“Fund me, I am fabulous!” Der Aspekt Narzissmus im Crowdfunding



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05.05.2020 10:31

“Fund me, I am fabulous!” Der Aspekt Narzissmus im Crowdfunding

Hätten Sie gedacht, dass ein ausgeprägter Narzissmus einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne im Wege stehen könnte? Die zwei Forscher Paola Rovelli (Freie Universität Bozen) und Vincenzo Butticé haben rund 60.000 Kampagnen auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter analysiert und Erstaunliches zutage gebracht.

Hätten Sie gedacht, dass ein ausgeprägter Narzissmus einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne im Wege stehen könnte? Die zwei Forscher Paola Rovelli und Vincenzo Butticé haben rund 60.000 Kampagnen auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter analysiert und Erstaunliches zutage gebracht.

Die Grundfrage, der die zwei Forscher nachgehen wollten, lautete, ob narzisstisch ausgeprägte Persönlichkeiten größeren Erfolg beim Einwerben von Geldern für ihre Geschäftsideen hätten als zurückhaltende Charaktere (Do narcissistic entrepreneurs succeed or fail in crowdfunding?). Dabei haben sich die beiden Forscher Paola Rovelli (Centre for Family Business an der Freien Universität Bozen) und Vincenzo Butticé (MIP School of Business, Politecnico di Milano) mit einigen grundlegenden Konzepten auseinandergesetzt. Das Konzept des Narzissmus ist stark vom Psychoanalytiker Sigmund Freud geprägt, der 1914 den Narzissten als ein Individuum beschrieb, das ein übertriebenes Maß an Selbstliebe aufweist und dies durch ständige Beschäftigung mit Macht und Erfolg zum Ausdruck bringt – ein relevantes Konzept in der Wirtschaftsforschung, wurde in der Vergangenheit doch beispielsweise aufgezeigt, dass Unternehmer mit narzisstischen Zügen bereit sind, höhere Risiken einzugehen.

Generell stellt Crowdfunding ein ideales Forschungsfeld für das Thema Narzissmus dar, bei welchem die beiden Autoren den unternehmerischen Kontext hervorgehoben haben: Potenzielle Geldgeber könnten eine narzisstische Persönlichkeit als solche erkennen und demgemäß positiv oder negativ bewerten, je nachdem, in welchem unternehmerischen Kontext der Unternehmer beschließt, sein Risikokapital einzusetzen. „Es war klar, dass wir in unserer Methodik nicht Kampagne für Kampagne manuell durchgehen konnten, um über einzelne Textpassagen Rückschlüsse auf den Verfasser zu ziehen“, erläutert Autorin Paola Rovelli. „Vielmehr haben wir moderne Techniken der content analysis, also der inhaltlichen Analyse verwendet und relevante Textbausteine analysiert, die aufgrund definierter Formulierungen aussagekräftige Rückschlüsse auf den Verfasser ziehen ließen.“

Zudem wurde vorab geklärt, was als Erfolg einer Kampagne definiert werden konnte: Der Fachliteratur zufolge haben Unternehmer mit ihrer Kampagne dann Erfolg, wenn sie innerhalb der angegebenen Zeitspanne ihr Zielkapital oder mehr einzuwerben vermögen. Basierend auf der sozialen Rollentheorie werden Personen als geeignet für eine spezifische Rolle betrachtet, wenn sie Verhaltenserwartungen entsprechen. Im Falle von Unternehmern wird typischerweise erwartet, dass sie charismatisch, selbstbewusst, kreativ, risikofreudig, selbstständig oder eben auch narzisstisch sind. Im Zusammenhang mit Crowdfunding kann das Ausmaß, in dem ein Unternehmer eine narzisstische Persönlichkeit präsentiert, potenzielle Geldgeber veranlassen, in dessen Crowdfunding-Kampagne zu investieren. Nach Ansicht der Autoren können sich zwei gegensätzliche Effekte herausbilden. Einerseits werden Narzissten als kreativ, charismatisch, stark und selbständig (also den oben genannten Erwartungen an erfolgreiche Unternehmer entsprechend) wahrgenommen, andererseits hält man Narzissten für arrogant, aggressiv, weniger kompetent und ehrlich, schnippisch, unzuverlässig und für Menschen, die ein hohes Überlegenheitsgefühl aufweisen.

Um den Zusammenhang zwischen Narzissmus der Unternehmer und dem Erfolg von Crowdfunding zu untersuchen, beschränkten sich die Forscher auf den Zeitraum 2016 und 2017. Als Plattform wurde Kickstarter gewählt, die größte belohnungsbasierte Crowdfunding-Plattform der Welt. Insgesamt umfasst die Stichprobe 59.538 Crowdfunding-Kampagnen. Kickstarter eignete sich deswegen besonders gut für die Analyse, da die Plattform über ein vorgefertigtes Informationsset eine ausführliche Beschreibung der Projekte (die durchschnittliche Textlänge beträgt 3768 Wörter) verlangt.

Zur Methode erläutern die Autoren: „Wir entwickelten, ausgehend von bestehender Forschungsliteratur, ein Maß für den Narzissmus, das die Neigung eines Unternehmers berücksichtigt, in der textlichen Beschreibung seines Projekts die erste Person Singular (das Ich-Pronomen) zu verwenden. Mit Hilfe einer ökonometrischen Analyse konnten wir einen Zusammenhang zwischen dem Narzissmus des Unternehmers und dem Erfolg der Massenfinanzierungskampagne feststellen. Der Bericht war statistisch signifikant, selbst nachdem in die Analyse mehrere Erfolgsfaktoren der bereits in der Literatur identifizierten Crowdfunding-Kampagnen einbezogen worden waren, wie die Dauer der Kampagne in Tagen, das in Dollar ausgedrückte Zielkapital, die Länge der Kampagnenbeschreibung und die Anzahl der in der Kampagnenbeschreibung enthaltenen Visuals (Videos und Fotos).
Fazit: „Unsere Ergebnisse bringen die Literatur über Persönlichkeitsmerkmale in der Massenfinanzierung voran, indem sie Beweise dafür liefern, dass Narzissmus negativ mit dem Ressourcenerwerb verbunden ist“, so Rovelli und Butticé. „Wir zeigen auf, dass narzisstische Unternehmer weniger erfolgreich im Crowdfunding sind.“ Eine interessante Ausnahme bildet der künstlerische Sektor: „In den Branchen Comics, Musik und Verlagswesen ist die negative Assoziation zwischen Crowdfunding-Erfolg und Narzissmus schwächer ausgeprägt.“ Das hängt damit zusammen, dass in diesen Branchen der Produktwert in erster Linie mit der Produktfunktionalität verbunden ist, also zum Beispiel mit dem Inhalt eines Comics. Daher schenken die Geldgeber in solchen Fällen der Unternehmerpersönlichkeit weniger Aufmerksamkeit, weswegen Narzissmus nicht mit weniger Funding bestraft wird. Anders hingegen zeigen ihre Analysen eine starke negative Assoziation zwischen Narzissmus und dem Crowdfunding-Erfolg in den Branchen Kunst, Design, Film, Journalismus und Theater. In diesen unternehmerischen Kontexten ist der Wert des Produkts gesellschaftlich konstruiert und streng an den Wert seines Schöpfers gebunden, beispielsweise an den Regisseur eines Films oder den Künstler eines Porträts. Hier wird Narzissmus bestraft, da der Wert eines Unternehmens hauptsächlich mit dem Unternehmer assoziiert wird.

Wie fügt sich diese Studie in die Forschungsarbeit des von Prof. Alfredo De Massis geleiteten Zentrums für das Management von Familienunternehmen ein? „Die Persönlichkeitsmerkmale von Führungskräften, also auch der Narzissmus, können wichtige Auswirkungen darauf haben, wie Gelder angeworben und gemanagt werden, demnach auf Entscheidungsprozesse und Innovationsleistung von Unternehmen selbst“, erläutert Prof. Alfredo De Massis. „Einige Leiter von Familienunternehmen zeigen typische Züge des Narzissmus, weswegen die weitere Erforschung der Persönlichkeitsmerkmale von Unternehmern und Führungskräften eine der Prioritäten des Family Business Management Centre der unibz bleibt. Unser ehrgeiziges Ziel liegt in der Förderung des Managements von Familienunternehmen angesichts ihrer entscheidenden Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes.”

Paola Rovelli hat an der Politecnico di Milano School of Management ihre akademische Laufbahn begonnen und arbeitet jetzt im Centre for Family Business Management der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der unibz. Sie forscht zu den Themen Organisationsmanagement mit Fokus auf das Top-Management vor allem in Familienunternehmen, Unternehmertum, Delegation von Entscheidungskompetenzen, Narzissmus und Geschlechterfragen. Letzthin wurden die Ergebnisse ihrer Forschung in internationalen Zeitschriften wie Journal of Management Studies, European Management Journal, Long Range Planning und Personality and Individual Differences publiziert.

Die Studie “Found Me, I Am Fabulous!” Do Narcissistic Entrepreneurs Succeed or Fail in Crowdfunding? Personality and Individual Differences, 162. In press. Butticè, V., & Rovelli, P. (2020), ist hier veröffentlicht: DOI: https://doi.org/10.1016/j.paid.2020.110037


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

paola.rovelli@unibz.it


Originalpublikation:

https://doi.org/10.1016/j.paid.2020.110037


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Psychologie, Wirtschaft
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW