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18.09.2023 11:00
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Neue Darmmikrobe produziert stinkendes Giftgas, schützt aber vor Krankheitserregern
Taurin abbauende Bakterien beeinflussen Darmmikrobiom
Ein internationales Team von Wissenschafter*innen unter der Leitung des Mikrobiologen Alexander Loy von der Universität Wien hat eine neue Darmmikrobe entdeckt, die sich ausschließlich von Taurin ernährt und das übelriechende Gas Schwefelwasserstoff produziert. Damit liefern die Forscher*innen einen weiteren Baustein im Verständnis jener mikrobiellen Prozesse, die faszinierende Auswirkungen auf die Gesundheit haben. So auch Taurinivorans muris: Das Bakterium zeigt eine schützende Funktion gegen Klebsiella und Salmonella, zwei wichtige Krankheitserreger. Die Ergebnisse erscheinen aktuell in Nature Communications.
Was ist das für ein Geruch?
Das Darmmikrobiom bestimmt unsere Gesundheit auf vielfältige Weise. Unter anderem trägt es zum Gehalt an Schwefelwasserstoff bei – dem giftigen Gas, das für übelriechende Blähungen verantwortlich ist. Geringe Mengen an Schwefelwasserstoff im Darm sind für eine Reihe physiologischer Prozesse unerlässlich und können sogar vor Krankheitserregern schützen: Schwefelwasserstoff produzierende Mikroben im Darm tragen dazu bei, sauerstoffabhängige Krankheitserreger wie Klebsiella zu “ersticken”, so dass es für sie schwieriger wird, sich anzusiedeln.
Ein zu hoher Wert kann jedoch negative Folgen haben und wird mit Darmentzündungen und Schäden an der Darmschleimhaut in Verbindung gebracht. Die Entdeckung der Hauptakteure und Prozesse, die dieses schädliche Gas in unserem Darm produzieren, bereitet den Weg zur Entwicklung von therapeutischen Maßnahmen, zum Beispiel bei entzündlichen Darmerkrankungen.
Jung bleiben: die Rolle von Taurin
Das Bakterium Bilophila wadsworthia ist einer der wichtigsten Taurinverwerter des Menschen. In der aktuellen Studie haben Forscher*innen um Alexander Loy vom Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaften der Universität Wien (CeMess) eine neue Gattung von Schwefelwasserstoff-produzierenden Bakterien im Mausdarm entdeckt. “Das von uns beschriebene Bakterium hat eine ziemlich unausgewogene Ernährung”, erklärt Loy, “es ist auf die Aufnahme von Taurin spezialisiert.” Taurin ist eine semi-essentielle Aminosäure, die wir in kleinen Mengen in unserer Leber synthetisieren. Den größten Teil des Taurins erhalten wir jedoch über unsere Ernährung, insbesondere über Fleisch, Milchprodukte und Meeresfrüchte.
Wie Schwefelwasserstoff ist auch Taurin an einer Vielzahl von physiologischen Prozessen beteiligt. Jüngste Studien haben einen Zusammenhang zwischen Taurin und gesundem Altern festgestellt: Es scheint, dass dieser Nährstoff altersbedingte Krankheiten abwehren kann. Angesichts dieser Erkenntnisse ist die Entdeckung einer neuen Darmmikrobe, die sich ausschließlich von Taurin ernährt (mit dem treffenden Namen Taurinivorans muris), ein weiteres Teil eines spannenden Puzzles. “Indem wir den ersten Taurinabbauer im Mausdarm isoliert haben, sind wir dem Verständnis, wie diese Darmmikroben die Gesundheit von Tieren und Menschen beeinflussen, einen Schritt nähergekommen”, erklärt Huimin Ye, Hauptautor der Studie.
Um genügend Taurin im Darm zu erhalten, benötigt Taurinivorans muris jedoch die Hilfe anderer Darmmikroben, die es aus Gallensäuren freisetzen. Taurinhaltige Gallensäuren werden in der Leber produziert und bei fettreicher Ernährung vermehrt in den Darm abgegeben, um unserem Körper bei der Fettverdauung zu helfen. Die Aktivitäten der Bakterien im Darm beeinflussen wiederum den Gallensäurestoffwechsel in der Leber. Die Ergebnisse der Wiener Forscher*innen tragen daher auch zu einem besseren Verständnis dieser komplexen Wechselwirkungen im Gallensäurestoffwechsel bei, der sich auf Prozesse und Krankheiten im gesamten Körper auswirkt.
Taurin abbauende Mikroben schützen vor Krankheitserregern
Eine der wichtigsten Funktionen der symbiotischen Mikroben im Darm ist die Abwehr von Krankheitserregern. Das Mikrobiom verfügt über ein vielseitiges Arsenal an Schutzmechanismen – und die Nutzung von Taurin zur Bildung von Schwefelwasserstoff ist einer davon. “Schwefelwasserstoff kann den sauerstoffabhängigen Stoffwechsel einiger Krankheitserreger unterdrücken”, erklärt Ye. In der vorliegenden Studie fanden die Forscher heraus, dass Taurinivorans muris eine schützende Funktion gegen Klebsiella und Salmonella hat, zwei wichtige Darmpathogene. “Der Schutzmechanismus von Taurinivorans muris gegen Krankheitserreger könnte über Schwefelwasserstoff erfolgen, ist aber im Wesentlichen noch nicht vollständig verstanden”, fügt Alexander Loy hinzu. Taurin ist eine der wichtigsten Quellen für die Schwefelwasserstoffproduktion im Darm. Die Studie liefert somit grundlegende Erkenntnisse über die physiologischen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Darmmikroben und ihren Wirten, die für die Entwicklung neuer mikrobiombasierter Therapien notwendig sind.
Weiterführende Links:
Forschungsgruppe von Alexander Loy: http://www.microbial-ecology.net/people/alexander-loy
Abteilung für Mikrobielle Ökologie, Universität Wien: http://www.microbial-ecology.net/
Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft, Universität Wien: http://cmess.univie.ac.at
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Univ.-Prof. Dr. Alexander Loy
Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft
Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung
Division für Mikrobielle Ökologie
Universität Wien
1030 Wien, Djerassiplatz 1
T +43 1 4277 91205
alexander.loy@univie.ac.at
Originalpublikation:
Publikation in Nature Communications:
Ye H, Borusak S, Eberl C, Krasenbrink J, Weiss AS, Chen S, Hanson BT, Hausmann B, Herbold CW, Pristner M, Zwirzitz B, Warth B, Pjevac P, Schleheck D, Stecher S, Loy A. 2023. Ecophysiology and interactions of a taurine-respiring bacterium in the mouse gut. Nature Communications.
DOI: 10.1038/s41467-023-41008-z
https://doi.org/10.1038/s41467-023-41008-z
Weitere Informationen:
https://medienportal.univie.ac.at/media/aktuelle-pressemeldungen/detailansicht/a…
Bilder
FISH: Fluoreszenzmikroskopisches Bild von Taurinivorans muris in Reinkultur
Huimin Ye
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch