Quantentanz im Trommeltakt



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14.03.2024 11:00

Quantentanz im Trommeltakt

Physiker*innen der Universität Regensburg choreographieren die Verschiebung eines elektronischen Energieniveaus mit atomaren Schwingungen schneller als eine billionstel Sekunde

Wirft man einen Ball in die Luft, kann man ihm stufenlos Energie mitgeben, sodass er mehr oder weniger Höhe gewinnt. Zu den Merkwürdigkeiten der Quantenphysik gehört, dass Teilchen, z.B. Elektronen, oft nur quantisierte Energiewerte annehmen können. Das ist so, als würde der Ball auf einer Leiter springen und nur bestimmte Höhen einnehmen, beispielsweise 1 m, 2 m oder 3 m. Qubits und Quantencomputer sowie Licht emittierende Quantenpunkte (Nobelpreis 2023) machen sich dieses Prinzip zunutze. Allerdings können elektronische Energieniveaus durch Stöße mit anderen Elektronen oder Atomen verschoben werden. Vorgänge der Quantenwelt spielen sich meist auf atomaren Maßstäben ab und sind zudem unfassbar schnell. Einem Team der Universität Regensburg ist es nun mit einem neuartigen ultraschnellen Mikroskop gelungen, mit atomarer Auflösung auf ultraschneller Zeitskala direkt zu beobachten, wie die Energie eines einzelnen Elektrons durch die Schwingungen der umgebenden Atome moduliert wird. Mehr noch – sie konnten diesen Vorgang auch gezielt kontrollieren. Solche Entdeckungen könnten entscheidend sein, um superschnelle Quantentechnologien zu entwickeln.

Die Physiker*innen erforschten an einer atomar dünnen Materiallage, wie sich ein diskretes Energieniveau verändert, wenn sich diese atomare Lage wie eine Trommelmembran auf und ab bewegt. Das beobachteten sie an einer Fehlstelle – die Lücke, die entsteht, wenn ein Atom aus einem Material entfernt wird. Solche atomar dünnen zweidimensionalen Kristalle, bekannt für ihre vielseitig anpassbaren elektronischen Eigenschaften, sind besonders interessant für künftige Nanoelektronik. Fehlende Atome in einem Kristall sind heiße Kandidaten für Qubits, die elementaren Informationsträger eines Quantencomputers, da sie genau wie einzelne Atome diskrete elektronische Energieniveaus besitzen. Die Forschenden stellten fest, dass sie ein diskretes Energieniveau der Fehlstelle durch Anstoß einer „Trommelschwingung“ verändern können: die atomare Bewegung der atomar dünnen Materiallage beeinflusst das diskrete Energieniveau und kann somit das Energieniveau kontrollieren. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Nature Photonics veröffentlicht.

Um diese bahnbrechende Entdeckung zu machen, mussten die Forscher*innen einige Hürden überwinden. Für die Beobachtung atomar lokalisierter Energieniveaus und ihrer Dynamik benötigt man atomare Ortsauflösung von 1 Ångström (1 Å = 0,000 000 000 1 m). Außerdem läuft Bewegung im Nanokosmos unfassbar schnell ab. „Um aufzuzeichnen, wie sich so ein Energieniveau verschiebt, muss man stroboskopisch Schnappschüsse des Energieniveaus machen, wobei jede Momentaufnahme in weniger als einer billionstel Sekunde entstehen muss, schneller als eine Pikosekunde (1 ps = 0,000 000 000 001 s)“, erklärt Erstautorin Carmen Roelcke. All diese Herausforderungen meisterte das Team um Carmen Roelcke, Dr. Lukas Kastner und Dr. Yaroslav Gerasimenko in einer raffinierten Methode, bei der sie die Energie- und Ortsauflösung eines Rastertunnelmikroskops nutzen. Gleichzeitig ermöglichen maßgeschneiderte ultrakurze Laserpulse, sehr schnelle Bewegungen in Zeitlupe aufzunehmen. Dabei schaffte das gebündelte Know-how der Gruppen von Prof. Jascha Repp und Prof. Rupert Huber die entscheidende Synergie für das benötigte ultraschnelle Quantenmikroskop. „Mit unserer neuartigen Methode konnten wir den Zusammenhang zwischen der strukturellen Bewegung der atomaren Trommelmembran und der Verschiebung des lokalisierten Energieniveaus in Zeitlupe entschlüsseln“, fasst Yaroslav Gerasimenko die Veröffentlichung zusammen. Quantentheoretische Rechnungen von Maximilian Graml und Dr. Jan Wilhelm erklären schlüssig, warum und wie sich die Atome in der atomar dünnen Lage während der Schwingung bewegen und wie diese Bewegung die diskreten Energieniveaus beeinflussen kann.

Die Arbeit im Regensburger Team begründet eine neue Ära zur Erforschung von Dynamik atomar lokalisierter Energieniveaus und ihrer Wechselwirkung mit ihrer Umgebung. Diese Entdeckung ermöglicht es, diskrete Energieniveaus unmittelbar lokal zu kontrollieren. Beispielsweise könnte durch die Bewegung einzelner Atome die Energiestruktur eines Materials verändert werden und dadurch neue Funktionalitäten entstehen oder gezielt Eigenschaften Licht emittierender Halbleiter und Moleküle verändert werden. Man erhofft sich, durch die kombinierte extreme Raum-, Zeit- und Energieauflösung zu verstehen, wie Elektronen mit Schwingungen des Kristallgitters lokal wechselwirken. Dieser Ansatz könnte auch helfen, die Geheimnisse von Schlüsselprozessen zu lüften, die hinter bisher noch unverstandenen Phasenübergängen wie der Hochtemperatur-Supraleitung stecken.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Rupert Huber
Fakultät für Physik
Universität Regensburg
Tel.: +49 941 943 2070
E-Mail: Rupert.Huber@ur.de

Prof. Dr. Jascha Repp
Fakultät für Physik
Universität Regensburg
Tel.: +49 941 943 4201
E-Mail: Jascha.Repp@ur.de


Originalpublikation:

Carmen Roelcke, Lukas Z. Kastner, Maximilian Graml, Andreas Biereder, Jan Wilhelm, Jascha Repp, Rupert Huber & Yaroslav A. Gerasimenko, Ultrafast atomic-scale scanning tunnelling spectroscopy of a single vacancy in a monolayer crystal.
In: Nature Photonics.
DOI: https://www.nature.com/articles/s41566-024-01390-6


Bilder

Ein diskretes Energieniveau einer atom. Fehlstelle in einer Monolage WSe2 wird durch die atom Bewegung einer Trommelschwingung verschoben.Die zeitl. Entwicklung des lokalisierten Energieniveaus wird mittels ultraschneller Rastertunnelspektroskopie verfolgt

Ein diskretes Energieniveau einer atom. Fehlstelle in einer Monolage WSe2 wird durch die atom Bewegu
Brad Baxley
Brad Baxley


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW