landau.de
www.uni-landau.de/umwelt/bruehl.html
Pressestelle Campus Landau
Kerstin Theilmann
Tel.: 06341 280-32219
E-Mail: ktheilmann@uni-koblenz-landau.de
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Carsten Brühl
iES Landau, Institut für Umweltwissenschaften, Universität Koblenz-Landau
Tel.: 06341 280-31310
E-Mail: bruehl@uni-landau.de
www.uni-landau.de/umwelt/bruehl.html
Weitere Informationen:
https://www.dbu.de/projekt_32608/01_db_2848.html
https://www.uni-koblenz-landau.de/en/campus-landau/faculty7/environmental-scienc…
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Chemie, Geowissenschaften, Tier- / Agrar- / Forstwissenschaften, Umwelt / Ökologie
überregional
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