Hämatoxylin als Killer CALR-mutierter Krebszellen



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10.12.2020 08:30

Hämatoxylin als Killer CALR-mutierter Krebszellen

Patientinnen und Patienten mit Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) weisen in vielen Fällen eine krebserregende, mutierte Form des Gens Calreticulin (CALR) auf. WissenschaftlerInnen der Forschungsgruppe von Robert Kralovics, Adjunct Principal Investigator am CeMM und Forschungsgruppenleiter an der Medizinischen Universität Wien, konnten in einer Studie nun zeigen, dass eine Gruppe an Chemikalien, allen voran Hämatoxylin, mutierte CALR-Zellen selektiv abtöten kann. Die Entdeckung birgt großes therapeutisches Potenzial und gibt Hoffnung auf neue Behandlungswege.

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Plötzlich gesund

Fortschreitende Naturerkenntnis, ganz allgemein gesprochen, ‘Wissenschaft’, ist der stärkste Feind des medizinischen Wunders. Was unseren Vorfahren als Wunder erschien, was einfache Naturvölker heute noch in heftige Erregung versetzt, das berührt den zivilisierten Menschen längst nicht mehr.
Doch es gibt einen Gegensatz, der jedem Denkenden sofort auffällt: der unerhörte, durchaus nicht abgeschlossene Aufstieg der wissenschaftlichen Heilkunde und die ebenso unerhörte Zunahme der Laienbehandlung und der Kurpfuscherei. Man schätzt die Zahl der Menschen, die der Schulmedizin kein Vertrauen schenken, auf immerhin 50 Prozent.
Wie kann es sein, daß Laienbehandler und Kurpfuscher immer wieder spektakuläre Erfolge aufweisen, von denen die Sensationspresse berichtet?
Der Autor geht dieser Frage nach und kommt zu interessanten Erkenntnissen, aus denen er Vorschläge für eine bessere Krankenbehandlung durch seine ärztlichen Standesgenossen ableitet.

Hier geht es weiter …

Patientinnen und Patienten mit Myeloproliferativen Neoplasien (MPN), eine Gruppe bösartiger Erkrankungen des Knochenmarks, weisen in vielen Fällen eine krebserregende, mutierte Form des Gens Calreticulin (CALR) auf. WissenschaftlerInnen der Forschungsgruppe von Robert Kralovics, Adjunct Principal Investigator am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Forschungsgruppenleiter an der Medizinischen Universität Wien, konnten nun Hämatoxylin als einen neuartigen CALR-Inhibitor identifizieren. Die Studie, die im renommierten Fachjournal Blood veröffentlicht wurde, zeigt, wie Hämatoxylin-Verbindungen auf eine bestimmte Domäne von CALR wirken und jene CALR-mutierten Zellen selektiv abtöten, die bei MPN-PatientInnen als Krankheitsverursacher identifiziert wurden. Die Entdeckung birgt großes therapeutisches Potenzial und gibt Hoffnung auf neue Behandlungswege.

Als myeloproliferative Neoplasien wird in der Medizin eine Gruppe bösartiger Erkrankungen des Knochenmarks zusammengefasst. Diese spezielle Art von Blutkrebs zeichnet sich durch eine gesteigerte Bildung von Blutzellen, Anfälligkeit zu Thrombosen und durch häufige Transformation zu akuter Leukämie aus. Im Labor von Robert Kralovics entdeckte man bereits 2013, dass bei betroffenen Patientinnen und Patienten häufig krebserregende Mutationen des Gens Calreticulin (CALR) festzustellen waren, die nun als diagnostische und prognostische Marker klinische Anwendung finden. Auch der Mechanismus, wie das mutierte CALR als Onkogen funktioniert und somit eine myeloischer Leukämie entstehen kann, wurde seither wissenschaftlich identifiziert. Der krebsauslösenden Wirkung von CALR Mutationen liegt die Interaktion der N-Glykan-Bindungsdomäne (GBD) von CALR mit dem Thrombopoietin-Rezeptor zugrunde. Ruochen Jia aus der Forschungsgruppe von Robert Kralovics am CeMM suchte nun nach einem Weg, wie diese Interaktion unterbunden und der Wachstumsvorteil von CALR mutierten Zellen verhindert werden kann. Dabei zeigt sich, dass eine Gruppe an Chemikalien, allen voran Hämatoxylin, mutierte CALR-Zellen selektiv abtöten kann. Die Ergebnisse liefern damit enorm wertvolle Ergebnisse für potenzielle Behandlungsansätze von myeloproliferativen Neoplasien.

Hämatoxylin-Verbindungen töten mutierte CALR-Zellen

Studienleiter Robert Kralovics erklärt: „In unserer Studie haben wir versucht, kleine Moleküle zu identifizieren, die die Interaktion zwischen dem mutierten CALR und dem Rezeptor blockieren könnten.“ Dafür nutzten die WissenschaftlerInnen sogenannte in-silico-Docking-Studien. „Darunter versteht man im Wesentlichen die computergestützte Simulation biochemischer Prozesse – virtuelle ‚Screenings‘, die immer genauer werdende Vorhersagen ermöglichen“, so Studienerstautor Ruochen Jia. Die Ergebnisse zeigten eine Gruppe von Chemikalien als Bindemittel für eine bestimmte Domäne von Calreticulin, die die mutierten CALR-Zellen selektiv abtöten. „Unsere Daten lassen den Schluss zu, dass kleine Moleküle, die auf die N-Glykan-Bindungsdomäne von CALR abzielen, CALR-mutierte Zellen selektiv töten können, indem sie die Interaktion zwischen CALR und dem Thrombopoietin-Rezeptor unterbrechen und die onkogene Signalübertragung hemmen“, so die Studienautoren. Dabei kristallisierte sich vor allem eine Hämatoxylin-Verbindung als besonders effizient heraus. Hämatoxylin kommt bis dato insbesondere bei histologischen Färbeverfahren zum Einsatz.

Lichtblick für Therapie Primärer Myelofibrose

„Unsere Studie belegt das enorme therapeutische Potenzial einer CALR-Inhibitor-Therapie“, erklärt Kralovics, „Die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Primärer Myelofibrose (PMF) erzielt nach wie vor schlechte klinische Ergebnisse. Sie haben die deutlichste Tendenz dazu, eine akute myeloische Leukämie zu entwickeln. Da etwa ein Drittel der PMF-PatientInnen eine CALR-Mutation aufweisen, könnten diese besonders von dem neuen Therapieansatz profitieren.“

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AutorInnen: Ruochen Jia, Thomas Balligand, Vasyl Atamanyuk, Harini Nivarthi, Erica Xu, Leon Kutzner, Jakob Weinzierl, Audrey Nedelec, Stefan Kubicek, Roman Lesyk, Oleh Zagrijtschuk, Stefan N Constantinescu, Robert Kralovics;

Förderung: Die Studie wurde unterstützt vom Wissenschaftsfonds FWF (FWF SFB F4702, P29018-B30, FWF Stand-Alone P 30041-B26).

Robert Kralovics ist seit 2006 Principal Investigator am CeMM und seit 2017 Forschungsgruppenleiter an der Medizinischen Universität Wien. Er erwarb seinen Master-Abschluss in Molekularbiologie und Genetik an der Comenius Universität und promovierte in Genomik am Institut für Biophysik der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik. Seine wissenschaftliche Arbeit als Postdoktorand, die er zusammen mit Josef Prchal an der University of Alabama in Birmingham (USA) durchführte, basierte auf der Genetik myeloproliferativer Erkrankungen. Im Jahr 2000 trat Kralovics Prchals Gruppe am Baylor College of Medicine in Houston als Assistenzprofessor bei. Im Jahr 2001 wurde er Projektleiter bei Radek Skoda in Basel. Kralovics’ Forschungsinteresse gilt in erster Linie myeloproliferativen Neoplasien (MPN) und myeloischen Malignomen im Allgemeinen. Seine bisher größten Erfolge waren die Identifizierung von krankheitsverursachenden Mutationen im JAK2-Kinase-Gen (V617F) im Jahr 2005 und im Calreticulin-Gen (CALR) im Jahr 2013. Mit fortschrittlichen genomischen Ansätzen setzt Robert Kralovics seine Forschung am CeMM und an der MUV fort, um neue therapeutische Strategien für die MPN zu identifizieren. Sein Ziel ist es, zu verstehen, wie die genetische Variabilität zur MPN beiträgt und wie sie durch personalisierte Medizin behandelt werden könnte.

Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at

Die Medizinische Universität Wien (kurz: MedUni Wien) ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit rund 8.000 Studierenden ist sie heute die größte medizinische Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum. Mit 5.500 MitarbeiterInnen, 26 Universitätskliniken und zwei klinischen Instituten, 12 medizintheoretischen Zentren und zahlreichen hochspezialisierten Laboratorien zählt sie auch zu den bedeutendsten Spitzenforschungsinstitutionen Europas im biomedizinischen Bereich. www.meduniwien.ac.at


Originalpublikation:

Die Studie „Hematoxylin binds to mutant calreticulin and disrupts its abnormal interaction with thrombopoietin receptor“ erschien in der Zeitschrift Blood am 17. November 2020. DOI: https://doi.org/10.1182/blood.2020006264


Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch


Quelle: IDW