Cochrane Review: Humaninsulin ist weniger temperaturempfindlich als bisher angenommen



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07.11.2023 11:39

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

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Cochrane Review: Humaninsulin ist weniger temperaturempfindlich als bisher angenommen

Ein aktueller Cochrane Review kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Insulin kann monatelang bei Raumtemperatur aufbewahrt werden, ohne an Wirksamkeit zu verlieren.

Insulin ist ein körpereigenes Hormon, das den Blutzuckerspiegel kontrolliert und es den Zellen unseres Körpers ermöglicht, Zucker ( Glukose) als Energiequelle zu nutzen. Menschen mit Zuckerkrankheit (Diabetes) produzieren entweder nicht genügend Insulin (Typ-1-Diabetes) oder ihre Zellen sprechen nicht mehr ausreichend auf das vorhandene Insulin an (Typ-2-Diabetes). Insbesondere bei Typ-1-Diabetes ist unter die Haut injiziertes Insulin ein überlebenswichtiges Medikament. Humaninsulin steht aus diesem Grund seit 1977 auf der Liste der unverzichtbaren Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Gemäß den aktuellen Empfehlungen der Hersteller muss Insulin vor der Verwendung gekühlt aufbewahrt werden, um seine Wirksamkeit nicht zu verlieren. Weltweit leben jedoch Millionen von Menschen mit Diabetes in Gegenden, in denen es keinen oder nur unzureichenden Zugang zu Gesundheitseinrichtungen oder Kühlmöglichkeiten gibt. Noch komplizierter wird die Versorgung an Orten, die von Katastrophen, extremen Hitzeperioden oder Kriegen betroffen sind.

Ein Team von Cochrane-Autor*innen unter der Leitung von Bernd Richter vom Institut für Allgemeinmedizin der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf ist nun der Frage nachgegangen, ob bzw. wie stark die Lagerung von Insulinampullen, Insulinpatronen und Insulinpens außerhalb von Kühlschränken die Wirksamkeit vermindert. Ihr eben erschienener Cochrane Review fasst die Ergebnisse von insgesamt 17 verfügbaren Studien zum Thema zusammen. Berücksichtigt wurden zudem zuvor unveröffentlichte Daten von pharmazeutischen Herstellern.

Das Ergebnis überrascht: Demnach ist es möglich, ungeöffnete Ampullen und Patronen von kurz- und mittellangwirkendem Insulin sowie Mischinsulin bei Temperaturen von bis zu 25°C maximal sechs Monate lang und bei Temperaturen von bis zu 37°C maximal zwei Monate lang aufzubewahren, ohne dass es zu einer klinisch relevanten Abnahme der Insulinaktivität kommt. Auch eine bis zu dreimonatige Lagerung bei Temperaturen, die den Tages- und Nachtschwankungen in tropischen Ländern ähneln, führt nicht zu einem klinisch relevanten Verlust, wie Daten aus einer Studie zeigen.

Erstautor Bernd Richter betont die Bedeutung dieser Forschung insbesondere für Menschen mit Typ-1-Diabetes, die ohne Insulin nicht überleben können. Sie benötigen für Situationen ohne Kühlmöglichkeit klare Anweisungen, die bisher aus offiziellen Quellen fehlen. Alternativen zur strombetriebenen Kühlung von Insulin sind möglich, ohne die Stabilität dieses lebenswichtigen Medikaments zu gefährden. Beispielsweise kann Insulin in mit Wasser oder nassem Sand gefüllten und so gekühlten Tontöpfen aufbewahrt werden, wie Daten aus einer kleinen klinischen Pilot-Studie über sechs Wochen nahelegen.

Es besteht jedoch weiterer Forschungsbedarf, um die Stabilität von Insulin bei unterschiedlichen Lagerungsbedingungen noch besser einschätzen zu können. Weitere Forschung ist zudem für Mischinsulin, Insulinpumpen (Einfluss von Bewegung), Verunreinigungen bei geöffneten Ampullen sowie für besonders niedrige Umgebungstemperaturen erforderlich.


Originalpublikation:

Richter B, Bongaerts B, Metzendorf M-I. Thermal stability and storage of human insulin. Cochrane Database of Systematic Reviews 2023, Issue 11. Art. No.: CD015385. DOI: 10.1002/14651858.CD015385.pub2


Weitere Informationen:

https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD015385.pub2/full/de Link zum Review
https://www.cochrane.org/podcasts/10.1002/14651858.CD015385.pub2 Kurzer Podcast des Erstautors Bernd Richter zum Review (Englisch)


Bilder


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


 

Quelle: IDW