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06.03.2024 14:16
Plötzlich gesund
Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.
Geduld lohnt sich
Forschende entschlüsseln die neuronalen Grundlagen von Entscheidungsprozessen und können so Handlungen vorhersagen
Neurowissenschaftler*innen zeigen in einer neuen Studie, wie im Primatengehirn Entscheidungsprozesse bei der Futtersuche gesteuert werden. Das deutsch-US-amerikanische Team, dem auch eine Forschende des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen angehörte, trainierte zwei Rhesusaffen, in einem Versuchsraum nach Futter zu suchen. Die Tiere konnten sich frei bewegen und aus zwei Futterboxen durch Knopfdruck Futterpellets erhalten. Im Versuchsverlauf lernten die Affen, dass sich die Menge der ausgegebenen Pellets aus den Boxen erhöhte, je länger sie bis zum nächsten Knopfdruck warteten. Wurden sie nach Drücken des Knopfes nicht mit Pellets belohnt, warteten die Affen beim nächsten Mal länger oder wechselten zu der anderen Box. Während des Versuchs haben die Forschenden die neuronale Aktivität im Gehirn der beiden Affen gemessen und mit Hilfe eines mathematischen Modells präzisiert. Anhand der Daten konnten sie vorhersagen, wie lange die Rhesusaffen bereit waren, auf eine höhere Belohnung zu warten, und wann sie sich entschieden, eine andere Option zu wählen. Die Ergebnisse tragen dazu bei, selbstgesteuerte Handlungen und damit neurologische Erkrankungen wie beispielsweise Parkinson besser zu verstehen (Nature Neuroscience).
Stellen Sie sich einen Fischer auf einem Boot vor, der Fischreusen in einen trüben See auswirft. Um erfolgreich zu sein, muss er die Reusen regelmäßig kontrollieren. Aber wann ist dafür die beste Zeit? Wenn er die Reusen zu oft kontrolliert, ist das unnötige Arbeit und er verscheucht die Fische. Sieht er zu spät nach, hat er bessere Chancen, verschwendet aber möglicherweise Zeit. Außerdem ist es anstrengend, von einer Reuse zur anderen zu paddeln, um sie nacheinander zu kontrollieren, so dass der Fischer immer wieder entscheiden muss, ob und wann sich das lohnt.
Neurowissenschaftler*innen wollen seit Jahrzehnten verstehen, wie es uns gelingt, möglichst optimale Entscheidungen zu fällen. Aufgrund technischer Beschränkungen waren die Forschenden bei der Beantwortung dieser Frage bisher auf Versuche angewiesen, bei denen Affen Aufgaben an Computerbildschirmen durchführen, während gleichzeitig die Aktivität ihrer Gehirnzellen gemessen wird. Die Tiere werden darauf trainiert, ruhig in einem Stuhl zu sitzen und sind daher in ihrer natürlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Da es jetzt möglich ist, die Aktivität mehrerer einzelner Nervenzellen drahtlos aufzuzeichnen, kann die Entscheidungsfindung in Szenarien mit natürlichen Bewegungsabläufen untersucht werden.
Für die Studie trainierte ein Team von Forschenden aus Deutschland und den USA zwei Rhesusaffen darauf, einen Versuchsraum mit zwei knopfgesteuerten Futterboxen zu erkunden. Jedes Mal, wenn die Affen einen Knopf an einer der Boxen drückten, hatten sie die Chance, Futterpellets zu erhalten. Die beiden Boxen waren so eingestellt, dass die Zeitintervalle zwischen den einzelnen Futterausgaben während eines Versuchsdurchlaufes immer länger wurden. Je länger die Affen warteten bis sie erneut den Knopf drückten, desto mehr Pellets erhielten sie.
„Als wir mit dem Experiment begannen, erwarteten wir, dass unsere Affen die Box einfach danach auswählen würden, wie erfolgreich sie zuvor mit dieser Box waren“, erklärt Erstautorin Neda Shahidi, Nachwuchsgruppenleiterin am Sonderforschungsbereich 1528 der Universität Göttingen und am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. „Nach einer Weile hatten sie aber gelernt, auf die Zeit seit dem letzten Tastendruck zu achten und auch auf ihren vorherigen Erfolg an einer Box. Wenn sie eine Weile gewartet, aber keine Pellets erhalten hatten, warteten sie noch länger, bevor sie das nächste Mal drückten. Wenn sie jedoch zu oft hintereinander nach Drücken des Knopfes nicht belohnt wurden, wechselten sie zum anderen Kasten. Sie hatten scheinbar entschieden, dass diese Futterbox das Warten nicht wert war und es besser ist, woanders zu suchen.“
Um die zugrunde liegenden neuronalen Prozesse zu analysieren, zeichneten die Forschenden die Aktivität von 96 Nervenzellen im präfrontalen Kortex drahtlos auf. Dieser Hirnbereich ist an der Steuerung von zielgerichtetem Verhalten beteiligt und wird bei vielen Aspekten der Futtersuchaufgabe aktiviert, beispielsweise bei der Bewertung von Optionen, der Erwartung einer Belohnung, der Vorbereitung von Handlungen und der Wahrnehmung des Ergebnisses.
„Die Charakterisierung der Aktivitätsmuster von einzelnen Neuronen enthüllt jedoch nicht immer die ganze Geschichte, wenn wir komplexe Entscheidungsprozesse untersuchen,“ erläutert Shahidi das weitere Vorgehen. „Komplexe Verhaltensweisen bestehen aus verschiedenen Komponenten, die manchmal gleichzeitig in demselben Gehirnbereich verarbeitet werden.“ Um diese Komponenten auseinander zu halten, entwickelten die Forschenden ein mathematisches Modell, das zunächst Gruppen von Neuronen identifizierte, die stärker aktiv waren, wenn die Tiere länger warteten, bevor sie einen Knopf drückten, und Gruppen von Neuronen, die stärker aktiv waren, wenn die Wahrscheinlichkeit, eine Belohnung zu erhalten, höher war. Da die Tiere nicht im Voraus wissen können, ob ein Knopfdruck belohnt wird, gehen die Forschenden davon aus, dass sich in der Aktivität dieser Neuronen die subjektiven Erwartungen der Tiere widerspiegeln.
Außerdem testeten die Forschenden, ob die neuronale Aktivität genutzt werden kann, um vorherzusagen, wann die Tiere den Knopf drücken und ob sie sich entscheiden, zwischen den Boxen zu wechseln. „Wir waren überrascht, wie gut unser Modell vorhersagen konnte, was die Affen in den nächsten Sekunden tun würden“, sagt Shahidi. „Unsere Ergebnisse zeigen nicht nur, wie die Entwicklung drahtloser Aufnahmetechnologien unser Verständnis von Gehirnmechanismen in Szenarien mit natürlichen Bewegungen verbessern kann, sondern auch, wie Fortschritte in den Datenwissenschaften die Neurowissenschaften verändern, indem sie die Rechenkomponenten des Gehirns aus der kollektiven Aktivität der Neuronen herauslesen. Wir hoffen, dass solche Fortschritte langfristig helfen, Anomalien bei kognitiven Prozessen besser zu verstehen, wie beispielsweise die Selbststeuerung bei Parkinson oder selbstinitiierende Handlungen bei Apathie“, sagt Shahidi.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Neda Shahidi
Tel.: +49 (0) 551 351-307
E-Mail: nshahidi@dpz.eu
Originalpublikation:
Shahida N, Parajuli A, Franch M, Schrater P, Wright A, Pikow X, Dragoi V (2024): Population coding of strategic variables during foraging in free-moving macaques. Nature Neuroscience https://doi.org/10.1038/s41593-024-01575-w
Weitere Informationen:
https://medien.dpz.eu/pinaccess/pinaccess.do?pinCode=sZ5CzJENiJ8K – Druckfähige Bilder
https://www.dpz.eu/de/aktuelles/pressemitteilungen.html – Pressemitteilung auf der DPZ-Website
Bilder
Ein Rhesusaffe holt sich Futterpellets aus einer Futterbox in einem Versuchsraum.
Neda Shahidi, Xaq Pitkow
Ein Rhesusaffe in der Tierhaltung des Deutschen Primatenzentrums streckt die Hand nach dem Schnee au …
Karin Tilch
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch