Dreikörperwechselwirkungen bringen Egoisten in die kollektive Komfortzone – auch Pinguine



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29.11.2021 21:00

Dreikörperwechselwirkungen bringen Egoisten in die kollektive Komfortzone – auch Pinguine

Physik: Publikation im PNAS

Ein Forschungsteam der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) untersuchte zusammen mit der TU Darmstadt und einem Garchinger MPI die Gruppendynamik von kommunizierenden aktiven Teilchen. Diese Teilchen sind dabei stets auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Dies können Pinguine, aber auch Bakterien sein. Indem sie sich stets selbst in eine persönliche Komfortzone bringen wollen, helfen sie auch den anderen Gruppenmitgliedern. Dass diese Selbstoptimierung ein generelles Vielkörperphänomen ist, beschreiben die Forschenden in der Zeitschrift Proceedings National Academy of Sciences (PNAS).

In der Antarktis kämpfen Pinguine mit der Kälte und rotten sich zu Gruppen zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen. Stehen sie aber zu dicht aneinander, dann überhitzen sie. Es gibt also eine optimale Wohlfühltemperatur, die die Pinguine erreichen, wenn sie einen kleinen, aber nicht zu engen Abstand einnehmen. Jeder einzelne Pinguin handelt dabei egoistisch und bewegt sich genau in die Richtung, in welcher die größte Temperaturerhöhung oder -erniedrigung stattfindet.

Dies ist ein Beispiel für ein Vielkörpersystem von kommunizierenden aktiven Teilchen oder auch „wechselwirkenden Agenten“. Forschende von der HHU, der Technischen Universität Darmstadt und vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching wollten genauer verstehen, wie solche Vielkörpersysteme beschrieben werden können. Denn es gibt eine Reihe von Beispielsysteme, die sich ähnlich verhalten.

Unter Erstautorin Dr. Alexandra Zampetaki vom HHU-Institut für Theoretische Physik II fand das Team nun heraus, dass dieser individuelle Egoismus die gesamte Gruppe wie von einer unsichtbaren Hand in die Komfortzone führt: Alle Pinguine erreichen die Wohlfühltemperatur.

Die Physiker nutzten ein fundamental neues Modell für aktive Teilchen, die ihre Bewegungsrichtung selbst steuern können. Die Teilchen kommunizieren untereinander, indem sie eine gemeinsam zur Verfügung stehende Ressource wahrnehmen, die in der Abstraktion durch ein sogenanntes skalares Feld beschrieben werden kann – zum Beispiel ein Temperaturfeld. Das Feld bewirkt, dass sich die Teilchen in die für sie günstigste Richtung bewegen, um ihre Wohlfühlsituation zu erreichen.

Es stellte sich im Weiteren heraus, dass die Wechselwirkung mit dem Feld automatisch zu sogenannten Dreikörper- oder Triplettkräften zwischen den Teilchen führt. Während alle fundamentalen Kräfte in der Natur – wie die Gravitation und die elektromagnetische Coulombkraft – Paarkräfte zwischen Teilchenpaaren sind, treten Triplettkräfte nur bei der gleichzeitigen Anwesenheit von drei Teilchen auf. Diese Triplettkräfte sind der Schlüssel zum Verständnis der Gruppendynamik.

„Fast alle Grundgesetze der Physik kann man als Minimierungsproblem beschreiben, sodass zum Beispiel die Gesamtenergie minimal wird“, erläutert HHU-Institutsleiter Prof. Dr. Hartmut Löwen. „In dem von uns untersuchten System wird dagegen nicht minimiert, sondern bezüglich eines Wohlfühlbereichs optimiert.“ Dies erlaubt eine interne Gruppendynamik, die – obwohl vom Egoismus getrieben – letztendlich für alle vorteilhaft ist. Das Verhalten resultiert in einer geordneten, aperiodischen Konfiguration, in der Agenten mit weniger Nachbarn näher beieinanderstehen, um sich wie die Pinguine zu wärmen.

Prof. Dr. Benno Liebchen von der TU Darmstadt ergänzt: „Die Wechselwirkung der Pinguine über ein kollektiv erzeugtes Feld erinnert an die Kommunikation vieler Mikroorganismen. Bakterien, die Sauerstoff verbrauchen, könnten beispielsweise ein ähnliches Optimierungsprinzip nutzen, um sich zur optimalen Sauerstoffkonzentration leiten zu lassen, ohne ihr Verhalten miteinander abstimmen zu müssen.“

Schließlich sagt Dr. Zampetaki: „Das entdeckte Optimierungsprinzip bildet eine Brücke zwischen Physik und Biologie und zeigt, wie die quantitative Modellierung einfacher Kommunikationsregeln zu Phänomenen führt, die auf Basis gewöhnlicher Paarwechselwirkungen unerreichbar wären.“

BILDUNTERSCHRIFT:
Beispiel für kollektive Selbstoptimierung (a): Schema der sozialen Thermoregulation bei Kaiserpinguinen, die als Wärmequellen wirken (rot) und sich zugleich hin zu ihrer Wohlfühltemperatur bewegen (grüne Pfeile). (b) Draufsicht der Gleichgewichtskonfiguration von 32 Pinguinen (grüne Scheiben) nahe dem kollektiven Optimum. Die schwarzen Linien sind Isothermen und dunkle Rottöne repräsentieren hohe Temperaturen. (Abbildung: HHU / Alexandra V. Zampetaki)


Originalpublikation:

A. V. Zampetaki, B. Liebchen, A. V. Ivlev, H. Löwen, Collective self-optimization of communicating active particles, to appear in PNAS.

DOI: 10.1073/pnas.2111142118


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW