08.12.2020 09:56
“Keine wissenschaftlichen Belege”: Forscher hinterfragen angeblich neu entdecktes Organ von Kopfspeicheldrüsen
Renommierte Wissenschaftler der Universitätsmedizin Jena, Leipzig und Erlangen stellen eine niederländische Studie infrage, welche die Entdeckung eines neuen Organs von Kopfspeicheldrüsen behauptet. Die Experten der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Pathologie, Nuklearmedizin und Anatomie vertreten die Ansicht, dass es sich bei dem „neu entdeckten Organ“ um eine längst bekannte Anhäufung von kleinen Speicheldrüsen handelt. Die Stellungnahme ist jetzt veröffentlicht.
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Ein medizinisches Fachjournal und führende Medien in Deutschland wie auch die New York Times berichteten im Oktober, dass Krebsforscher aus Amsterdam ein neues Organ gefunden hätten. Ein bislang unbekanntes Paar an Speicheldrüsen an der sogenannten Tubenöffnung, dem Ende einer Verbindung der Paukenhöhle zum Nasen-Rachen-Raum, sei erstmals in positronen-emissionstomographischen (PET) Untersuchungen aufgefallen.
„Speicheldrüsen an dieser Stelle im Nasen-Rachen-Raum sind mir aus Standardlehrbüchern für Studierende der Humanmedizin bekannt“, so Prof. Dr. Ingo Bechmann, Direktor des Instituts für Anatomie der Universität Leipzig. Bechmann kontaktierte seinen Kollegen Prof. Dr. Friedrich Paulsen, Direktor des Instituts für Funktionelle und Klinische Anatomie der FAU Erlangen-Nürnberg, ein international renommierter Experte für Drüsen des Kopfes, sowie den Direktor der Klinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums Leipzig, Prof. Dr. Andreas Dietz. Dieser hatte parallel mit seinem Fachkollegen Prof. Dr. Orlando Guntinas-Lichius, Direktor der Klinik für HNO-Heilkunde am Universitätsklinikum Jena, Kontakt aufgenommen, welcher bereits eine Richtigstellung entwarf. Gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Iro, Direktor der Hals-Nasen-Ohren-Klinik – Kopf- und Halschirurgie des Uni-Klinikums Erlangen, und Prof. Dr. Lars Bräuer, stellvertretender Direktor des Instituts für Funktionelle und Klinische Anatomie der FAU Erlangen-Nürnberg, weisen sie nun in einer Publikation in der Fachzeitschrift Laryngo-Rhino-Otologie darauf hin, dass dieses „neue Organ“ als eine Ansammlung von Speicheldrüsen an dieser Stelle mindestens seit 1866 geläufig und wiederholt in der wissenschaftlichen Literatur und in Lehrbüchern beschrieben worden sei.
„Neben den sechs großen Speicheldrüsen befinden sich Hunderte kleine Speicheldrüsen in der Schleimhaut von Mundraum, Lippen und Rachen. Dass es Ansammlungen von Speicheldrüsen auch im Nasenrachen und in der Nähe der Luftröhre gibt, wurde schon vor 150 Jahren beschrieben“, erläutert Prof. Dr. Orlando Guntinas-Lichius. Der Erstautor der Stellungnahme ergänzt: „Diese bei der Bestrahlungsplanung zu berücksichtigen, ist ein wichtiger Hinweis, der die Mundtrockenheit als Nebenwirkung einer Bestrahlung vermindern helfen kann. Dazu sind weitere Untersuchungen notwendig.“
Rund 800 bis 1.000 dieser kleinen Drüsen sind im und um das Gewebe der Schleimhaut von Lippen, Mundhöhle, Nase und dem Mittelohr in unterschiedlicher Dichte verteilt. In der Regel sind sie nicht sichtbar und auch eine konventionelle Bildgebung ist nicht in der Lage, diese Drüsen darzustellen. Auffällig werden sie nur im Fall einer Erkrankung, beispielsweise bei Tumoren oder Zysten, die wiederum im Nasen-Rachen-Raum äußerst selten auftreten. Die wissenschaftliche Stellungnahme ist nun im Georg Thieme Verlag erschienen. Auch ein privates Institut für Pathologie in München war daran beteiligt.
Originalveröffentlichung, Georg Thieme Verlag KG:
Laryngo-Rhino-Otol. „Gibt es eine neue Kopfspeicheldrüse? – Eher nicht!“, doi 10.1055/a-1307-3872
Originalveröffentlichung der niederländischen Studie, Fachzeitschrift Radiotherapy and Oncology:
„The tubarial salivary glands: A potential new organ at risk for radiotherapy“, doi:10.1016/j.radonc.2020.09.034
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Ingo Bechmann
Institut für Anatomie
Telefon: +49 341 97-22000
E-Mail: ingo.bechmann@medizin.uni-leipzig.de
Prof. Dr. Andreas Dietz
Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde
Telefon: +49 341 97-21700
E-Mail: andreas.dietz@medizin.uni-leipzig.de
Originalpublikation:
https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1307-3872
Weitere Informationen:
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0167814020308094
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Medizin
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Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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