Wie Roquin die Aktivität von Immunzellen steuert



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23.11.2021 16:25

Wie Roquin die Aktivität von Immunzellen steuert

LMU-Immunologen fanden heraus, wie Mutationen in Roquin-1 Autoimmunität auslösen, aber auch die Bekämpfung von Krebszellen verbessern können.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Bei Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes treten schwere Entzündungen in unterschiedlichen Regionen des Organismus auf. Das Immunsystem erkennt fälschlicherweise körpereigene Strukturen als fremd und greift diese an. Solche Leiden haben unterschiedliche Auslöser. Nur eine Handvoll bekannter Mutationen in einzelnen Genen des Erbguts führen zu Autoimmunität. Dazu gehört das Gen, das für Roquin-1 kodiert. Die sogenannte Sanroque-Mutation führt bei Mäusen zu einem Krankheitsbild, welches dem Lupus erythematodes ähnelt.

„Aus solchen Mutationen lernen wir, wie sich unser Körper vor autoaggressiven Reaktionen des Immunsystems schützt“, erklärt Professor Dr. Vigo Heissmeyer. Er forscht am Institut für Immunologie der LMU und in der Abteilung für Molekulare Immunregulation des Helmholtz Zentrums München. Jetzt hat er mit seinem Team in Funktionsuntersuchungen und im Mausmodell gezeigt, wie der Austausch einer einzigen Aminosäure wie zum Beispiel die Sanroque-Mutation in Roquin-1 zu starker Autoimmunität führt. „Wir denken, dass wir eine Zielstruktur gefunden haben, die Autoimmunität kontrolliert und die sich darüber hinaus zur Verstärkung von Antitumorantworten eignen könnte“, so Heissmeyer zu den zentralen Ergebnissen seiner Experimente.

Roquin steuert immunologische Vorgänge

Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen des Helmholtz Zentrums München und der LMU hat er in der Vergangenheit molekulare Funktionen von Roquin-1 aufgeklärt. Das Protein spielt eine Schlüsselrolle in der adaptiven Immunantwort, in dem es über die Regulation von Genexpression die Aktivierung und Differenzierung von T-Zellen kontrolliert. Interessanterweise wurde eine gleiche Funktionsweise auch für das Regnase-1 Protein vorgeschlagen. „Was wir bislang nicht verstanden haben, war die Frage, warum der Austausch einer Aminosäure in der Sanroque-Mutation von Roquin-1 genauso wie der Verlust des Regnase-1 kodierenden Gens zu einer sehr ähnlichen Form von Autoimmunität führt“, so Heissmeyer.

Die Arbeitsgruppe konnte nun zeigen, dass Roquin-1 direkt an das Regnase-1 Protein bindet, um effizient die Expression bestimmter Gene zu kontrollieren. Interessanterweise waren die Aminosäuren, die an dieser Bindung beteiligt waren, in räumlicher Nähe zu der in der Sanroque-Mutante veränderten Aminosäure. Mit der CRISPR-Cas-Technik konnten im Roquin-1 kodierenden Gen von Mäusen einzelne Aminosäuren, die an der Bindung an Regnase-1 beteiligt sind, durch jeweils andere ersetzt werden. Bei der Proteinbiosynthese entstanden so Roquin-1 Proteine, die deutlich schwächer mit Regnase-1 interagierten. Aufgrund dieser neuartigen Mutationen trat Autoimmunität bei den Nagetieren auf. „Unsere Daten zeigen, dass die physische Wechselwirkung von Roquin-1 mit Regnase-1 eine zentrale Bedeutung für die Kontrolle der Aktivität von Immunzellen hat“, fasst der LMU-Wissenschaftler zusammen.

Stärkung von Immunantworten als therapeutische Strategie

Zwar ist die beobachtete Autoimmunität für den Organismus schädlich und führt zu Krankheiten, bei Patienten mit Krebs könnte eine verstärkte Aktivierung von Immunzellen, die den Tumor bekämpfen, aber nützlich sein. „Mechanismen in T-Zellen, die unser Immunsystem entwickelt hat, um Autoimmunität zu vermeiden, werden nämlich auch vom Tumor genutzt, um T-Zellen auszuschalten“, erklärt Heissmeyer. Mäuse, die die beschriebenen Mutationen im Roquin-1-Gen hatten, bildeten dementsprechend T-Zellen mit stärkerer Aktivität gegen maligne Zellen.

Damit wird Roquin-1 auch zur interessanten Zielstruktur für die Onkologie. Ziel künftiger Forschungsprojekte könnte sein, einen Hemmstoff zu entwickeln, der Wechselwirkungen zwischen Roquin-1 und Regnase-1 verringert – und Immunzellen scharf schaltet. „Davon versprechen wir uns, zeitlich begrenzt die T-Zell-Reaktion gegen Tumore stark zu verbessern“, sagt Heissmeyer.


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Vigo Heissmeyer
Institute for Immunology
Biomedical Center
Tel +49 89 218075629
vigo.heissmeyer@med.uni-muenchen.de


Originalpublikation:

Gesine Behrens et al: Disrupting Roquin-1 interaction with Regnase-1 induces autoimmunity and enhances anti-tumor responses. Nature Immunology
https://www.nature.com/articles/s41590-021-01064-3


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch


Quelle: IDW