Anti-Corona-Maßnahmen: Große Mehrheit hält sich an die Vorgaben

Anti-Corona-Maßnahmen: Große Mehrheit hält sich an die Vorgaben



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23.07.2020 11:50

Anti-Corona-Maßnahmen: Große Mehrheit hält sich an die Vorgaben

Maskenpflicht, Abstandhalten, Kontaktbeschränkungen – der überwiegende Teil der Menschen trägt die coronabedingten Einschränkungen mit. Rund 1.300 Personen haben Wissenschaftler der Universität Heidelberg online danach befragt, wie sie die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wahrnehmen und damit umgehen. Mehr als 80 Prozent der Befragten gaben an, sich immer oder zumindest meistens an die Vorgaben gehalten zu haben. Diese und weitere Ergebnisse der Online-Befragung sind im Internet abrufbar.

Pressemitteilung
Heidelberg, 23. Juli 2020

Anti-Corona-Maßnahmen: Große Mehrheit hält sich an die Vorgaben
Heidelberger Forscher befragen Bürger zur Akzeptanz der Beschränkungen und ihren Auswirkungen

Maskenpflicht, Abstandhalten, Kontaktbeschränkungen – der überwiegende Teil der Menschen trägt die coronabedingten Einschränkungen mit. Rund 1.300 Personen haben Wissenschaftler der Universität Heidelberg online danach befragt, wie sie die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wahrnehmen und damit umgehen. Mehr als 80 Prozent der Befragten gaben an, sich immer oder zumindest meistens an die Vorgaben gehalten zu haben. Auch die Akzeptanz der mit dem Lockdown verbundenen Grundrechtseinschnitte ist groß. Deutlich kritischer fällt jedoch die Abwägung zwischen gesellschaftlichem Nutzen und wirtschaftlichem Schaden aus. Überraschend niedrig scheint die Bereitschaft zu sein, sich impfen zu lassen, sollte ein Impfstoff in Zukunft zur Verfügung stehen. Diese und weitere Ergebnisse der Online-Befragung sind im Internet abrufbar.

Die Befragung mit insgesamt 1.351 Teilnehmern – bevölkerungsrepräsentativ nach Geschlecht, Alter und Bildung – wurde mithilfe eines sogenannten Online-Access-Panels durchgeführt und fand zwischen dem 30. Juni und dem 7. Juli 2020 statt. Sie ist Teil eines interdisziplinären Projektes am Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg, das sich dem Thema „Gesellschaftliche Selbstermächtigung“ widmet. Dabei geht es um die Bereitschaft, formelle oder informelle gesellschaftliche Regeln zu missachten, weil sich die betreffende Person aus übergeordneten, insbesondere moralischen Gründen nicht daran gebunden fühlt. Zu Ausmaß, Gründen, Folgen und Maßnahmen forschen der Psychologe Prof. Dr. Peter Kirsch, der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hanno Kube und der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Reimut Zohlnhöfer.

Einhaltung der Einschränkungen

Bei der Frage nach der Einhaltung der Einschränkungen gab nur eine verschwindend kleine Minderheit von unter vier Prozent an, den Corona-Regeln selten oder nie gefolgt zu sein. Dabei scheint die Furcht, von Polizei oder Ordnungsamt bei Verstößen gegen die Verordnungen erwischt zu werden und entsprechende Folgen tragen zu müssen, eine nennenswerte Rolle zu spielen. Dass dies schlimm oder sehr schlimm für sie gewesen wäre, gaben fast 60 Prozent der Befragten an, wobei sich erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern gezeigt haben: Besonders groß scheint die Angst davor unter anderem in Bayern gewesen zu sein. „Dass die bundeslandbezogene Varianz bei der Frage, wie schlimm eine Entdeckung gewesen wäre, mit der Schärfe der Bestrafung für Verstöße in Zusammenhang steht, ist vor allem für Bayern plausibel. Insgesamt muss dies allerdings noch genauer untersucht werden“, sagt Politikwissenschaftler Reimut Zohlnhöfer.

Die statistischen Auswertungen zumindest zeigen an: Je wahrscheinlicher es erschien, bei Verstößen ertappt zu werden, und je schlimmer diese Entdeckung eingeschätzt wurde, desto eher hielten sich die Befragten an die Beschränkungen. Aber auch andere Aspekte spielen hier eine Rolle, wie die Wissenschaftler erläutern, etwa das Alter, das Geschlecht, die Demokratiezufriedenheit oder die Parteipräferenz. Auch das Gefühl, selbst politischen Einfluss nehmen zu können, wirkt sich offenbar auf die Einhaltung der Beschränkungen aus, wie Reimut Zohlnhöfer berichtet. Waren die Menschen der Auffassung, sie könnten die Arbeit der Regierung nicht beeinflussen, tendierten sie im Durchschnitt eher dazu, es mit den Corona-Regeln nicht ganz so genau zu nehmen.

Grundrechtsschutz und Gewaltenteilung

Gefragt nach den mit den Corona-Maßnahmen verbundenen Grundrechtseinschnitten, zeigten sich annähernd Dreiviertel – das heißt rund 72 Prozent – derjenigen, die an der Befragung teilgenommen haben, unbesorgt. Sie akzeptierten die vorübergehende Einschränkung der Grundrechte als eher oder sogar vollkommen gerechtfertigt. „Das bedeutet allerdings nicht, dass Grundrechtsschutz und Gewaltenteilung in Krisenzeiten keine Rolle spielen“, sagt Rechtswissenschaftler Hanno Kube. So widersprachen gut 46 Prozent der Befragten der Aussage, die Bundesregierung solle zur Pandemie-Eindämmung weitreichende Maßnahmen auch ohne Zustimmung des Bundestages beschließen können – auch wenn mit einem solchen Vorgehen immerhin knapp 43 Prozent einverstanden wären. Zugleich vertraut eine Mehrheit von knapp 55 Prozent darauf, dass Gerichte die Rechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber zu weitreichenden Einschränkungen wirksam schützen.

Wirtschaftlicher Schaden und Maßnahmen der Zukunft

Deutlich kritischer fiel die Abwägung zwischen gesellschaftlichem Nutzen und wirtschaftlichem Schaden des Lockdown aus. Mehr als die Hälfte der Befragten – rund 52 Prozent – war der Auffassung, dass der Schaden den Nutzen überwiegt. Dies könnte mit der Risikoeinschätzung zusammenhängen: Je geringer jemand die Wahrscheinlichkeit einschätzt, dass sich ein Familienmitglied mit dem Corona-Virus infiziert, desto eher rücken die negativen Folgen für die Wirtschaft in den Vordergrund seiner Bewertung. Auch beim Blick auf künftige Maßnahmen zeigten sich die Teilnehmer der Befragung verhalten: Zwar hatte ein Drittel – rund 32 Prozent – die Corona-Warn-App bereits installiert, aber gut 45 Prozent der Befragten hielten es für eher oder sogar sehr unwahrscheinlich, dies noch zu tun. Die Heidelberger Wissenschaftler gehen davon aus, dass zumindest diejenigen, die die Nutzung der App aktuell stark ablehnen, auch in Zukunft dabei bleiben werden. Ihr Anteil liegt bei rund 30 Prozent. „Rechnen wir diejenigen hinzu, bei denen die technischen Voraussetzungen fehlen, könnte der Verbreitung der App eine Grenze bei rund 60 Prozent der Bevölkerung gesetzt sein“, erläutert Reimut Zohlnhöfer. Überraschend niedrig scheint auch die Bereitschaft zu sein, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen, sollte ein Impfstoff in Zukunft verfügbar sein. Nur knapp 55 Prozent der Befragten gaben an, dies ziemlich oder sehr wahrscheinlich tun zu wollen.

Verschwörungstheorien

Interessant – insbesondere aus psychologischer Sicht – ist für die Wissenschaftler auch der Zusammenhang zwischen der Akzeptanz und Befolgung von Anti-Corona-Maßnahmen und der Tendenz, an Verschwörungstheorien zu glauben. Je stärker die Verschwörungsmentalität der Befragten ausgeprägt war, desto weniger zufrieden waren sie mit dem Krisenmanagement der Bunderegierung, desto seltener waren sie bereit, die Corona-Warn-App zu installieren oder sich impfen zu lassen, und desto höher schätzten sie auch den wirtschaftlichen Schaden im Verhältnis zum gesellschaftlichen Nutzen ein. Wie Psychologie-Professor Peter Kirsch erläutert, spielt hier auch das interpersonelle Vertrauen eine wichtige Rolle. „Menschen, die eher an Verschwörungstheorien glauben, sind weniger in der Lage, ihren Mitmenschen zu vertrauen. Und dieses Vertrauen ist ebenfalls mit der Impfbereitschaft oder der Bereitschaft zur Installation der App assoziiert. Die gleichen Zusammenhänge finden wir aber auch mit Blick auf das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Printmedien.“

Nach einer ersten Auswertung der Befragung werden die Wissenschaftler die Daten nun umfassend analysieren. Sie wollen herausfinden, welche psychologischen und sozialen Faktoren die Bereitschaft beeinflussen, sich an gesellschaftliche und staatliche Regeln zu halten. Die Akzeptanz der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wird dabei auch verglichen mit der Unterstützung und Teilnahme an den Fridays-for-Future-Protesten, zu denen ebenfalls Daten erhoben wurden.

Die Arbeit des 2007 gegründeten Marsilius-Kollegs ist darauf ausgerichtet, ausgewählte Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Wissenschaftskulturen zusammenzuführen und damit den forschungsbezogenen Dialog zwischen Geistes-, Rechts- und Sozialwissenschaften einerseits und den Natur- und Lebenswissenschaften andererseits zu fördern. Darüber hinaus hat sich das Kolleg zum Ziel gesetzt, den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft anhand gesellschaftlich relevanter Forschungsthemen zu intensivieren.

Kontakt:
Universität Heidelberg
Kommunikation und Marketing
Pressestelle, Telefon (06221) 54-2311
presse@rektorat.uni-heidelberg.de


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Reimut Zohnhöfer
Institut für Politische Wissenschaft
Telefon 06221 / 54-2868
reimut.zohlnhoefer@ipw.uni-heidelberg.de


Weitere Informationen:

http://www.marsilius-kolleg.uni-heidelberg.de/fellows/Publikationfellows2020.htm…


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Politik, Psychologie, Recht
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW