Nanophysik: Der richtige Dreh



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28.03.2023 13:33

Nanophysik: Der richtige Dreh

Gestapelte Schichten aus ultradünnen Halbleitermaterialien erzeugen Phänomene, die sich für neuartige Anwendungen nutzen lassen. Ein Team um LMU-Physiker Alexander Högele zeigt, welche Auswirkungen leichtes Verdrehen zweier Lagen haben kann.

Neuartige, ultradünne Nanomaterialien haben bisweilen erstaunliche Eigenschaften. Stapelt man beispielsweise einzelne, atomar dünne Lagen aus Kristallen, können faszinierende physikalische Effekte entstehen. So sind etwa unter dem magischen Winkel von 1,1 Grad verdrehte Doppellagen aus dem Wundermaterial Graphen supraleitend. In den Fokus der Forschung sind auch zweilagige halbleitende Heterostrukturen aus sogenannten Übergangsmetall-Dichalokogeniden gerückt, die nur schwach über van-der-Waals-Kräfte zusammengehalten werden.

Solche neuartigen, in der Natur nicht vorkommenden Heterostrukturen untersucht die Arbeitsgruppe von Alexander Högele. „Die Materialkombination, die Anzahl der Schichten sowie ihre relative Winkelorientierung bestimmt eine Vielzahl neuartiger Phänomene“, sagt der LMU-Physiker. „Wir können im Labor gezielt physikalische Phänomene mit vielfältigen Anwendungen in der Elektronik, Photonik oder Quantentechnologie maßschneidern, die in natürlich vorkommenden Kristallen unbekannt sind.“ Allerdings sind beobachtete Phänomene nicht immer leicht zu interpretieren, wie eine neue, im Fachmagazin Nature Nanotechnology veröffentlichte Arbeit zeigt.

Högeles Team untersuchte ein durch van-der-Waals-Kräfte zusammengehaltenes, zweilagiges System aus den Halbleitern Molybdändiselenid (MoSe2) und Wolframdiselenid (WSe2). Je nach Orientierung der Einzellagen ergeben sich Moiré-Effekte, wie wir sie aus dem Alltag kennen. Diese Effekte entstehen auch in der Nanowelt, wenn sich zwei unterschiedliche Atomgitter überlagern oder zwei identische Gitter gegeneinander verdreht sind. Nur dass es dann kein optischer Effekt ist. In der quantenmechanischen Welt atomar dünner Kristall-Heterostrukturen beeinflusst die sogenannte Moiré-Interferenz die Eigenschaften des zusammengesetzten Systems drastisch, darunter auch die von Elektronen und stark gebundenen Elektronen-Loch-Paaren, also Exzitonen, erklärt Högele.

„Unsere Arbeit zeigt, dass die naive Vorstellung eines perfekten Moiré-Musters in Doppellagen aus MoSe2-WSe2 insbesondere für kleine Drehwinkel nicht zutrifft und daher auch die Interpretation bislang beobachteter Phänomenologie teils revidiert werden muss“, sagt Högele. Anstelle von regelmäßigen Moiré-Mustern gibt es ausgedehnte Gebiete, die frei von Moiré-Interferenzen sind, und Zonen mit quantenmechanisch interessanten Effekten, die Anwendungen in der Quantenkommunikation versprechen: ein-dimensionale Quantendrähte oder quasi null-dimensionale Quantenpunkte etwa mit räumlich lokalisierten Exzitonen für Einzelphotonenquellen. In solchen Probenbereichen kann sich ein ideales Moiré-Muster zu periodischen Mustern aus dreieckigen oder hexagonalen Kacheln verwandeln.

Der Grund scheint in einer von der Orientierung der Lagen abhängigen elastischen Deformation der Gitterstruktur zu liegen. Dabei werden Atome aus ihren Gleichgewichtslagen verschoben, auf Kosten erhöhter Spannungen in den Schichten aber zugunsten besserer Haftung. Die Folge ist eine Energielandschaft in diesen Doppellagen, die sich möglicherweise auch gezielt nutzen lässt. „Wir beobachten kollektive Phänomene in den künstlich zusammengesetzten Kristallen, bei denen periodische Moiré-Muster drastischen Einfluss auf die Bewegung der Elektronen und ihre Wechselwirkung untereinander haben“, sagt Högele.

Von entscheidender Bedeutung ist hier das Verständnis der sogenannten Exzitonen, der Elektronen-Loch-Paare, die für die jeweils unterschiedlichen Arten der zweilagigen Kristallheterostrukturen charakteristisch sind und sich potentiell auch in künftigen optolektronischen Anwendungen nutzbar machen lassen. Sie werden in den halbleitenden Übergangsmetall-Dichalkogeniden durch Lichtabsorption erzeugt und können sich wiederum in Licht zurückverwandeln. „Exzitonen fungieren also als Mittler der Licht-Materie-Wechselwirkung in Halbleiterkristallen“, sagt Högele. Wie die aktuelle Arbeit zeigt, entstehen je nach Orientierung der beiden Monolagen, also parallel und antiparallel zueinander, verschiedene Exzitonen. „Wir wollen lernen, wie man van-der-Waals-Heterostrukturen mit maßgeschneiderten Eigenschaften gezielt herstellt, um die reichhaltige Phänomenologie nutzbar zu machen und korrelierte Effekte wie Magnetismus hervorzurufen.“


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Alexander Högele
Nanophotonics Group
Fakultät für Physik / Faculty of Physics
Email: alexander.hoegele@lmu.de
Tel/Phone: +49 89 21801457


Originalpublikation:

Shen Zhao, Zhijie Li, Xin Huang, Anna Rupp, Jonas Göser, Ilia A. Vovk, Stanislav Yu. Kruchinin, Kenji Watanabe, Takashi Taniguchi, Ismail Bilgin, Anvar S. Baimuratov & Alexander Högele. Excitons in mesoscopically reconstructed moiré heterostructures. Nature Nanotechnology, 2023. https://www.nature.com/articles/s41565-023-01356-9


Weitere Informationen:

https://www.lmu.de/de/newsroom/newsuebersicht/news/nanophysik-der-richtige-dreh….


Bilder


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Informationstechnik, Physik / Astronomie, Werkstoffwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW