Multiplex-Netzwerk verbessert Diagnose und Analyse von Seltenen Erkrankungen



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09.11.2021 11:41

Multiplex-Netzwerk verbessert Diagnose und Analyse von Seltenen Erkrankungen

Seltene Erkrankungen sind meist auf einen einzelnen Gendefekt zurückzuführen. Dennoch gestaltet sich die Suche nach der Ursache und die Einschätzung der Auswirkungen höchst komplex. Ein Forschungsteam um Netzwerkwissenschafter Jörg Menche vom CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin sowie den Max Perutz Labs in Wien entwickelten nun ein sogenanntes Multiplex-Netzwerk, das sämtliche Gene und ihre Interaktionen auf mehreren Ebenen abbildet und die Identifikation von Gendefekten sowie die Einschätzung ihrer Folgen verbessert. Die Studie wurde in Nature Communications veröffentlicht.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Seltene Erkrankungen sind meist auf einen einzelnen Gendefekt zurückzuführen. Dennoch gestaltet sich die Suche nach der Ursache und die Einschätzung der Auswirkungen als höchst komplex und schwierig. Jörg Menche, Adjunct Principal Investigator am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Professor an der Universität Wien sowie Forschungsgruppenleiter an den Max Perutz Labs (ein Joint Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien), und sein Team entwickelten nun ein sogenanntes Multiplex-Netzwerk, das sämtliche Gene und ihre Interaktionen auf mehreren Ebenen abbildet und die Identifikation von Gendefekten sowie die Einschätzung ihrer Folgen verbessert.

Im Gegensatz zu häufigen Krankheiten, die in der Regel durch ein komplexes Zusammenspiel mehrerer genetischer und umweltbedingter Faktoren gekennzeichnet sind, können seltene Krankheiten oft auf ein einziges defektes Gen zurückgeführt werden. Die gezielte Entschlüsselung und Analyse eines Gendefekts und seiner phänotypischen Folgen liefert daher wichtige Informationen für das Verständnis von zugrundeliegenden Mechanismen im Körper und hilft bei der Wahl gezielter Behandlungsstrategien. Die individuelle Suche nach der Krankheitsursache ist jedoch meist langwierig und kostenintensiv. Einen neuen, systematischen Ansatz zur Erforschung seltener, noch nicht charakterisierter Erkrankungen mittels eines sogenannten Multiplex-Netzwerkes präsentiert nun die Forschungsgruppe von Netzwerkwissenschaftler Jörg Menche am CeMM sowie den Max Perutz Labs in ihrer neuesten Studie, die heute in dem Fachjournal Nature Communications veröffentlicht wurde.

Dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, ursächlichen Gendefekt zu identifizieren

Menches Forschungsgruppe widmet sich bereits seit mehreren Jahren dem besseren Verständnis von genetischen Interaktionen mithilfe molekularer Netzwerkanalysen, um die Diagnose und Therapie seltener Erkrankungen zu verbessern. Für ihre aktuelle Studie baute Erstautor Pisanu Buphamalai, CeMM PhD Student der Forschungsgruppe von Menche, ein mehrschichtiges Netzwerk, das über 20 Millionen Genbeziehungen mit Informationen über die Protein-Interaktionen bis hin zu phänotypischen Ähnlichkeiten abbildet. Dafür integrierte der Wissenschaftler einen umfassenden Datensatz mit über 3.700 seltenen Krankheiten mit bekannter genetischer Grundlage. Studienleiter Menche erklärt: „Das Multiplex-Netzwerk integriert verschiedene Netzwerkschichten, die unterschiedliche Ebenen der biologischen Organisation unseres Körpers abbilden, vom Genom über das Transkriptom, Proteom bis hin zum Phänotyp. Durch die Abbildung der Protein-Interaktionen und Mechanismen können wir auch jene Proteine besser charakterisieren, über deren Rolle bei seltenen Erkrankungen bisher wenig bekannt war, und so Gendefekten rascher auf die Spur kommen.“ Pisanu Buphamalai ergänzt: „Wir orientieren uns an den Wechselwirkungen zwischen den Proteinen – sowohl auf physikalischer als auch auf funktioneller Ebene. So können Rückschlüsse auf das defekte Gen sowie damit verbundene Auswirkungen getroffen werden. Unser Multiplex-Netzwerk-Ansatz erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wir die entscheidende Gen-Abweichung finden, um ein Dreifaches im Vergleich zu getrennt betrachteten Netzwerken.“

Fortschritt für die Netzwerkmedizin: Genauere Analyse, bessere Prognose

Das Multiplex-Netzwerk ermöglicht durch seinen modularen Aufbau einerseits, die Auswirkungen einer bestimmten seltenen Krankheit auf eine bestimmte Ebene der biologischen Organisation zu quantifizieren. Das bedeutet festzustellen, ob bestimmte Zellen, Gewebeformen, Organe etc. besonders durch einen Gendefekt beeinflusst sind. Andererseits lässt sich auch die Bedeutung von bestimmten molekularen Prozessen für eine Erkrankung messen. „Gerade durch seine Vielschichtigkeit, das Verknüpfen der molekularen Abläufe und Prozesse, ist unser Multiplex-Netzwerk deutlich leistungsstärker und erfolgreiche als einzelne Netzwerke. Auch Prognosen über mögliche Folgeerscheinungen des Gendefekts lassen sich damit besser treffen“, so Menche. Auf ihre Funktionalität erfolgreich überprüft wurde das Netzwerk in Zusammenarbeit mit Vanja Nagy, Principal Investigator am Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases sowie CeMM Adjunct Principal Investigator, anhand der Daten von PatientInnen mit neurologischen Erkrankungen, deren zugrundeliegender Gendefekt bereits bekannt war. „Unsere Studie zeigt, wie ein riesiger Datensatz im Rahmen der Netzwerkmedizin genutzt werden kann, um mehrere praktische und konzeptionelle Herausforderungen in der Erforschung seltener Krankheiten zu bewältigen und so die Diagnose und Behandlung im Sinne der PatientInnen zu verbessern“, so Menche.

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Die Studie „Network analysis reveals rare disease signatures across multiple levels of biological organization“ erschien in der Zeitschrift Nature Communications am 09.11.2021. DOI: 10.1038/s41467-021-26674-1.

AutorInnen: Pisanu Buphamalai, Tomislav Kokotovic, Vanja Nagy, Jörg Menche

Förderung: Die Studie wurde vom Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds (WWTF) im Rahmen des Projektes VRG15-005 finanziell unterstützt.

Jörg Menche studierte Physik in Leipzig, Recife und Berlin. Er promovierte am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam und war Postdoc bei Albert-László Barabási an der Northeastern University und am Center for Cancer Systems Biology am Dana Farber Cancer Institute in Boston. 2015 kam er als Forschungsgruppenleiter an das CeMM. 2020 übernahm Menche eine Professur am Institut für Mathematik der Universität Wien sowie an den Max Perutz Labs, einem Joint Venture der Universität Wien sowie der Medizinischen Universität Wien. Am CeMM ist Jörg Menche weiterhin Adjunct Principal Investigator.
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Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. http://www.cemm.at

Die Max Perutz Labs sind ein Joint Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien. Das Institut betreibt herausragende, international anerkannte Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Molekularbiologie. WissenschaftlerInnen der Max Perutz Labs erforschen grundlegende, mechanistische Prozesse in der Biomedizin und verbinden innovative Grundlagenforschung mit medizinisch relevanten Fragestellungen. Die Max Perutz Labs sind Teil des Vienna BioCenter, einem führenden Hotspot der Lebenswissenschaften in Europa. Am Institut sind rund 45 Forschungsgruppen mit mehr als 450 MitarbeiterInnen aus 40 Nationen. http://www.maxperutzlabs.ac.at


Originalpublikation:

https://www.nature.com/articles/s41467-021-26674-1


Anhang

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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Informationstechnik, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW