Die Syphilis grassierte wohl schon vor Kolumbus in Europa

Die Syphilis grassierte wohl schon vor Kolumbus in Europa



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13.08.2020 17:00

Die Syphilis grassierte wohl schon vor Kolumbus in Europa

Durch Kolumbus kam die Syphilis nach Europa – so die These. Eine Studie der Universität Zürich zeigt nun, dass sich Menschen in Europa bereits vor Ende des 15. Jahrhunderts mit der sexuell übertragbaren Krankheit infiziert haben könnten. Zudem wurde das Genom des Erregers einer bisher unbekannten Schwesterkrankheit entdeckt. Die Vorläufer aus der Familie der Syphilis könnten demnach 2500 Jahre alt sein.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Syphilis, die fast schon in Vergessenheit geratene sexuell übertragbare Infektionskrankheit, breitet sich wieder aus: In den letzten Jahrzehnten haben sich weltweit über 10 Millionen Menschen mit der Syphilis-Subspezies «pallidum» des Bakterium Treponema pallidum angesteckt. Dazu kommen noch andere Treponematosen wie Frambösie und Bejel, verursacht von anderen Unterarten von Trepo-nema pallidum. Der Ursprung des Syphilis-Erregers, der vor allem vom späten 15. bis zum 18. Jahr-hundert in Europa wütete, ist bislang ungeklärt. Eine viel zitierte These lautet, dass Christoph Kolum-bus und seine Mannschaft um 1493 die Krankheit aus der Neuen Welt nach Europa mitbrachten.

Frambösie war bereits in Europa verbreitet

Eine neue Studie der Universität Zürich zeigt nun, dass Treponema pallidum höchstwahrscheinlich bereits in Europa verbreitet war, bevor Christoph Kolumbus in See stach. Die Forschenden konnten anhand von DNA-Proben bei vier archäologischen menschlichen Überresten aus Finnland, Estland und den Niederlanden Treponematosen nachweisen. Um die Zeitspanne abzuschätzen, aus der die Krankheitserreger stammten, wurden molekulare Datierungen der alten bakteriellen Genome sowie traditionelle Radiokarbondatierungen von physischen Proben angewandt. Die Ergebnisse legen nahe, dass die vorliegenden Genome aus dem frühen 15. Jahrhundert bis zum 18. Jahrhundert stammen.

Neben der sexuell übertragbaren Form der Syphilis fand das Forschungsteam noch die Frambösie. Ähnlich wie die Syphilis wird die Frambösie über Hautkontakt übertragen und kommt heute fast aus-schliesslich in den Tropen und Subtropen vor. «Unsere Daten zeigen jedoch, dass die Frambösie damals in Europa verbreitet war. Sie beschränkte sich somit nicht auf die Tropen wie heute», erklärt Verena Schünemann, Professorin für Paläogenetik am Institut für Medizinische Evolution der Univer-sität Zürich.

Erregergenom einer bisher unbekannten Krankheit entdeckt

Und noch etwas entdeckte das Forschungsteam: Das archäologische Skelett aus den Niederlanden wies eine bisher unbekannte basale Treponema-Linie auf, die sich offenbar neben der Syphilis und der Frambösie entwickelte, heute aber nicht mehr als Krankheit existiert. «Dieser unvorhergesehene Fund ist äusserst spannend für uns, da diese bisher unbekannte Schwesterlinie genetische Ähnlich-keit mit allen modernen Treponema-Unterarten hat», sagt Erstautorin Kerttu Majander von der UZH. Da anscheinend mehrere Arten eng verwandter Treponemen gleichzeitig in Europa zirkulierten, über-lappten sich die Erreger wahrscheinlich und infizierten gelegentlich denselben Wirt. Die räumliche Verteilung in den nördlichen Randregionen Europas mache es zudem plausibel, dass begrenzte Treponematosen in Europa der frühen Neuzeit bereits weit verbreitet waren.

Es war wohl doch nicht nur Kolumbus

«Mittels unserer alten Genome besteht nun erstmals besteht die Möglichkeit, den gesamten Trepo-nema-Stammbaum zuverlässiger zu datieren», sagt Schünemann. Die genetischen Analysen der vorliegenden Studie ergaben, dass sich der Vorgänger aller modernen Unterarten von Treponemato-sen vor mindestens 2500 Jahren entwickelt haben muss. Der letzte gemeinsame Vorfahre aller Sy-philis-Stämme datiert auf das 12. bis 16. Jahrhundert.

Zusammen mit der entdeckten Diversität der Treponematosen in der frühen Neuzeit machen diese Resultate einen Ursprung oder eine Weiterentwicklung von Syphilis in der alten Welt möglich. «Dem-nach brach die Syphilis kaum einzig durch Christoph Kolumbus Amerika-Reisen aus», folgert Schü-nemann. «Die verschiedenen Treponematosen könnten sich zusammen entwickelt haben und vor oder während interkontinentaler Kontakte genetisches Material ausgetauscht haben. Dies wirft neue Fragen über die Entwicklung und Verbreitung dieser Krankheiten auf. Vielleicht müssen wir unsere bestehenden Thesen zu Syphilis und anderen treponemalen Krankheiten revidieren.»


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Dr. Verena Schünemann
Institut für evolutionäre Medizin
Universität Zürich
Tel. +41 44 635 05 60
E-Mail: verena.schuenemann@iem.uzh.ch


Originalpublikation:

Kerttu Majander et al.: Ancient Bacterial Genomes Reveal a High Diversity of Treponema pallidum Strains in Early Modern Europe. Current Biology, 13. August 2020. Doi: 10.1016/j.cub.2020.07.058


Weitere Informationen:

https://www.media.uzh.ch/de.html


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW